Schiller, Friedrich – Dramen (Die Räuber, Wilhelm Tell u. a.)

(1780 – 1800)

Meinung

Die Räuber 1781

Okay, Religion und Moral sollen in ihr Recht gesetzt werden. Dazu muss der Bösewicht, der sie aufhebt letztlich im Höllenfuror Selbstmord begehen, und der allzu großspurige wenn auch wohlmeinende Karl, der sich die Rolle des Robin Hood angemaßt hat, muss begreifen, dass die „Rache nicht sein, sondern Gottes“ ist, und dass er sich überhoben hat. Leider muss er die arme Amalia auf deren Wunsch auch noch ermorden, denn sie ist lieber tot als ihn an seinen Eid gebunden mit den Räubern abmarschieren zu sehen. Der Vater ist wohl auch vor Schreck schon gestorben. Nun gut.

Interessant in I-2 der Monolog von Franz: die alte Geschichte vom vorgezogenen Bruder, die den Hass sät. Er verachtet die Blutsbande und hat ein ganzes Kapitel über die Fortpflanzung und ihre bloße Zufälligkeit, die keinerlei Pflichten stiftet. Dem Vater braucht man nicht zu danken, denn der hat mich ja nicht gewollt. „Kann ich eine Liebe erkennen, die sich nicht auf Achtung gegen mein Selbst gründet?“ Und die gab es natürlich vor seiner Zeugung nicht. Da hat er echt was am Haken. Man muss also die Familienliebe anders denken, von Gott her, Der Leben schenkt und uns in die Familie reinsetzt.

Karl, wie er endlich erfährt, was der Bruder ihm und dem Vater durchs Anschwärzen angetan hat, flieht, um nicht Rache zu nehmen. Erst als er sieht, dass der Bruder dem doch nicht toten Vater das Verhungern in der Ruine sichern wollte, da will er Rache. Aber der Bösewicht hat sich rechtzeitig selbst erdrosselt. Übrigens vorher mit Höllenfurcht, bei der der Pastor sich wirklich brav hält.

In dem ganzen Stück steckt natürlich, abgesehen vom Bild persönlicher Bosheit und Irrigkeit, auch jede Menge Kritik an der Korruption der Gesellschaft, die den Räubern ein Gefühl für das Rechtmäßige ihres Handelns verspricht, zumindest unter dem Kommando von Karl, der kein Unrecht gegen Unschuldige duldet. Vielleicht ist sowas hilfreich und heilsam gegen wilde last generation Furien? Gegen Jugendliche, die gegen grad alles aufbegehren, besonders gegen den lieben Herrn Papa? Als Gegengift gegen pubertäre Wut? Okay, da vielleicht

Jg, wenn sie Wut haben

Die Verschwörung des Fiesko zu Genua 1784

Interessantes Thema: Gegensatz zwischen alt-römisch zurück-ersehnter Republik und Absolutismus im 16. Jh. Andrea Doria hat durch Klugheit, Gerechtigkeit und Edelmut die republikanischen Leidenschaften der Genueser mit seiner autokratischen Herrschaft versöhnt. Sein Neffe und Nachfolger Dianettino droht, die Nachtseite der Autokratie herauszukehren. Aber die Opposition zwischen Bürgern und Adeligen ist zersplittert. Fiesko spielt aufs Ganze: er will die Revolution so lancieren, dass er am Ende selbst zum Herzog ausgerufen wird. Dazu verstellt er sich als blinder Liebhaber der Schwester des Prätendenten (was seiner armen treuen Ehefrau großes Leid beschert) und begnadigt den schwarzen Auftragsmörder. Dieser, Muslim, beeindruckt, wechselt in seinen Dienst, rettet ihm das Leben, wird aber in seiner Hoffnung enttäuscht, nun die Freundschaft des politischen Genies gewonnen zu haben: der behandelt ihn weiterhin mit Verachtung. Der Mohr, enttäuscht, wechselt erneut. Im Hin und Her der Herzogspartei, die vom Kaiser Karl V militärische Unterstützung erwartet und Fieskos Franzosen und Parma misslingt die Revolte, weil im entscheidenden Augenblick Fiesko von einem der Republikaner umgebracht wird, der keine Lust auf Untertänigkeit hat. Immerhin ist Gianettino auch tot, so dass man sich Hoffnung auf bessere Nachfolge machen kann.

Das Thema ist – wie in den Räubern – Hybris. Aber während dort ein Kraftmeier die göttliche Rache an sich reißen zu sollen glaubt, geht es Fiesko eigentlich nur um sich (und die geliebte Ehefrau Leonore, die aber wie Stückvieh herumgeschoben wird. Als diese mal endlich Initiative ergreift und sich ins Schlachtgewimmel wirft, verkennt Fiesko sie und tötet sie.) und um das Wohl der Stadt nur als Ausfluss der eigenen Kraft.

Die Person Fieskos ist interessant: diese Mischung aus hohem muot und Verbrechen. Ein Bild des Adels als überholte Lebensform.  Andererseits hat der tüchtige Andrea Doria, der immer alles richtig machte, ein Gegenbild geschaffen, das nur in einer Nebenrolle auftaucht. Fiesko ist einfach dramatisch aufregender in seiner Doppelböödigkeit. Scheitert aber an ihr – genau wie die richtigen Bösewichte.

Hist. Jg.

Don Karlos

Hier nun endlich der Schiller meiner Jugend, wie ich ihn liebte und bewunderte, ganz drin lebte. Vom ersten Moment an bin ich mitgerissen. Natürlich ist Karlos ein leidenschaftliches Kleinkind, den erst der Marquis auf seine Verantwortung für das künftige Reich stoßen muss. Großartig die Figur der Königin, in allem Verzicht voller Würde und gutem Willen, ein wahrer Engel, auch, wenn sie endlich ihrem König entgegentritt und Ehre für ihre Würde einfordert. Das ist übrigens ein interessanter prä-feministischer Topos: Die Frau ist durchaus Untertan, diese Rolle erlegt ihr Anmut und Empathie der schönen Seele auf, darin findet sie – in den besseren Ständen – ihre ästhetisch-moralische Vollendung. Aber es gibt die Grenze dort, wo ihre Würde verletzt wird. Anders als in Middlemarch und Romola von George Eliot, wo von einer solchen Grenze nichts mehr übrig ist, wo also die Selbstaufgabe zum missverstanden christlichen Weiblichkeits-Programm wurde, fand ich das auch in Boerners Unwandelbares Herz. Ich sehe darin einen Rest des alten Christentums, das den Gehorsam der Ehefrau in den Grenzen des Gottesgehorsams hielt. Nur ist halt dieser Gott seit der Aufklärung zur Eigenwürde geschrumpft und heute, sagen wir mal, ins Selbstgefühl abgetaucht.

Posa natürlich eine Wonne, obwohl sehr naiv in seiner Forderung nach Gedankenfreiheit. Hier endlich keine Idealtypen, sondern lebendige Menschen. Insbesondere in König Philipp, obwohl Kotzbrocken, wacht dann doch die Sehnsucht nach einem Menschen auf. Er verzweifelt am Ende daran, dass Posa nicht für ihn starb (den jener verachtete), sondern für den Sohn, den der Vater missachtete. Toll.

Eindrucksvoll auch das Grundproblem, das ein Thema aus den Räubern aufnimmt: hier wie dort muss der Held (Posa) erkennen, dass es Hybris war, dort die irdische Gerechtigkeit durchzusetzen, hier das Spiel mit den politischen Zufällen eigenmächtig in die gute Richtung lenken zu wollen. In beiden Fällen scheitert man also daran, sein zu wollen „wie Gott – aber ohne Gott“ – die Urform des Sündenfalls. Das muss man unbedingt lesen und genießen.

Darüber hinaus hat das Ganze auch ein philosophisch-historisches Interesse für uns heutige, die wissen, wie sich die Sache mit der Gedankenfreiheit entwickelt hat. Gegenüber der Aufrechterhaltung einer christlichen Zwangskultur in Spanien (die immerhin einen Rahmen für sehr viel Heiligkeit bot!) vertritt Schiller den festen Glauben an die braven Niederländer, deren Protestantismus die Sache mit Gott und der politischen Ordnung mit der Entwicklung einer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte und zugleich der Sicherung irdischen Glücks verknüpft. Schiller hat keine Ahnung vom Wurm bei der Sache: aus seinen braven Niederländern sind heute die Euthanasie- und Drogen-Förderer geworden.

Hist, Jg

Maria Stuart

Auch hier taucht der Konflikt zwischen effektiver Herrschaftsausübung (Ordnung halten, Glück der Untertanen sichern, diesmal aber verbunden mit „protestantisch bleiben“) und der Sehnsucht nach mitmenschlicher Gemeinschaft in Elisabeth auf. Schiller gibt sie als Aas. Denn sie versucht, beide Bedürfnisse durch Manipulation zu befriedigen und verliert am Ende selbst ihre treuesten Diener (Talbot). Das Rechtssystem, auf das die Briten so stolz sind und das jene Freiheit sichert, auf die Myladi in „Kabale“ so trotzig pocht, – hier wird es der Verachtung (und Verkehrung) preisgegeben. Elisabeth wütet, ganz die absolute Herrscherin, über ihre Abhängigkeit von der „Meinung“ des Volks – als quasi demokratische (oder besser common law gesicherte) Gegen-Macht. Neben dem Konflikt Herrschaft-Menschlichkeit kommt hier also der Konflikt Freiheit des Volks/Freiheit des Regenten zum Ausdruck. Dabei merkt sie in ihrer machtgeilen Verblendung (die natürlich durch ihre illegitime Geburt auch zur Notwendigkeit wird, das muss man zugeben!) gar nicht, wie sehr sie selbst zur Marionette ihrer guten und bösen Berater geworden ist – was sich wohl auch so gehört, denn eine Frau kann ja nicht wirklich souverän herrschen.

Maria hingegen ist den Schicksalsmächten ihrer Zeit wie eine Puppe ausgeliefert, auch ihre frühen Untaten (paar Morde) waren gleichsam unvermeidlich. In Frankreich erzogen, um den Dauphin zu heiraten wird sie nach dessen Tod nach Schottland zurückgeschickt, wo man sie nicht haben will und wo sie, völlig unvorbereitet und hilflos, ein paar falsche Entscheidungen mit Männern trifft.

Zugleich aber ist sie vom Protestanten Schiller in bewundernswerter Weise als glaubens-treue Katholikin gezeichnet. Wo hat der das nur her! Schiller kann genauso traditional christlich, wie Maria das braucht. So wird sie zur Idealgestalt im original christlichen Sinn: die reuige Sünderin. Wunderbar, wie nach dem Zickenkrieg der Königinnen im Garten sie ihre Wut überwindet und das ungerechte Urteil als Buße für die frühen Untaten anerkennt. Auch hier hat Schiller eine Frauengestalt geschaffen, die man liebgewinnen und als Vorbild ansehen kann.

Aber natürlich bleibt dieses Frömmigkeitsbild verdunkelt durch die papistischen Weltverschwörungen, die mit Mord und Rebellion dem wahren Glauben dienen sollen, dabei die Welt in ein Lügennetzwerk verwandeln. Es ist diese miese Hintenrumpolitik, die zur falschen Anklage gegen Maria als Bürgerkrieg-Anstifterin führt und zur Hinrichtung.  Damit hat Schiller ein wahres Bild der Doppelgesichtigkeit papistischen Christentums gezeichnet: Ein durch Zwang und Lüge gewahrter Rahmen für Heiligkeit.

Hist, Jg, Orth

Wallensteins Lager

Hier wird auf geniale Weise im Lagerleben Geschichtsunterricht erteilt. Der Konflikt zwischen Herrschaft und Menschlichkeit taucht auch hier auf: Der Kaiser in Wien sichert die Ordnung im Reich, tut dies aber bürokratisch und menschenverachtend. Der Herzog hat es drauf, seine Mitarbeiter wachsen zu lassen, sie zu respektieren und in ein alt-feudal persönliches Treueverhältnis einzubinden. Da grüßt das Mittelalter. Treue personal versus Pflicht der Institution gegenüber. Hier ist das soldatische Freiheitsleben durch Gehorsam nach oben, aber Rücksichtslosigkeit nach unten hin dargestellt.

Piccolomini

Hier tritt allerdings in der Verteidigung des Bauern gegen den Krieger die umfassende Natur auf der Seite der kaiserlichen Zentralgewalt hervor, also das moralische Prinzip Staat, wie Hegel es später vertreten wird, während Feudal-Herzog Wallenstein bloß seine eigenen Interessen verfolgt (ungefähr wie Fiesko!) und so mit der Zentralgewalt zusammenrasselt.  Während sein Recht auf Autonomie gegen die Zentralgewalt in Wien von Max Piccolomini als das Recht der Begabung, einer Art göttlichen Bevollmächtigung des Fähigen, verschönt wird, zeigt Wallensteins Esoterik die Rückseite solcher Genie-Verherrlichung: die Hybris, man könne sich die Schicksalsgewalten per Stern-Deutung zunutze machen.

In seiner Begeisterung für den Leitstern seiner Jugend gerät Max in Konflikt mit Papa, der es mit dem Kaiser hält, dabei aber das blinde Vertrauen Wallensteins missbraucht. Das empört den Sohn, der mit Herz und Anstand seinen graden Weg weiterlaufen und dem Herzog, zu Papas Entsetzen, alles verraten will. Wobei übrigens Maxens moralisches Herz große Bestärkung erhält durch die Liebe zur Tochter Wallensteins, der inzwischen dessen Schwester, die Gräfin Terzky, einredet, dass sie zu gut für ihn ist. Das Stück endet mit „alles offen“.

Wallensteins Tod

Der Titel setzt die Stimmung. Wir sehen Wallenstein als den großen Sterneträumer, der sich sozusagen zum Himmelsfürsten hinaufträumt. Dann erfährt er, dass sämtliche Geheimnisse an den Kaiser gegangen sind, so dass die Option, die er sich immer noch hatte bewahren wollen, nämlich zum Kaiser zurückzukehren, nicht mehr existiert. Großer Jammer: er wollte doch nur spielen! Er hat doch nur bisschen rum-konspiriert und noch nix getan (nur das ganze Heer auf seine Person verpflichtet – na klar, wie sonst kann man führen und siegen.) Aber da jetzt sein Rum-Ränkeln mal öffentlich geworden ist, muss er sich in die Alternative fügen: Und die heißt: Verrat im Verbund mit Schweden. Die dem Verräter des Kaisers auch nicht so ganz trauen, denn ein Schwede kämpft nicht Landsknecht-artig für den Meistbietenden, sondern für sein Land und seine Bibel. Und jetzt will er, nachdem er in Deutschland die Drecksarbeit gemacht und den König Gustav Adolf geopfert hat, auch ordentlich Land als Lohn.

Dieser Bund ist also Landesverrat für Wallenstein, – keine Wahl.

Max kriegt die Krise. Er beschwört Wallenstein: zieh dich zurück, lebe als Privatfürst, hab Spaß mit Jagd und Gästen, versöhne dich, ich setze das beim Kaiser durch, – aber bitte keinen Verrat. Keine Einigung.

Inzwischen wirbt sein Papa Piccolomini die ganzen Wallenstein-hörigen Generale ab und betrickst Buttler, sich durch Wallenstein tödlich beleidigt zu fühlen und Mordpläne zu schmieden. Letztes Treffen der beiden: Max soll sofort zum Kaiser und versuchen, was noch zu retten ist. Aber vorher muss er Thekla goodbye sagen, das gebietet Maxens Herz – und sein Papa ist machtlos.

Natürlich Großartig. Alles geht schief. Am Ende geht nur Kaiser samt Reich siegreich aus der Sacher hervor, – und man kann es ihnen nicht übelnehmen: Gewohnheitsrecht, Friedensgarantie – da schrumpft das Menschliche auf peanuts.

Überhaupt gerät überall die Menschlichkeit unter die Räder. Max ist das beste Beispiel: ein Ritter ohne Furcht und Tadel. Erst enttäuscht ihn Papas Trickserei, dann Wallenstein durch Verrat an die Schweden, Thekla muss er aufgeben, da bleibt ihm nur noch Heldentod. Derselbe bringt dann auch die Verlobte um und hinterlässt sowohl den am Ende gefürsteten Piccolomini-Vater als auch den verehrten Wallenstein-Feldherrn mit Pfeilen im Herzen. Der Vater hat nix mehr von der Herrlichkeit (war wohl auch nie Interesse-geleitet, sondern einfach Kaisertreu – das aber mit Hilfe teuflischer Tricks), Wallenstein hofft noch, wenigstens die eigene Größe zu retten, wird aber rechtzeitig umgebracht. Was aus den gedungenen Mördern wird, ist unklar, – vermutlich werden auch sie der Staatsraison geopfert. Auslöser ist die unklare Trompeterei, die Buttler als Zeichen der Ankunft der Schweden deutet, obwohl des die Kaiserlichen sind, die den Helden hätten lebendig fassen wollen.

Rasant, wie alles, was alle tun wollen, sich am Schicksal bricht. Auf das Rhabarberrhabarber der Sternenkunkelei mit Seni könnte ich verzichten. Wallenstein ist der Glaube wurscht, ihn interessiert nur sein Stern. Leider betrügt derselbe ihn laufend: Statt auf die günstige Konstellation am Himmel zu warten, hätte Wallenstein zurüsten und machen müssen. Aber dazu trug er die Nase zu hoch. Auch seine Rettung durch Oktavio missdeutet er: der wird ihn später verraten. Seine Jagdhunde, Terzky und Illo, treiben ihn voran, wollen ihn am Ende in Eger sogar zum Handeln zwingen, indem sie den Verrat veröffentlichen – und erreichen nur, dass sie gleich mit-abgemurkst werden, – was aber schon egal ist, denn auf einen grünen Zweig wären sie eh nicht mehr gekommen. Gräfin Terzky, Wallensteins energische Schwester, stirbt würdig, indem sie Gift nimmt. Seine geplagte Ehefrau bleibt gebrochen zurück.

Staatsraison gegen Menschlichkeit und Größenwahn– ein Feuerwerk, das eine genaue Lektüre nicht unbedingt belohnt. Klar wird hier nichts, aber man findet sich durch eine kathartische Dusche gezogen. Alle Grundwerte liegen am Boden. Auch Wallensteins berückende Menschenfreundlichkeit und -Verführerei. Von der Menschlichkeit bleibt nur ein Kometen-hafter Widerschein. Immerhin.

Jg

Jungfrau von Orleans

Ein wunderbares Stück. Schiller hat ganz richtig verstanden: um mit dem Himmel zusammenzuarbeiten bedarf es des Ganzopfers an menschlicher Leidenschaft. In dem Moment, wo diese Leidenschaft Johanna packt, hat sie ihr Vertrauen in die göttliche Gnade verloren. Schiller lässt hier offen, ob das nur subjektiv ist oder ob die Gnade wirklich weg ist. Er weiß es halt nicht besser. Zutiefst berührend, wie Johanna gegenüber den blöden Teufels-Anklagen des verblendeten Vaters schweigt, auch dann, wie alle sie fallenlassen, außer dem treuen Verehrer. Da verhält sie sich absolut heilig: Gott wird sie rechtfertigen. Wie sie dann aber in Ketten liegt und jeden Moment von der Königin Isabeau erstochen werden kann, falls die Franzosen siegen, und wie sie die drohende Niederlage wahrnimmt, alle Ketten sprengt und den Sieg herbeiführt unter Einsatz ihres Lebens – ganz, ganz wunderbar. Nur eines kann man aussetzen daran: eine solche wunder-wirkende göttliche Gnade wird bei uns nicht für politische Ziele eingesetzt. Gewiss, Frankreich verteidigt sind. Trotzdem.

Jg, Hist. Orth

Wilhelm Tell

Begeisternd. Unbedingt die historischen Hintergründe klarkriegen. Das Gegenüber von „die anderen“ und „der Held“ lässt den Helden (genau wie den jungen Piccolomini) schon ein wenig arg als Idealgestalt erschienen, dem man ein paar rote Bäckchen gemalt hat, damit er lebendig aussieht. Der Mann der Tat, selbstlos (zum Entsetzen der armen Ehefrau), verantwortlich, am Ende arg drauf aus, seinen Gessler-Mord vom Kaisermord des schlimmen Schwaben zu unterscheiden, aber dann trotzdem mit genug Humanität, um dem Kaisermörder den Fluchtweg zu weisen (während das sonstige Volk die Krokodilstränen der Königinwitwe kühl ins Leere laufen lässt, weil der Kaiser eh nie geholfen hat). Gessler ist schon ein arges Ober-Ekel, auch er ein Ideenträger. Und der junge Rudenz wandelt sich schon ein wenig fix vom jeunesse dorée Anbeter zum braven Schweizer, sobald seine Angebetete ihm die Richtung weist. Aber wenn man sich erstmal auf das Ideenstück eingelassen hat, ist natürlich von großer Schönheit hier das Ideal der einig sich selbst regierenden Bürger und ihrer adeligen Herren, die menschlich von gleich zu gleich die Schutz-Verpflichtung für den eingeforderten Dienst wahrnehmen. Dieses persönliche Treue-Verhältnis vom Herrn zum selbstbewusst freisinnigen Knecht – das ist schon ein herrliches Bild persönlicher Herrschaft. Wallenstein war ja auch so eine Art Herr (wenn er auch noch nebenher eigene Süppchen kochte), Egmont auch – Fiesko jedoch gerade nicht.

Jg

Weitereres, nicht so für die Zielgruppe Geeignetes:

Kabale und Liebe

Reißt mich auch nicht vom Hocker. Das ganze ist so konstruiert. Da laufen lauter Ideen rum, denen notdürftig ein bisschen Charakter übergezogen wurde, das Ganze mit geistreichstem Witz garniert. Es lässt mich kalt. Dieser Ferdinand hätte sich mal überlegen sollen, wie das mit der Liebe zur Luise werden soll, die Mutter ist an allem schuld wegen ihrer Strunzdummheit und verfehltem Ehrgeiz für Töchterchen, Miller ist ein braver Bürger, der am Ende die Goldstücke annehmen will, obwohl der Präsident schon klargemacht hat, dass es um ein Honorar für die Hure geht. Ansonsten alles Bösewichte. Außer der Mylady, edler Herzens-Sinn unter fataler sozialer Lage, teutscher Jüngling hat seine Jungfräulichkeit bewahrt und lässt sie abblitzen, dann auch noch der Zickenkrieg zwischen ihr und Luise, wo Luischen plötzlich brilliant argumentiert, wo sie doch eigentlich die große Naive der Gefühle sein sollte, – obwohl, halt, sie hat ja selbst rechtzeitig gemerkt, dass sie die Ordnung der Dinge durcheinanderbringen würde, würde sie nicht auf ihre Liebe verzichten. Armes Kind, mit kaum 16!

Ende gut, alle tot – ach je, ne!

Die Braut von Messina

Schön gedichtet, klar, das geht alles glatt runter und die Chöre sind unterhaltsam genug und geben viel Gedankenstoff.  Verstimmend aber an diesem antikisierenden Experiment das religiöse Durcheinander: da wahrsagen arabische Sterndeuter und Mönche je was anderes, da singen die Mönche Gebete und trotzdem werden die Götter angerufen – dieser Mischmasch ist fatal. Zu recht vergessen als reines Kunst-Experiment.

Info

Erscheinungsjahr18. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorSchiller, Friedrich

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