Freytag, Gustav – Die Ahnen

Die Ahnen ist ein 1872 bis 1880 in sechs Bänden im Verlag Salomon Hirzel in Leipzig erschienener historischer Romanzyklus von Gustav Freytag, der von der Völkerwanderungszeit bis zur Gegenwart reicht und damit 1500 Jahre umspannt. Die einzelnen Romane erzählen in acht, motivisch immer wieder miteinander verknüpften Zeitschritten die Geschichte einer zunächst adeligen, später bürgerlichen Familie, deren königliche Abstammung sich in dem unbewusst tradierten Familiennamen König widerspiegelt.

Wikipedia

(1830 | 624 S.)

 

Meinung

Cornelia meint:

Ingo und Ingraban

Ingo

357 in den germanischen Wäldern sucht der vertriebene Vandalenkönig Ingo Unterkunft in Thüringen bei früheren Verbündeten des Vaters. Gegensatz zwischen den Waldleuten, die nach alt germanischer Art als Bauern frei unter ihrem heldenhaften Fürsten leben, und der beginnenden Königsherrschaft, die Ansprüche auf Steuern und Autorität über solche freien Gemeinschaften erhebt und zugleich durch Kontakt mit Römern Begehrlichkeiten nach den Luxusgütern des Südens pflegt. Die alte Sitte freier Fürsten gegen die politischen Rücksichten, durch die ein König sich die Treue lauwarmer Untertanen (ohne eigenen Ehrenkodex) immer wieder erkaufen muss. Immer sind die Frauen das Problem: Sie kommen aus anderen Völkern und bringen andere Erwartungen, Verwandten und Ziele in die Familie. Beim Fürsten ist das der grässliche Theodul, der die Fürstentochter Irmgard heiraten soll, die aber Ingo will, der deshalb vertrieben wird. (Am Ende wird sie von Ingo, der sich am Königshof vor römischen Verfolgern retten muss und mit neuen Bauern ein eigenes Fürstentum errichten kann, gerettet.) Und am Königshof fällt in die Kategorie des Import-Scheusals die Burgunderin Giesela, die einst dem Vetter Ingo anverlobt wurde, bevor ihr Bruder sich zu dessen Verfolgern schlug. Die hätte den Ingo gern zurück und ermordet hierzu ihren eher charakterlosen, im Grunde durch Ingo aber beinah zum Besseren bekehrten Ehemann, der sich nur mit Mühe am Verrat hindern lässt. Leider hat sie nicht mit Irmgard gerechnet, und so führt sie ihre eigenen Krieger samt Burgundischer Sippschaft gegen Ingos Burg, und alle, außer dem Söhnlein, das gerettet wird, sterben vor feindlicher Übermacht und Brand.

Sehr interessant die interkulturellen Konflikte, wenn Flüchtlinge von auswärts (hier Vandalen) Gastrecht bei den Thüringern genießen. Das geht nicht gut. Jedem Volk ist seine Identität heilig. Trotzdem gibt es ein übergeordnetes Ethos, von den Göttern als Gesetz eingefordert, das den Gast heiligt und Konflikte regelt. Die Korrumpierung dieses germanischen Ethos wird durch den Einfluss der Römer verstärkt, denn viele Germanen finden neue Freiheit und Machtmittel als römische Bürger. Unter den Standhaften gelten die römischen Kulturleistungen (Entenmosaike auf dem Fußboden) als lächerlich. Ganz von fern hört man schon was vom neuen Christengott.

Dieses Buch macht vorstellbar, was hier in Deutschland so gelaufen ist, bevor die Völker wanderten. Wie viel Kontakte, Verachtung und Respekt schon unter den hiesigen Völkern.

Als Buch über das kriegerische Ethos der Vorzeit erinnert mich vieles an Björnson. Dort ist es ein großes Thema, wie Helden, denen Übel widerfährt, dadurch böse werden. Hier soll das Gastrecht genau diesen Niedergang verhindern.  Und die Feier des Kriegs als Energie-Abfuhr für die Jungs erinnert an Taras Bulba. Auch dort gab es ja, wie hier bei den Fürsten, eine Herrschaftsform, die ohne den Rat der Ältesten nicht auskam. Eine merikratorische Demokratie sozusagen, nur dass bei den Germanen – anders als bei den Kosaken –  immer auch die Herkunft eine Rolle spielte.

Hist, JG+

Ingraban

700 Jahre später trägt der Nachkomme immer noch einen römischen Zauberflaggendrachenstoff in seinem Täschchen als Talismann mit rum. Aber inzwischen bekehrt Winfried immer erfolgreicher alle Heiden, die den politischen Nutzen einer Schwerthilfe durch die und bereits christianisierten Franken erkennen. Für Ingraban ist der Übergang von seiner Heldenkultur zu den Seligpreisungen und der Feindesliebe eine Zumutung, und ich denke auch, man sollte solchen archaischen Kulturen nicht gleich mit dem Neuen Testament kommen, sondern sie peu a peu denselben Erziehungsprozess durchlaufen lassen, den auch das jüdische Volk verpasst bekam. Tatsächlich nämlich muss Winfried selbst ganz schön brutal werden, und die Selbstgeisselei des jungen Mönchs Gottfried ist mir ebenso unbehaglich wie die klare Aussage dass Ehe Sünde sei. Pu.

Aber das Buch wirft einen hilfreichen Blick auf die Schwierigkeiten der Thüringischen Mission, zwischen der Scylla Sorben und der Charybdis Franken. Der Arme angraban wird schwer durch die Mangel genommen: Echter Held,  will er sein Mädchen von den Sorben retten, soll aber den Mönch mit Geschenken mitnehmen. Seine Walburg weist solche Händlermethode (Geschenke gegen Braut) als unheldisch ab –ist aber selbst schon christlich. Echt unfaire Mischung, und dann geht auch so ziemlich alles schief. Immerhin rettet sie ihren Imgraban am Ende, und dann darf der nach 6 Kindern auch mit ins Martyrium. Trotz allem fesselnd erzählt und mit durchaus angemessenem Ressentiment gegenüber verkommenen Päpsten in Rom und fränkischen Bischöfen in der Nachbarschaft. Ich habe noch nichts direkt historisch Falsches entdeckt.

Man versteht aber, warum als Ergebnis das Christentum, das so mit Waffenhilfe als Sieges-Garant angesehen wird, lange brauchen wird und bloße Tünche bleibt, bis das mal ins Herz geht, zumindest bei den Mächtigen. Frauen und Elende haben es da leichter.

HIst, Orth, JG+

Das Nest der Zaunkönige

Bei den Nachkommen wird der Älteste, eigentlich prima kriegerisch begabt, von der frommen Edith-Mutter als Sühne für die Eifersucht zwischen ihrem Mann und dessen Bruder ins Wigbert Kloster nach Hersfeld geschickt. Ohne eigene Zustimmung soll Immo für die Sünden der Sippe ein Fürsprecher bei den Heiligen werden, und das geht sehr daneben. Sowieso stehen Abt und Praepositus wegen verschiedener politischer Anhängerschaften gegeneinander. Geistlich hilfreich ist fast niemand, außer zwei alten Gärtnern, die aus dem Gerontikum entsprungen scheinen und dem Jungen, als er das Kloster mal heimlich verlässt, grundlegende ethische Regeln für sein Heldenleben mitgeben.

Dann muss er aber seine Klosterleute gegen die Gewalt des Nachbar-Grafen verteidigt, wobei er in Gefangenschaft gerät. Dabei macht er durch seinen hohen muot und die Wortgewandtheit des Scholaren solchen Eindruck, dass der Graf ihn (meinend, der künftige Canonicus sei harmlos) neben seine Tochter setzt, – und das funkt dann gleich auf Latein. Die war nämlich auch im Kloster.

Zurück im Konvent verhindert er Gewaltanwendung seitens des Praepositus gegen den Abt, muss aber dazu mit Waffen in die Kirche eindringen. Um ihn von der kanonischen Strafe einer Geisselei bis aufs Blut zu bewahren, schickt der Abt ihn zu allerlei Höfen und zum König: Heinrich II, der gerade seinen ersten Umritt zur Herrschaftssicherung absolviert. Dabei guckt Immo zum ersten Mal wieder zuhause vorbei und versäumt es (Gärtner-Regel 2), die schlechte Nachricht (ich werde nicht Canonicus) gleich vorzubringen. Die Brüder lehnen ihn als nutzloses Familienmitglied ab, die Mutter ist selig, aber dann doppelt enttäuscht, als sie erfährt, dass das mit dem frommen Fürbitten nix wird. Und obwohl Immo ihn vor den Reisigen des Grafen gerettet hat, misstraut ihm der König, weil er nicht weiß, dass Immo die Tochter schonen will. Trotzdem bleibt er dort im Gefolge und hilft mit, den Grafen gefangen zu nehmen. Als dieser im Kerker sein Todesurteil erwartet, besucht ihn Immo und überredet ihn (gute christliche Erziehung), er soll seine gesammelten Sünden zum Reliquienschrein des Königs tragen und das Pergament da reinschmuggeln. Der Graf lässt sich drauf ein und schreibt. Mit dem Pergamet geht der ehrlich fromme Immo zum König und bittet um Erlaubnis. Der aber reißt ihm den Text weg und erfährt vieles, was ihn ängstigt und beschämt.

Diese ganzen Auseinandersetzungen zwischen den Waldleuten, die wie früher ihr Herkommen als Recht bewahren, der Ebene der (geistlichen wie weltlichen) Zwischenmächte, die dem König dienen sollen, aber eher den eigenen Vorteil und das eigene Hochkommen anzielen, die vom König immerzu beschenkt und belehnt werden müssen, um ihm treu zu sein, zeigt, wie prekär die Königsmacht weiterhin war. Gewiß, sie funktionierte bereits als Ordnungsmacht und insofern für alle nützlich. Aber mancher zog den kurzfristigen Nutzen vor. Ebenso wie die Klöster ständig beschenkt werden müssen, um einen guten Platz auf der Wolkenbank zu sichern, aber auch wieder beklaut wurden, wenn jemand ihre Güter halt brauchte. Trotz der Störung, die ihre Autorität für den König neben Unterstützung immer wieder auch bedeutete, ist ihre zivilisatorische Leistung unbestritten, – denn letztlich erhöht sich so auch der Wert des beherrschten Landes.

Bei alledem nix Gesellschaftsvertrag, sondern ein kämpferisches Aushandeln zwischen verschiedenen Akteuren, wo nicht nur Besitzansprüche sondern auch Verpflichtungen weit in die Vergangenheit hinein eine Rolle spielen. Schon der Graf schont Immo, weil Immos Vater ihn mal raushaute, als es dem Grafen schlecht ging. Was den Besitz angeht, so leuchtet mir jetzt ein, wie weise Nozick war, als er die Frage nach dessen Herkunft nicht stellte. Sobald man anfängt, Ländereien in der Geschichte zurückzuverfolgen, kommt man nie an ein Ende. Und damals gab es wenigstens noch die Sänger, die das historische Gedächtnis wahrten. Allerdings – wie die modernen Medien – sangen auch sie oft das, was der jeweilige Geldgeber hören wollte.

Immo fällt also beim König in Ungnade, weil er für das Ekel von Grafen aus Mitleid gebeten hatte, obwohl er das (Regel 3: Traue nie dem Schwur eines Todgeweihten) ganz ohne Gegenleistung tat. Grafentochter Hildegard aber soll für Papas zahlreiche Sünden als Nonne büßen.

Inzwischen weilte Immo in Sachsen bei einem befreundeten Markgrafen und kommt reich bebeutet heim. Mit den Brüdern, die Lieder seiner Heldentaten gehört hatten,  versöhnt er sich. Aber dann erfährt er von Hildegarts Lage. Mit den 6 Brüdern, die ihm sich zugeschworen haben, entführt er sie. König Heinrich (II), eigentlich auf dem Weg nach Italien, will schnell noch ein Exempel statuieren und streng richten über die gesammelten Rechtsbrüche, die da passiert sind. Aber geheime Informanten machen ihm klar, dass der Verurteilung des Grafen falsche Informationen zugrunde lagen. Vor Gericht schweigen Immo und Hildegard, aber andere Zeugen sagen aus, und rechtfertigen Immos Verhalten. Allgemeine Gnade. Der kalte König sehnt sich nämlich eigentlich nach wirklich treuen Leuten, und hier steht einer, den er lang verkannte (und der immer zu stolz war, sich selbst zu rechtfertigen).

Und als schöne Pointe: der Sauhirt der Familie, der die alte Axt dabeihat, die (selbst) entscheiden sollte, wem er künftig als dem Stärksten dienen soll bei der Erbteilung (die eh unterblieb weil alle Immo folgen), schleudert dieselbe knapp über dem Haupt des Königs in die Gerichtslinde. Ups sagt der König, das ist ja nochmal gut gegangen: Dem alten Heldenmut gegenüber ist diese ganze Königerei noch sehr prekär.

Das Klosterleben und überhaupt das Christentum wird ziemlich boshaft anti-katholisch dargestellt – sehr wenig wahrer Glaube, und wenn doch, wie bei Mama Edith, dann unmenschlich. Stets noch das do ut des. Außer dem Lehrer Reinhard mit Herz und Verstand und den beiden alten Gärtnermönchen. Und der Tatsache, dass Immo im ungeliebten Kloster gelernt hat, mit den Notleidenden Mitleid zu haben. Als Edith sich allerdings entscheiden muss zwischen himmlischer Wohnung ohne ihre 7 Söhne, die Erzbischof Willigis in die Hölle plaziert, handelt sie wie Friese Ratbod und wie eine gute Mutter: „mit Euch will ich nicht im Himmel sitzen, wenn meine Jungs in der Hölle sind. Ich bleib bei denen.“

Also auch hier wieder: viel „Stoff“ für junge Menschen, und für Orthodoxe eine interessante Spurensuche: was ist vom Evangelium noch im Untergrund da und kann weiterwirken – trotz all des Unkrauts oben drüber.

Hist, Orth, Jg-

Die Brüder vom deutschen Hause

Von Anfang an hat man den Eindruck, dass hier alles ein bisschen viel ist. Aber vielleicht sind die Zeitläufte auch einfach komplexer geworden.

Wir sind im Hochmittelalter und der Nachkomme Ivo von Ingersleben hat einerseits stress mit dem Thüringer Landgrafen, der seine Territorialmacht ausweiten will und dabei alte Freiheiten und Rechte lästig findet, andererseits mit der Hohen Minne, die Elsa Landgraf tugendsam erzieherisch auf sich bezieht, dabei geht es ihm um eine Kaisernichte, die politisch mit dem Oberekel Humbert verheiratet worden war und gerne mal dem Ivo gut sein würde, drittens mit Onkel Meginhard, der sich unter Landgrafs Schutz an seinen Bauern schadlos hält, während Ivo väterlich für die sorgt.

Dann wird Ivo von Hermann von Salza zum pflichtmäßigen Kreuzzug gedrungen mit dem Argument, dass man den welschen Templer- und Johanniterorden das Heilige Land nicht überlassen kann und als Deutscher Ehre einlegen muß. Ivo verschmäht edel alle kaiserlichen Subventionen, um sich nicht abhängig zu machen, kommt also mit magerem Tross in Otranto an, wo der Kaiser (Friedrich II)  seine Krieger allein losziehen lässt, weil er den zweiten Sohn erwartet und damit Politik machen will. Das Elend der Kreuzzüge, – nur die deutschen Marienbrüder folgen ihrer Mission der Barmherzigkeit. Wie auch Friedrich, so benehmen sich Ivos Leute fair den Muslimen gegenüber, die all in all anständiger sind als die frommen Christen. Endlich kommt der Kaiser doch, allerdings vom Pabst schon gebannt, voller Probleme. Er zeichnet Ivo vor allen aus, froh einen treuen Diener zu finden. Das erweckt ihm die Feindschaft der welschen  (Papsttreuen) Tempelorden samt Humbert, die ihn bei einer Mission zu einem Oberpascha zu ermorden suchen. Ivo überlebt als Gefangener des Pascha, kommt aber, obwohl er vorher den bei diesem Überfall getöteten Prinzen gerettet hat, nicht frei, weil er seine mordlustigen christlichen Mitbrüder nicht verraten will. Schafft es aber, der Friederun, einer patenten Bauerstochter aus seinem Burgdorf daheim, eine Locke zu schicken. Und die, mangels anderer Möglichkeiten, macht sich auf, ihn via Kaisernichte und Friedrich persönlich zu retten. Und hoppla, da kommt er grad in Sizilien zur Tür rein: Einer seiner Getreuen hat sich durch Schwur gebunden, die Mordbuben, weil sie halt – Mord hin, Mord her – immer noch Christen sind, zu retten.

Ivo bringt also Friederun heim, findet aber zuhause seine Burg von Onkelchen geklaut. Wirft den raus, und kriegt Besuch von der Kaisernichte, die inzwischen ihren ungeliebten Humbert hat ermorden lassen und frei ist. Grad als sie ihm das hergerichtete Schlafzimmer eröffnet, kommt die Nachricht, daß Friederun durch Konrad von Marburgs Verfolgung von Ketzern gefährdet ist: einer aus dem Meginhard-Tross rächt sich dafür, daß sie den nicht haben will. Ivo, Treue um Treue,  lässt Kaisernichtenwitwe schäumend zurück und rettet seine Retterin. Jetzt sind alle beide in Gefahr und können sich nur durch Anschluss an den Deutschen Orden retten, Auffangbecken aller Problemritter. Außerdem merkt Ivo endlich, daß er Friederun liebt.

Uff. So ziemlich alles reingestopft was rein muß. Interessant die ersten Spuren eines deutschen Nationalbewusstseins auf ethischer Grundlage: deutsche Treue.

Was den Stil angeht, so fühlt man sich besonders im Heiligen Land ein wenig wie bei Karl May. Was ja nicht schlecht sein muss. Das Ganze ist schon ein wenig Trivialliteratur: zwar wunderbare Landschaftsbeschreibungen, aber die Menschen eher schematisch: Held ist immer gleich Held, und Idealfrau immer gleich Idealfrau, treuer Tross gegen verderbte Kerle. Interessant die Entwicklung von Idealisierung des Kaisers bis hin zur Enttäuschung über dessen Machtpolitik, die deutsche Treue leider überhaupt nicht belohnt.

Immerhin verstehe ich erst im Zusammenhang des Gesamtwerks, warum der Markus König so fixiert auf seinen Ordensmeister-Vorfahren ist. Diese Identifizierung mit den Ahnen – das ist ja das Thema. Das geht eine Weile gut, und dann geht es irgendwann gar nicht mehr gut.

JG, Hist

Markus König ist Band 4 der Ahnen

In einem Ratz durchgelesen, spannend und bewegend als Historienmalerei. Ostpreußen und der Untergang der Ordensritter. Die Stadt Thorn hat sich unter den polnischen König gestellt. Die Patrizierfamilie König gehörte zu den Gegnern, Marcus‘ Vater wurde geköpft. Isoliert lebt Marcus in der Stadt und sammelt als Kaufmann Reichtümer. Konflikte zwischen Schwertadel und Kaufmanns-Aristokratie. Persönliche Freundschaft mit dem Bürgermeister, der an den Fortschritt mit den Polen glaubt. Und – wie die ganze Stadt – mit der neuen Lehre aus Wittenberg sympathisiert. Dagegen die Finsterlinge aus den Klöstern, Inquisition der ärgsten Sorte. Und doch bleibt König dem alten Glauben treu. Am Ende wird er dort an seinem Heil der verdrehten Werkheiligkeit verzweifeln und sich von Sohn und Schwiegertochter zu Luther als Mega-geistlichem Vater führen lassen.

Ein gutes Buch, um das schnelle Wachsen reformatorischen Gedankenguts zu verstehen: die katholische Kirche ist durch und durch korrupt.

Die Wandlung Königs wird motiviert durch das Scheitern seines Lebensprojekts: sein gesammeltes Geld Albrecht von Brandenburg, dem letzten Hochmeister, zur Verfügung zu stellen, damit jener das Land von den Polen befreit. Aber die politische Großwetterlage passt nicht: Unterstützung aus dem Reich gibt’s keine, der Polenkönig ist sogar Papst und Kaiser Freund – Scheitern auf der ganzen Ebene.

Hineingeflochten Magister Fabritius und dessen superstrenge und schon evangelisch fromme Tochter, in die sich der Sohn Königs, Georg, verliebt, den sie aber erstmal aus dem jeunesse dorée Leichtsinn raus-erziehen muss. Bei einem Autodafé machen sich Magister und Georg strafbar. Bei ihrer Flucht geraten Georg und Anna unter die Landsknechte des Ordens, die Georg als Fähnrich anheuern. Konflikte zwischen korruptem Ritterorden und den Interessen der gekauften Krieger. Eigenes Ethos der Landsknechte. Das Paar führt ein prekäres aber recht fröhliches Leben, Annas lutherische Missionsversuche scheitern, weil ein Landsknecht leichter katholisch bleibt (sündigen und sich rauskaufen) als ernsthaft dem Gesetz Gottes zu folgen. Annas Vater ist bei den Polen gelandet und macht sich dort nützlich als Schreiber. Beide Väter (König daheim und Fabritius bei den Polen) erkennen die Priester-lose Landsknechts Ehe der Kinder nicht an, Papa Marcus zahlt deshalb kein Lösegeld. In einem Kampf mit polnischen Landsknechten verliert Georg die rechte Hand, wird fehl-informiert über den Tod seiner Familie und folgt Albrecht nach Frankfurt. Ziemlich grausame Notfolterei für die Kinder, die sich am Ende wiederfinden und beide Väter zur schwierigen Versöhnung Luther zuführen.

Wie schon in Ebner-Eschenbachs Reisegefährten auch hier eine absurde Autorität verblendeter Väter, heute schwer nachvollziehbar aber auch als gut lutherisch verteidigt. Für Orthodoxe interessant die Idealisierung Luthers zu einem quasi-geistlichen Vater. Da spricht ein genuines Verständnis dessen, was Christsein heißen sollte.

Interessant im Zusammenhang mit dem vorigen Buch, dass Königs Deutschtümelei von Luther relativiert wird: wenn die Polen auch gute Protestanten werden, – nu, was braucht man dann noch die Nationalismen.

JG, HIst

Die Geschwister

Der Rittmeister von Alt-Rosen

1647 – der Krieg dauert noch, aber es soll irgendwann Frieden geben. Die Politiker und Perücken lassen sich aus Macht- und Land-Gier mit dem Verhandeln Zeit, die Soldaten sind nach 30 Jahren Räuberei verdorben und der anständige Rest will die verbliebenen Bauern schonen. Irgendwie sind die Deutschen im großen Kriegsspiel mit den protestantischen Schweden verbündet gewesen, dann aber durch deren Bündnis mit den Franzosen unter letzterer höchst ungeliebtes Kommando gekommen, und da will man weg. Etliche deutsche Regimenter fliehen trotz Verfolgung, wählen, da die Offiziere bei den Franzosen gut behandelt wurden und geblieben sind, ihre eigenen Ränge und finden sich mit ca 8 Regimentern unter Offizieren aus den eigenen Reihen gut geführt. Allerdings stören auf allen Seiten Werber für die verschiedenen Kriegsherren die Bemühungen um deutsche Einmütigkeit. Man will die erprobten Kämpfer zurück zu den Franzosen locken, aber die Franzosen kämpfen nicht für die deutschen Rechte, um die es den Landsknechten geht. Man will sie zu den Schweden oder gar zu den kaiserlichen locken. Alle Offiziere nehmen Geld und wechseln, aber auch der Rest möchte mal Sold haben, zumal man inzwischen unter dem tugendhaften General Wilhelm fürs Räubern aufgeknüpft wird.

Großer Kriegsrat. Held Bernhard mit Schwester Regine (verwaister Flüchtling) werden zu Herzog Ernst von Weimar geschickt. Aber der ist fromm und vertraut auf baldigen Frieden. Immerhin kann Bernhard Regine erst bei Judith, dem wundervollen adeligen Waisenkind mit Kräuterkunde im Dorf parken, dann beim Herzog unterbringen, der von ihren nächtlichen Prophezeihungen gehört hat und sowas auch mal hören will. Inzwischen begibt sich Bernhard zur Konkurrenz in Königgrätz. Aber dort steht man unter schwedischer Kontrolle und will die in Bernhards Landsknechtsheer selbst  gewählten Offiziere nicht anerkennen, weil das in der schwedischen Truppe Unfrieden gäbe. Endlich sehen die Landsknechte keine Alternative zu den Schweden, gegen Bernhard, der somit von seinem Treueeid ihnen gegenüber gelöst wird. Der kämpft ab jetzt self employed und hat deshalb kein Problem, als ihn sein Stalljunge vom drohenden Scheiterhaufen für Judith informiert, sie fix und mit Regines Hilfe zu retten. Die Flucht der Liebenden (also Bernhard und Judith) macht schlechten Eindruck beim frommen Herzog, der Regine rauswerfen will. Die hat aber glücklicherweise einen Lizentiaten gefunden, der sie heiraten will und Pfarrer werden. Herzog segnet und unterstützt. Die Geflohenen nehmen mit Berhards Getreuen die Prager Burg ein, Edelsteine zum Mitnehmen, allerdings für Judith weiterhin die Angst: viele kennen sie, viele hat sie geheilt, und viele werden sie als Hexe ansehen. Insofern ist für das Lebensglück eh nicht viel zu erwarten. Da trifft es sich gut, dass am Ende auch noch der abgelehnte Kandidat auf Judiths Hand, der schon aus Rache sie zur Hexe erklärt hatte, vor Judiths böhmischen Heim steht, als die Flüchtlinge dort gerade ankommen und beide erschießt. Glücklicherweise schnappt sich der Stalljunge (nachdem er den Kerl erschossen hat) Bernhards Söhnlein und bringt es zu Regine Pfarrersfrau. So geht die Familie weiter.

Ich lese das inzwischen hauptsächlich, weil es ein so lebendiges Bild von Szenen deutscher Geschichtet biete, die ich aus den Zigarettenbilder-Alben meiner Mutter kenne. Ich kann nicht beurteilen, wie korrekt das alles ist, wie weit es heutiger Forschung entspricht. Freitag stützt sich aber, wie ich am Mittelalter-Buch nachvollziehen kann, durchaus auf zeitgenössische Literatur. Er ist ein Weitergeber einer Tradition des politischen Selbstverständnisses seiner Landsleute. Das macht die Sache faszinierend, auch wenn mir inzwischen die Frauengestalten auf den Nerv gehen, denn die sind allesamt  positive oder negative Projektionen aus männlicher Sicht. Andererseits geht es den Männern nicht viel besser: Auch sie sind Träger des thematisierten Ethos oder un-Ethos.

Immerhin, für einen Christen ist eine Welt mit weitgehend unterscheidbarem Gut und Böse erfreulich realistisch.

JG, lHist

Der Freikorporal bei Markgraf Albrecht

So langsam fange ich an, mich zu schämen, dass ich immer noch weiterlese. Hier haben wir also nette Liebesgeschichten, die sich glücklich sortieren zwischen den Brüdern, und dann das Problem des Kriegsdienstes unter dem ersten Preußenkönig und dem Sachsen. Verschiedene Kulturen. Und Thorn, der Hoffnungs- und Leidens-Ort von Markus König, ist inzwischen an die Polen gefallen, und von Luthers Hoffnung „wenn sie nur gut evangelisch werden…“ keine Rede mehr, Jesuiten so schlimm wie die früheren Inquisitoren und polnische Greuel überall. Der unbeschreibliche kombinierte Edelmut und Glaubensstolz der Brüder (plus Dorchens Mut) schaffen es nach langem Kämpfen, den preußischen Wut-König auf Ehre und Gottesgebote hin anzusprechen und Gnade für die verfahrende Lage der Brüder zu finden. Am Ende allerdings entscheidet, dass Augustchen den schlechten Tabak von Dorchens Vormund als schlechten Tabak identifiziert. Da kann der König Mensch werden.

Preußen als harter Knast, Sachsen als korrupter Weiberhaufen. Dazwischen ein deus ex machina, der Riekchen aus der Knechtschaft bei ihrer Komtesse befreit, weil ein alter Querkopf plötzlich ihr Erbonkel ist. Nun immerhin, es ist ein Zeitbild, und da mag es hingehen.

Interessant ist aber die Entwicklung der Beziehung zwischen Herrschern und Beherrschten im Gesamtwerk. Bei Ingo und Ingraban haben wir noch Reste einer lokalen Stammeshierarchie von Kriegern und Bauern in gegenseitiger Abhängigkeit. Allmählich geraten diese Kleinformen politischer Autonomie in Konflikt mit der zunächst römischen, später fränkischen überregionalen Herrschaft und mit ihren mittleren Verwaltungsebenen (Grafen). Die Unabhängigkeit, die früher das Überleben garantierte, muss der Abhängigkeit im Lehnswesen weichen. Bei den Brüdern vom deutschen Haus und Markus König werden die chancen und das Verschwinden einer Glaubens- und Nation-gestützten Sondermacht an den Reichsgrenzen (und ihrer Abhängigkeit vom Handel) beschrieben. Auch hier gehört die Zukunft den großen Spielern: Papst, Kaiser, Könige. Aber schon im Markus König und dann im Rittmeister von Alt Rosen gibt es den chaotischen Zwischenbereich der Landser mit zunächst geringer, später stärker im Herkunftsgebiet verankerter Loyalität. Auch hier ist das kriegerische Heldentum zentrales Thema, aber es hat sich aus seiner Loyalität für die den Sold-sichernden Großmächte gelöst und im dreißigjährigen Krieg erneut (wie im Altertum) der Sorge für den Nährstand verbunden. Im Freikorporal schließlich wird das Thema Herrscher-Held aus dem Nest der Zaunkönige (Ivo gegen Friedrich II) neu in die Konkurrenz zwischen Preußen und Sachsen gestellt. Interessant: nur beim preußischen König ist trotz allem Absolutismus der Appell an die von Gott hergeleitete Verpflichtung zur Gerechtigkeit möglich. Der Soldat des Königs ist nicht sein Sklave – gegen diesen Apell kann Friedrich I von Preußen nichts mehr sagen. (Bei den Sachsen gibt es diesen moralischen Richtstuhl nicht…). Allerdings braucht es dazu den Pfarrer als einen neuen Heldentypus, der nicht nur – wie der Vater – als Feldpfarrer die Bibel mit ins Gefecht trägt, sondern (Sohn Fritz) gegenüber dem König furchtlos für Wahrheit und (Thorn!) Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einsteht.

Hist, JG

Aus einer kleinen Stadt

Die Vergangenheit ist versunken: man versteht nicht mehr, wie man sich einst über Glaubensdinge den Kopf hat einschlagen können. Behaglich sitzen die Geistlichen Konfessions-überkreuz beim Wein und interessieren sich nicht mehr für Glaubensdinge.

Erst  ist der Krieg weit weg. Die Revolution erreicht das schlesische Städtchen nicht. Dann der neue Kaiser – eine ferne Sache. Der junge Arzt Dr. König verliebt sich in Pfarrerstochter auf dem Dorf. Sehen sich aber kaum. Plötzlich kommt der Krieg doch – zunächst in Form französischer Einquartierung – allerdings mit deutlich besseren Manieren als die vertriebene deutsche Garnison. Hier ist der Franzose noch der überlegen Zivilisierte. Dann aber brechen die künstlichen Friedenskonstrukte auseinander. Jettchen wird aus den Fäusten schlimmer Soldaten gerettet durch einen französischen Offizier, der sie dabei zugleich als seine Braut requiriert und ihr den Ring nimmt und seinen gibt. Ihre Eltern sind gleich dabei, darin eine göttliche Fügung zu sehen. So bleibt das arme Kind auf seiner stillen Liebe sitzen, dem Retter verpflichtet. Doktor hört nur das Gerede von Soldatenbraut und geht stumm vorbei. Immer quält Freitag die Liebenden erstmal gründlich durch, ehe es zur Hochzeit kommt.

Der preußische König ist schwach und fern – der Landadel besinnt sich auf seine alte Führungsrolle und jeder brave Mann geht in die Wildnis zum Aufbau einer geheimen Armee. Das ist alles sehr räuberisch preußisch wundervoll, aber am Ende kommt kein Entsatz und man muss klein beigeben. Endlich findet Napoleon an Russland seinen Meister. Selbst die größten Bewunderer fallen jetzt von ihm ab – ein wenig wie in Tolstois Krieg und Frieden. Irgendwie kommen die Liebenden wieder zusammen und klären die Lage. Aber dann muss noch die Rückkehr jenes Offiziers bewältigt werden, den der Doktor zunächst arztethisch korrekt ins Leben zurückpflegt, obwohl er ihn lieber weg hätte. Immerhin, Jettchen kommt groß raus und macht ihm seinen Egoismus klar: er hat sie immer als Beute behandelt und nie nach Vorbewohnern ihres Herzens gefragt.

Neuer Krieg. Inzwischen spielt der Franzose die Rolle des gemeinen Bösewichts. Flammende Augen und kaltes Lächeln, die Maschine rattert. Böse Regierung will Deutsche einschüchtern und ausgerechnet den Doktor gefangennehmen, der, von Jettchen kühn gewarnt, wieder zum Grafen flieht. Bei einem Zusammentreffen auf Unentschieden teilt man sich einen Gasthof. Edelmütig verhindert der treue Diener des Franzosen, dass dabei die Deutschen in die Luft gesprengt werden. Der Offizier hat es gemerkt und nicht gehindert.  Und irgendwann schickt er auch den Ring zurück und Jettchen kann glücklich heiraten. Es braucht ein bisschen viel deusse ex machina.

Interessant, wie hier die Zentralgewalt wegen Unfähigkeit wieder Raum für lokale Initiativen läßt. Allerdings nur zeitweise. Am Ende ist Napoleon weg und man liebt seinen König wieder.

Soll man das trotzdem empfehlen? Klar, man kriegt auch hier wieder ein Zeitbild. Und ja, es gibt auch mal einen originellen Typ: Steuereinnehmer Köhler, mit seinem Jean Paul, der am Ende auch zum Heiraten kommt. Spannend immer…

Jg, Hist

Schluß

Alle früheren Bände fand ich gut und lohnend, dies nicht mehr.

Stagnation. Größere Ärmlichkeit 15 Jahre später. Biedermeier. Unfrei. Gebremster Forschritt. Aber sozial Stagnation. Fremde Freiheits- und Menschenrechtsideen vereinzelt – das erschreckt. Das Personal aus dem vorangehenden Buch ist älter und weiser geworden. Der junge Viktor studiert und schreibt schöngeistig über Kunst. Da trifft er die Schauspielerin wieder, die ihn – pole Poppenspäler läßt grüßen – schon als Kind beeindruckt hat. Großes Drama: die Dame muss ihre Verehrer bei Laune halten, gönnt sich aber die Kinderfreundschaft mit dem Kunstwissenschaftler. Gut gehen kann das nicht. Ein Duell, Küsse – logisch. Nachts gerät er in Straßenkämpfe und wird knapp gerettet von einem Adeligen, der ihm vorher Feind war. Übrigens ein von Ingersleben – also aus dem Dorf seiner Ahnen. Weiß Viktor aber nicht. Beide vereinen sich, um jetzt mit der Feder, also mit eigener Zeitschrift -gegen die schlimmen neuen Ideen zu kämpfen. Nix mehr Kunst, und eh reist die Dame ab.

Und am Ende vererbt eine Tante den Königs ein Buch, das die ganze Familiengeschichte bis Luther und Markus König zurückverfolgt. Wobei sich rausstellt, dass jener französische Offizier ein Vetter war…. Dann die Moral von der Geschicht: in uns allen leben die Ahnen weiter. Aber jede neue Generation baut sich auch ihr eigenes Leben auf der Basis des Vorhergehenden. Und mit jeder Generation nimmt die Macht der Ahnen ab, die Freiheit der Selbstgestaltung nimmt zu.

Tatsächlich war Freitag ein Liberaler. Aber eindrucksvoll, wie er den langen Weg vom Stammeswesen zur – immer noch gut verankerten – Individualität mit viel Geduld beschreibt. Dieser Liberalismus will nichts mit den Radikalen zu tun haben. Es muß alles gut erzogen und mit Treu und Pflicht vorwärtsgehen. Ich glaube, diese alte Form des Liberalismus gibt es heute noch in England, aber sonst nicht.

Im Ganzen Werk haben mir die frühen Romane besser gefallen, weil es dort zwischen Verharren in der Tradition und dem Neuen noch einen Konflikt gab, der in seiner Unlösbarkeit durchlebt wurde. Je näher er an seine eigene Zeit rückt, umso trivialer wird die Sprache und die Bilderwelt.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten> 600
AutorFreytag, Gustav

Kommentare

Kommentar zu: Freytag, Gustav – Die Ahnen.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert