Am Samstag, den 3. Juli 2021 fand in der rumänischen Nikolauskirche Offenbach das 32. FOCS-Treffen statt.
Thema:
Die Kultur der Achtsamkeit und die Wachsamkeit (Nepsis) bei den Vätern der Kirche: Passt das oder hakt es? Und wo?
In vier Vorträgen mit jeweils anschließender Diskussion wurde über die unterschiedlichen Ziele und Praktiken der modernen „Achtsamkeit“ wie auch der patristischen Nepsis (gr.: Wachsamkeit und Nüchternheit) referiert.
Rodica bekochte die anwesenden Teilnehmer wie gewohnt hervorragend.
Im einführenden Vortrag erklärte Patrick Bradley, wie derzeit durch die Achtsamkeitsbewegung eine im 19. Jahrhundert radikal modernisierte Form des Buddhismus im Westen Einzug hält, welche mittels Meditationstechniken die durch den Sündenfall geschehene Zerstreuung der Geistkraft nicht heilen kann, sondern lediglich verstärkt. Als Folge einer ausgiebigen Praxis dieser Methoden wurden sogar psychische Erkrankungen beobachtet. Patrick zeigte durch den Kontrast zu den Schriften von Nikodemus, dem Hagioriten, warum solche fernöstlichen Methoden einen schlechten Ersatz bieten für die patristische Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und Nüchternheit („Nepsis“). Diese hat zum Ziel, zusammen mit den heiligen Mysterien und in der eigenen Gebetspraxis angewandt, das Herz durch die Bewachung der Sinne zur Fokussierung auf das Jesusgebet zu bringen und somit die Empfänglichkeit für die göttliche Gnade zu wecken. So wird der „Patient“
im „Krankenhaus“ der Kirche auf dem Weg der Zerknirschung und Reue („Metanoia“ als Umgeisten) zur „Genesung“ gebracht, und zur Einsicht, auf die Hilfe Gottes in allen Belangen des eigenen Lebens angewiesen zu sein.
Tatjana Kühne-Khrissanfova leitete mit ihrem Vortrag „Erfahrungen und Anfragen zur christlichen Behutsamkeit im Umgang mit sich selbst und miteinander“ eine Diskussion über vier Themen mit einem „Achtsamkeits“-Bezug ein. Zunächst ging es um die Beziehung des Menschen zu sich selbst und zu Gott, in die sich stets der Stolz einmischt. Um diesen loszuwerden, ist die Antwort der Väter, dass man alles als von Gott gegeben betrachten und Ihm ständig dafür danken soll, was mit Gottes Hilfe zur Demut führt. Die moderne Psychologie hat allerdings damit ein Problem, da sie versucht, beim Menschen das Selbstwertgefühl, also das alte Ego, zu erhöhen in der Meinung, damit psychische Probleme heilen zu können.
In diesem Zug fällt mir das orthodoxe gelebte Paradox der Trost spendenden Selbstverurteilung zahlloser Heiliger ein, welche es tunlichst vermeidet, in die Verzweiflung zu fallen. Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Fähigkeit der Kirche, einladend zu wirken angesichts vieler kirchlicher Menschen, die im Gottesdienst nicht gerade glücklich aussehen. Da sich im geistlichen “Krankenhaus” normalerweise “Patienten” verschiedener Stadien der Heilung (= Heiligung) befinden, erkennt man bei genauerem Hinsehen i.d.R. auch Menschen, welche eine tief empfundene innere Freude ausstrahlen, sowie zahlreiche Menschen in einem Stadium innerhalb dieses Spektrums an Ausstrahlung. Bei der Frage nach Eigenwillen und Gehorsam konnte am Beispiel der kirchlichen Suchtprävention in Russland gesehen werden, wie durch Gehorsam (sakramentales Leben, gelebte Nepsis) erst ein wahrhaft freies Leben (ohne Abhängigkeit) erlangt werden kann. Die abschließende Frage war, wie zwischenmenschliches Geben und Nehmen so gestaltet werden kann, dass man dazu kommt, “uns selbst und einander und unser ganzes Leben Christus Gott” anzubefehlen (wie es in der Göttlichen Liturgie oft heißt). Auch hierbei spielt die orthodoxe Nepsis eine tragende Rolle.
In ihrem Vortrag zum Thema „Orthodoxe Quellen zur Wachsamkeit“ referierte Cornelia Hayes über einen protestantischen Versuch, den von den Kirchenvätern beschriebenen „mystischen Weg“ außerhalb der Erfahrung eines wahrhaft kirchlichen Lebens in einen psycho-therapeutischen Ansatz zu integrieren.
So soll sich der in der Orthodoxie bewahrte Zugang zur noetischen Erfahrung Gottes auch innerhalb des westlichen Christentums wieder eröffnen lassen.
Am Vergleich mit den Schriften des Heiligen Sophrony von Essex wurde klar, dass es nicht genügt, sich einfach nur (irgendwie) auf Jesus Christus zu beziehen, wenn man glaubenstreu leben möchte: Auch das kirchliche Leben ist kein Produkt autonomer Entscheidung, sondern ein Geschenk und Angebot des lebendigen Gottes, das aktiv wahrgenommen werden muss. Ohne solche Wahrnehmung bleibt selbst der Rekurs auf patristische Texte nicht hilfreich. Für orthodoxe Christen bedeutet dies, dass sie auch bei nicht-orthodoxen wissenschaftlichen Einführungen in patristische Texte, wie auch bei deren Übersetzung durch nicht-Orthodoxe, auf der Hut sein müssen. Zudem zeigte sich am behandelten Beispiel, dass Kompilationen von Kirchenvätertexten oft gerade darum zuweilen irreführen, weil jeder der Autoren seine eigene Erfahrung mit der göttlichen Selbst-Offenbarung einbringt, auf die er seine geistlichen Ratschläge gründet.
Das Problem mit nicht-kirchlichen Techniken der Achtsamkeit liegt, wie der Heilige uns einprägt, darin, dass bereits in der Wahrnehmung eigener Hilfsbedürftigkeit ein Angebot göttlicher Gnade enthalten ist, das man dankbar, d.h. im zugleich personalen und kirchlichen Miteinander mit Gott annehmen sollte. Selbst „Yoga als Gymnastik“ lenkt von solcher dankbaren Annahme dieser Gnade ab. Eine bloße “Wohlfühlmystik” mithilfe aus dem Buddhismus und der Patristik abgeleiteten “Techniken” steht im Gegensatz zum harten, aber wahren Trost spendenden Schock der Selbsterkenntnis, wenn einem die götzenhaften Phantasiegebilde, die man von sich selbst macht (und anbetet!) zerschlagen werden. Ohne Bußfertigkeit ist kein geistliches Leben möglich.
Aus den abschließenden Überlegungen von Vater Stefan (Anghel) zum inneren Zusammenhang zwischen der Kultur der “Achtsamkeit” und der Angst der Menschen sind mir einige, auf die heiligen Väter zurückgehende Gedanken im Gedächtnis geblieben:
– Gott liebt uns bereits. Alles was wir selbst tun können und sollen, soll unsere Empfangsbereitschaft für diese Liebe erhöhen.
– Die Freude, die Gott gibt, ist wahrhaftiger als die Freude der Welt.
– Jeder, der dir etwas Böses antut, kann dir im Kampf gegen die Leidenschaften zum Arzt werden.
– Angst macht blind.
– Jeder Heilige hat eine Vergangenheit, jeder Sünder eine Zukunft.
DOM-Mitglied Patrick Bradley hat den Tag für uns zusammengefasst.
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