Thema: Orthodoxie und Medizin II: Entscheidungen zum Lebensanfang und seine pastorale Begleitung

Focs-Treffen im Juni 2025 bei Vater Stefan in Offenbach

Das Treffen fand, wie immer, in der Trapeza von Vater Stefans Doppelkirche statt, die inzwischen auch wunderschön mit Fresken ausgemalt ist. Passend zum Thema hatten die 24 Erwachsenen etliche kleine Kinder mitgebracht, die aber in ihren Känguruh-Taschen bei Vätern und Müttern wenig Protest äußerten. Umso mehr hatten alle anderen beizutragen, unter ihnen etliche Ärzte, die entscheidend zur Sachgerechtigkeit unserer Gespräche sorgten.

Zunächst sprach Vater Stefan über Pastorale und liturgische Begleitung im Blick auf den Anfang des Lebens. Dabei ging es nicht nur um die Feier einer erfolgreichen Geburt und die Einführung des neuen Himmelsbürgers in die Kirche, sondern auch um Fragen nach dem Ritus der Reinigung der Mutter (und zugleich auch um die Tradition, menstruierenden Frauen von der Teilnahme an der Kommunion abzuraten: eine Einladung zur asketischen Erinnerung an die entscheidende Rolle der Frau beim Sündenfall). Vielmehr ging es zugleich um die Begleitung von Eltern, deren Kind nicht am Leben bleiben konnte (oder krank zur Welt kam). Lebhafte Diskussionen knüpften sich an Vater Stefans Bereitschaft, hier zur Reue über eigene Fehler anzuregen. Während wir anderen hauptsächlich Mitgefühl und Trost einfordern wollten, erinnerte Vater Stefan daran, dass solche Begleitung in der Regel im Heim der betroffenen Familie stattfindet. Und wenn er sich dort zuerst gegen einen dröhnenden Fernseher durchsetzen muss und sieht, wie kleine Kinder auch an der stillgestellten Glotze hängen, wenn dort nirgends eine Ikone auf ein häusliches Gebet hinweist, – nun, dann hat er schon gleich einige Anregungen parat, wie man sich auf das nächste Kind ein wenig bewusster christlich vorbereiten könnte.

In der Tagung

Den zweiten Vortrag hielt unser neues DOM-Mitglied Nikolaja Naumann, Krankenschwester und ehrenamtliche Religionslehrerin, die neben Ehemann und Baby auch gleich Mutter und Schwester mitgebracht hatte. Hier ging es beim Ethos der Verhütung gründlich zur Sache: die Trennung von Sexualität und Reproduktion als Verweigerung der Mitarbeit mit Gottes schöpferischen Energien. Aber soll Sexualität – in der Zeit nach Paulus – wirklich allein der Fruchtbarkeit dienen? Ist jede Form der Verhütung Sünde? Für viele Teilnehmer war neu, dass auch die harmlos scheinenden Hilfsmittel (Spirale, Pille) tatsächlich die Entstehung eines neuen Menschen nicht nur verhindern, sondern das bereits befruchtete Ei (mit dem das Menschenkind schon in Erscheinung tritt) entweder direkt chemisch oder durch Verhinderung seiner Einnistung gezielt töten. Die Sache ist also nicht so harmlos (als Verhinderung der Vereinigung von Samen und Ei), wie sie immer dargestellt wird. Zwar bekundet auch die von den Vatikanern erlaubte „natürliche Verhütung“ eine (nicht nur relativ unsichere, sondern auch) das göttliche Geschenk der Fruchtbarkeit zurückweisende Selbstsucht. Aber immerhin kann so die aktive Tötung vermieden werden. Natürlich geht es im orthodoxen Leben nicht um moralisches Erlaubt- oder Verbotensein, sondern um Heiligkeit. Es bedarf aber weiser pastoraler Begleitung, um zwischen dem Wünschbaren und dem je und je von Eltern (gesundheitlich und ökonomisch) Leistbaren zu unterscheiden.

Nach einer sehr lebhaften Diskussion wandte sich Preoteasa Dr. med. Claudia Podasca dem komplementären Problem zu: dem Unerfüllten Kinderwunsch. Einerseits sollen wir Kinder als göttliches Geschenk ansehen, und ihr Fehlen als eine göttliche Einladung zu vertieft geistiger Elternschaft verstehen, sei es durch Adoption eines fremden Kindes, oder durch Hinwendung zu Menschen, die Hilfe brauchen. Mit solch geistlicher Elternschaft lässt sich ja auch die oft einengende Wirkung vermeiden, die in „normalen Familien“ leicht dazu verführt, alle Energie auf die „Eigenen“ zu konzentrieren. Das Leiden am aufgezwungenen Verzicht auf die Freuden des Elternseins kann zur Nachfolge Christi werden, wenn, wie Vater Stefan ausführte, dieses Leiden mit ausgebreiteten Armen getragen wird, d.h. wie von Christus am Kreuz mit der Hingabe an andere Menschen verknüpft. Im zweiten Teil ihres Vortrags behandelte Claudia die Not-Lösungen, die in der pastoralen Fürsorge häufig erforderlich sind, um geistlich noch nicht fortgeschrittene Paare vor einer enttäuschten Abwendung von der Kirche zu schützen. In solchen Fällen ist – im Geist einer den Sonderfall berücksichtigenden oikonomia – auch eine Erlaubnis zur ärztlich assistierten Fortpflanzung möglich, solange diese unter strengen Einschränkungen (nur ein befruchtetes Ei, und ohne Zuhilfenahme fremder „Spenden“) vorgenommen wird.

 Der letzte Vortrag von Cornelia Hayes galt der Säkularen Ethik der Reproduktionsmedizin als Herausforderung für Orthodoxe. Sein erster Teil legte die Zweideutigkeit, mit der jeder moderne Autonomie-Gewinn für Frauen (durch die legale und häufig auch öffentlich finanzierte Verfügbarkeit von Hilfsmitteln zur Verhütung, von Abtreibung, assistierter Befruchtung, Kryo-Konservierung, von Möglichkeiten zur pränatalen und prä-Implantations- Diagnose – auch im Blick auf genetische Anlagen -) doch immer wieder neuen gesellschaftlichen Druck erzeugt (Erwartungen hinsichtlich der sexuellen Verfügbarkeit von Frauen, hinsichtlich der Vermeidbarkeit oder auch Machbarkeit von Kindern, von unbegrenzter Verfügbarkeit für den Arbeitgeber, von „verantwortlicher“ oder „wohltuender“ Elternschaft, die das Entstehen behinderter Kinder vermeidet und die Schwangerschaft in ein „Projekt“ mit offenen Optionen verwandelt). Im zweiten Teil ging es darum, die orthodoxe „Gemütlichkeit“ unseres Heils-Wissens (und unserer Orientierung an des Heiligen Basilius Antwort auf die Frage nach dem rechten Gebrauch der Medizin) durch die Diskussion einiger schwer zu beurteilender „Fälle“ gründlich aus dem Gleichgewicht zu bringen: Wie viel an Schwerbehinderung darf man einem geretteten Kleinkind zumuten? Tragen wir mit unseren Reproduktions- und Lebens-Erhaltungs-Entscheidungen auch eine gesellschaftliche Verantwortung (im Blick auf begrenzte Ressourcen)? Und darf man ein Kind als Blutspender für ein schwer erkranktes Geschwisterkind „planen“?

   Es war ein sehr lebendiges Treffen – die innere Betroffenheit der Anwesenden war spürbar. Und natürlich hat es geholfen, von Franziska Stummer, Valeria Olariu und Ana Sasu köstlich verpflegt zu werden. Allen dreien einen herzlichen Dank für ihre Hilfe!

Cornelia Hayes

Alles über FOCS erfahren Sie HIER

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert