Eichendorff, Josef von – Ahnung und Gegenwart

(1815 | 840 S.)

Eichendorffs Erzählungen von geselligen Wanderungen, Ausritten oder Fahrten mit Reisewagen, die durch stille Tore ins Freie hinausrasseln und über denen die Sonne eben prächtig aufgegangen war, sind tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert. All dies hat seinen eigenen unverwechselbaren Glanz und ist unvergänglich, aber auch rätselhaft und provokativ. Denn nur wenigen ist deutlich, wer dieser Autor wirklich war, wie er seine Dichtung gebrauchte, um in einer Zeit des Umbruchs und der Restauration sich und seinen Zeitgenossen Vergeblichkeit und Hoffnung des Handeln und der Phantasie mittels poetischer Formeln und Chiffren vor Augen zu führen.

Schon zu Lebzeiten wurde Eichendorffs Werk aus biedermeierlicher Optik entstellt und verharmlost. Die Ausgabe des Deutschen Klassiker Verlages geht auf Handschriften und Erstdrucke zurück und korrigiert diese Verfälschungen. Sie erschließt den kritischen Utopiker Eichendorff anhand sorgfältig geprüfter Texte und kompetenter Kommentare.

»Deutlich wird in dieser Werkausgabe: Eichendorff ist nicht der schlichte, auf einsamen Bergen naturlauschende Poet. Hier vor Augen steht ein vielfältig verflochtener Mensch, den neu auszuloten sich lohnt.« Südkurier

Buchbeschreibung des Verlags

Meinung

Cornelia meint: „Orthodox respektabel“

Ahnung und Gegenwart

Ein extrem komplexes und subtiles Werk. Begemanns Aufsatz über die Intertextualität seiner Methode (daß immer über Gedichte gedichtet und über Texte getextet wird und alles sich gegenseitig reflektiert und relativiert und auseinanderbricht, weshalb dieser Romantiker direkt ein Moderner ist….) hilft weiter, – allerdings nicht für mein Interesse an Büchern. Mein Interesse geht auf den Menschen als Weltsicht und Gefährten.

Da ist es zunächst einmal tröstlich, daß die Gedichte, die mir solche Mühe machten, im Rahmen der Erzählung ganz anders runtergehen. Man muß schon in die Geschehnisse hineingezogen sein, um aus ihnen heraus mitsingen zu können. Soweit so gut.

Vieles stört den naiven Leser (mich). Die Hauptfigur, Friedrich, schön grad anständig und durch und durch gut deutsch, wie man sich das wünscht, muß als tumber Tor überall ahnungslos vorbeidackeln. Dabei zeigt er eine ermüdende Faszination durch schwarze lange Ringellocken über halb entblößtem weißen Busen. Nun ja. Passt aber immer auf, daß den Mädels nichts passiert, und er lässt sich von Frau Venus Gräfin Romana auch nicht beschädigen wie alle anderen Jungs.

Hier ist ein Einschub wichtig: Dieses „Verdorbenwerden“ des reinen Mannes durch die schlimme Frau Venus ist einem heute ja schwer nachvollziehbar, und mir besonders, weil ich die Erotik immer als vom Mann ausgehend erlebt habe. Man kann sich aber einfühlen, wenn man an die homosexuelle Verführung von Jungs denkt, besonders im Rahmen von Autoritätsverhältnisssen. Dort nämlich wird auch das Selbstgefühl der Verführten in eine tiefe Gespaltenheit gestürzt zwischen dem Wunsch nach Anerkennung durch den Verführer und dem Abscheu vor einem Selbst, das einem entgleitet. Ich verstehe jetzt die Leontin-Gestalt besser: Er hat diesen Selbsthass in sich aufgenommen, und all seine Begabungen werden zur Kritik. Dieses Leiden an ihm selbst kann wirklich nur die Liebe einer Engels-Frau wie Julie heilen

Die Entwicklung Friedrichs  zum glücklichen (immerhin!) Mönch geht holterdipolter Gebirge rauf und Flüsse runter, die Caspar David Friedriche explodieren nur, und an jedem Eck winkt ein Schloß mit Geheimnissen, Drama, Rätseln, oder netter Hauswirtschaftlichkeit – aber Julie liebt halt schon den tragischen Leontin und Friedrich selbst kommt, von Rosa in die Residenz gelockt, wo man den Literaturbetrieb geistreich abschnackelt, einigermaßen unbeschädigt wieder raus.

Eichendorffs Natur besteht auch hier aus Plastikschablonen, die nach Belieben umgeklebt werden. Da sehnt man sich richtig nach der kurzsichtigen Droste, die mit liebevoller Naturfrömmigkeit wenigstens hinguckte. Dann gibt es noch Befreiungskämpfe gegen die napoleonischen Besatzer, die aber schlecht ausgehen, – Friedrich ist ruiniert. Glücklicherweise findet er den verlorenen Bruder, der immer schlecht behandelt wurde und eigentlich, bei aller Wut und Ungeselligkeit, die beste Rolle kriegt: Er sammelt auf seinem Schloß (geerbt von einem Eremiten mit Säcken von Gold im Keller, aber das braucht er nicht) jede Menge Verrückter. Und da er selbst ziemlich daneben ist, verstehen die sich alle prima, und jeder macht beim anderen ungefähr genauso mit, wie man auf der hellen Friedrich-Leontin Seite einander ständig Gedichte zuwirft. Und durch die regelmäßige häusliche Beschäftigung auf der Burg werden all die Verrückten dann mit der Zeit vernünftig und können zum Leben in die Welt geschickt werden. Leider kann Rudolf den fromm gewordenen kleinen Bruder nicht aushalten und flieht nach Ägypten. Friedrich also landet im Kloster, weil das sozusagen das höchste Ziel der Poesie ist.

Was ich ja nun schön finde.

Es geht also um Kunst und Poesie  und das Wahreguteschöne, alles hochgebildet und in lauter Liebeshändel, Jagdgesellschaften und Picknicks umgesetzt.

Späterer Einschub: Faber, der ordentliche Handwerker-Künstler und dritte Alternative zwischen Kunst als Weg zur Religion und Kunst als bloßes genialisches Selbstverwirklichungsspielzeug, mag die romantische Rezeption Joseph Haydns spiegeln…

Ein großes Wort habe ich auf S. 312 gefunden.

Da heißt es über Leontin, der in die USA flieht

„Denn wer, von Natur ungestüm, sich berufen fühlt, in das Räderwerk des Weltgangs unmittelbar mit einzugreifen, der mag von hier flüchten, soweit er kann. Es ist noch nicht an der Zeit, zu bauen, solange die Backsteine, noch weich und unreif, unter den Händen zerfließen. Mir scheint in diesem Elend, wie immer, keine andere Hilfe als die Religion. Denn wo ist in dem Schwalle von Poesie, Andacht, Deutschheit, Tugend und Vaterländerei, die jetzt wie bei der babylonischen Sprachverwirrung schwankend hin und her summen, ein sicherer Mittelpunkt, aus welchem alles dies zu einem klaren Verständnis, zu einem lebendigen Ganzen gelangen könnte? Wenn das Geschlecht vorderhand einmal alle seine irdischen Sorgen, Mühen und fruchtlosen Versuche, der Zeit wieder auf die Beine zu helfen, vergessen und wie ein Kleid abstreifen und sich dafür mit voller, siegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte, wenn die Gemüter auf solche Weise von den göttlichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet, erweitert, gereinigt und wahrhaft durchdrungen würden, daß der Geist Gottes und das Große im öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne, dann erst wird es Zeit sein, unmittelbar zu handeln und das alte Recht, die alte Freiheit, Ehre und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzuführen. Und in dieser Gesinnung bleibe ich in Deutschland und wähle mir das Kreuz zum Schwerte. Denn, wahrlich, wie man sonst Missionarien unter Kannibalen aussandte, so tut es jetzt viel mehr not in Europa, dem ausgebildeten Heidensitze.“

Schön!

Aber sonst? Wer soll sowas lesen? Mit seiner verquasten Erotik und undurchdringlichen germanistischen Gelehrsamkeit. Hätte mich das je eingefangen? Es ist interessant nur für mein Anliegen, deutsches Selbstverständnis und Orthodoxie zusammenzudenken.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten> 600
AutorEichendorff, Josef von

Kommentare

Kommentar zu: Eichendorff, Josef von – Ahnung und Gegenwart.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert