
Christian Friedrich Hebbel war ein deutscher Dramatiker, Lyriker und Erzähler. Sein Pseudonym in der Jugend war Dr. J. F. Franz. Wikipedia
Meinung
Cornelia meint:
Judith 1840
Eigentlich ist das vom Thema her interessant: wie die umwerfend schöne Hebräerin den grausamen Holofernes einen Kopf kürzer macht. Aber das biblische Zeugnis wird nicht dadurch besser, dass man es mit allerlei menschlichen Motivationskreisen umschnürt. Holofernes ist da nicht nur ein Werkzeug in Gottes Hand, sondern zugleich ein vorweggenommener Übermensch, der „vor Kraft nicht leben“ kann und in seinen sadistischen Selbstvergottungsphantasien letztlich nur das sich Selbst Ermorden sich als Ausweis seiner Göttlichkeit vorstellen kann. Das mit dem Ermorden übernimmt dann aber Judith, die allerdings ihrerseits über-motiviert daherkommt. Denn zum in ihrer Seele erwachten göttlichen Ruf (der eigentlich sehr schön in menschliche Zweifel eingepackt wird, so wie das dem aufgeklärt Neuzeit Gläubigen im Westen plausibel erscheinen muss) kommt noch ein schräges Gemisch aus Abwehr und Anziehung, das auf eine ebenso schräge Vorstellung weiblicher Erotik verweist. Einsehbar, dass sie als Powerfrau schwache Männer (Ephraim) langweilig findet (heute würde sie ihn in Küche und Kinderzimmer versetzen), aber dass ihre Haupt-Sünde nicht der Mord ist, sondern (so scheint durch) ein gewisses Vergnügen beim Vergewaltigtwerden – mit solchen Sachen möchte ich eigentlich nicht belämmert werden. Da bleibt ihr am Ende nur, nach Rückkehr und Jubel, den Priester zu erpressen, er soll sie, falls da ein Kind entstanden sein sollte, töten.
Ulkigerweise wird im Wikipedia-Artikel diese Schattierung völlig verkannt. Da ist nur die Rede davon, dass Judith wütend ist, durch Holofernes in ihrer Frauen-Ehre beleidigt worden zu sein. Verrückt: das war doch ihr Plan von Anfang an. Was hätte sie da zu klagen?
Genoveva
Interessant, wie in einer ent-kirchlichten Zeit doch das Christentum wie eine Art Alptraum noch auf den Menschen lastet. Es ist, als habe es die Psyche der Menschen gleichsam durchwurzelt, und der Kampf ist nun, all diese Wurzeln einzeln herauszuziehen und zu kappen – wobei paradoxerweise die eigene innere Leere durch solches Wurzelschlachten überdeckt werden kann. Man meint, man setze frischen Boden frei für die Blumen des guten Lebens. Und am Ende bleiben immer noch nur die Schnipsel übrig, mit denen man seine geistige Blöße zudeckt.
Jetzt also geht es an die Heiligkeit der Genoveva, und die wird, gut Augustinisch, mit Sexualitäts-Verdammung garniert: Ein Auslöser für die Katastrophe ist, dass Genoveva im Umgang mit ihrem lieben Ehemann Siegfried immer so vom Beten absorbiert war, dass der Arme nie ihre Liebe bemerken durfte. Die Schleusen öffnen sich, da er nun auf Kreuzzug geht, und er ist völlig überrascht, dass er plötzlich eine richtige Frau erlebt. Dabei fällt die Arme in Ohnmacht und wird von Siegfried, der die ritterlichen Männerfreundschaften unkritisch absolut setzt, dem jungen Golo in den Arm gepackt, während Siegfried davongaloppiert. Golo hat alles mitgekriegt und raubt der Bewusstlosen einen Kuss, den sie, an Siegfried denkend, erwidert. Da brechen auch bei Golo die Schleusen.
Zweite Ebene: Satanismus. Es wird noch eine echte Hexe eingeführt, die sofort die Lage checkt. Golo verzehrt sich vor Sehnsucht, kann aber an Genovevas eiserne Heiligkeit nicht ran. Margarete bläst ihm die Lösung ins Ohr: Er muss seine Herrin nur kompromittieren, dann hat er sie in der Hand. Gedacht wird das von Golo zunächst als ein under cover Ding, das ihm noch Handlungsfreiheit beim Erpressen ließe. Aber die Dinge geraten durch Margaretes Führung außer Kontrolle: Der treue alte Drago wird beauftragt, sich hinter Genovevas Bett zu verstecken, um zu checken, ob sie nachts Besucher erhält. Auch hier geht dem die Ritterehre und sein Gehorsamsschwur über Vernunft und Glauben – er macht mit, und wird dann mühelos vom ganzen Haushalt des Ehebruchs mit der armen Gräfin beschuldigt, die sich ahnungslos zum Schlafen ausgezogen hat. Ruckzuck wird Drago erdolcht. Genoveva, die sich kaum verteidigen kann (im Nachthemd…) kommt in den Turm, und hat dort auch noch eine Kindsgeburt zu überstehen, bei Wasser und Brot. Das mit dem Erpressen geht natürlich gründlich schief.
Golo findet seine Lage nicht behaglich. Aber hat sich auf das teuflische Projekt eines Gott Versuchens eingelassen: Wenn sie wirklich heilig ist – na, dann wird Gott sie eh so grillen, wie das bei Martyrern üblich ist. Dann ist Golo nur göttliches Instrument, wie fein. Wenn sie nicht heilig ist und eine normale Frau, dann wird er a) genießen, b) sie vernichten, d.h. bestrafen für den Schein der Heiligkeit, d.h. sie gründlich demütigen. Auch darin wird er göttliches Instrument sein, denn Gott mag ja auch keine Scheinheiligen.
All dies wird nicht so direkt ausgesprochen, schimmert aber durch.
Inzwischen ist Siegfried in Straßburg gelandet, wo Margarete teuflisch kompetent seine Wunden versorgt und auch noch den toten Drago heraufbeschwört. Golo, durch diese Vision verstört, reist hin und bringt die schlechten Nachrichten. Und hier ein erstaunlicher Schritt: Siegfried glaubt ihm sofort. Solidarität unter Männern schlägt eheliche Treue. Schickt den Golo zur Exekution. Siegfried will seine Frau nicht mehr lebend sehen müssen. Verrückt. Golo ab und konfrontiert Genoveva mit einem Brief, der sein eigenes, Golos, Geständnis enthält. Den kriegt sie, kann sich damit rechtfertigen, aber gegen Gegenleistung. Sie verweigert sich.
Golo mag das mit Doppelmord nicht gern selbst erledigen, kriegt die Mannschaft ran, die sollen das im Wald erledigen. Aber die können sich über den miesen Job auch nicht einigen, erdolchen einander gegenseitig, zumal der Verrückte Klaus sich zum ersten Mal weigert zu gehorchen. Noch eine Leiche. Der letzte lässt Genoveva laufen, sie will in einer Höhle leben, mit Baby Schmerzensreich. Golo hält das Teufelszeug nicht mehr aus, blendet sich und wird vom Ritter gnadenstoßmäßig ins Jenseits befördert.
Und dann kommt Siegfried und hat gemerkt, dass er zu schnell entschieden hat. Und hätte sie doch gern lebendig, egal Ehebruch hin und her. So geht das 7 Jahre lang, bis man bei der Jagd die Höhle findet. Holdes Wiedersehen, allgemeines Verzeihen, der Begleitritter Caspar macht klar: Margarete war eine Hexe, der Teufel hat sich vors Licht gestellt und alles verkehrt – da alle anderen Ritter sich schon gegenseitig abgemurkst haben, ist Caspar, der damals den Drago erdolchte, der einzige. Und auch ihm ist klar: die Frau war unschuldig. Aber jetzt Versöhnung, dazu der Junge, sie wird bald sterben, hat genug gelitten, und Siegfried hat immerhin einen Sohn.
Vorhang. Brr.
Demetrius
Zunächst war ich fasziniert: der falsche Demetrius wird gegen Boris Godunow als Zar eingesetzt. Hineingefügt Demetrius‘ Sieg mit Hilfe von Polen und Deutschen (mit resultierenden Kultur-Konflikten in Moskau), und ziemliche Verwirrung über vertauschte Babies, ziemlich viel Verrat der russischen Fürsten und das Projekt der Jesuiten, die Orthodoxie unter einem neuen Papst mal eben heimzuholen. Das Ganze hat er sich aus russischen und französischen Geschichtsbüchern zusammengelesen – das Ergebnis ist schablonenhaft. Hübsche Zwischenspiele über Liebe und Mutterschaft und Regierungsweisheit, naja. Interessant der als Findelkind aufgewachsene Demetrius, dem man sein angeborenes blaublütiges Selbstbewusstsein als Frechheit eines Bettlers deutet, bis man gerne an seine hohe Abkunft glaubt, die auch stimmt, nur leider außerhalb der Ehe. Damit ist das Recht des Usurpators futsch, und es ist bewegend, wie der Herausgeber sehr fein hervorhebt, dass dieser an der moralischen Integrität scheitert, die einem Regenten die Liebe seines Volkes sichern würde. Aber um Regent zu werden und zu bleiben, hätte er so viele Leichen mitschleppen müssen, dass das Spiel sich für einen wie ihn, dem es um Reinheit seines Willens ging, nicht gelohnt hätte.
So weit so edel. Aber das unvollendete Werk enthält zu viel Inkohärentes und bloß Dekoratives, so dass man die interessanten Auseinandersetzungen über die Pflichten eines Usurpators und eines Herrschers nicht recht genießen kann. Außerdem: wenn es um orthodoxe Dinge geht (auch wenn dies nur am Rande geschieht) liegt die Latte einfach höher.
Gyges und sein Ring
Viel Kunst an läppische Dinge verschwendet. Gyges als Grieche tritt bei den Lydern auf wie Siegfried in Worms. Räumt alle Preise ab, und der alte König Kandaules liebt ihn als seinen besten Jung-Freund. Königin Rhodope, Import aus Indien, gehört einer Kultur an, die Blick eines nicht-Vater oder -Ehemann-Mannes als tödliche Befleckung wertet. Sie lebt also ein-ge-haremt mit ihren Mädels. Leider – wie sie scharfsinnig erkennt – ist die Liebe ihres Mannes mehr die zum raren Besitz, und so braucht er, nachdem Gyges ihm seine lydische Kampf-Überlegenheit plattgemacht hat, wenigstens den Sieg des Neides. Gyges hat ihm einen Unsichtbarkeits-Ring mitgebracht, und den drängt er nun Gyges auf, damit er mit ins Schlafzimmer kommt und seine Frau guckt. Denn was ist eine Perle schon wert, wenn niemand den Besitzer preist. Gyges, unsichtbar, kann sich bei dem, was er zu sehen kriegt, einen Seufzer nicht verkneifen und klappert, als Rhodope aufschreit und Mord befürchtet mit dem Schwert. Und dann juckt ihn der Hafer und er dreht den Ring, damit Rhodope ihn erblickt. Allerdings so kurz, dass sie in Ungewissheit bleibt.
Diese Mixtur aus bescheuerter Kultur, Eitelkeit und Liebeswahn wird dann durch allerlei Edelmut gedreht, am Ende bleiben zwei Leichen und Gyges geht des Königs Feinde erschlagen.
Info
Erscheinungsjahr | 19. Jh., 2. Hälfte |
Autor | Hebbel, Friedrich |
Kommentar zu: Hebbel, Friedrich – Stücke: Judith / Genoveva / Demetrius / Gyges und sein Ring.