Sag mir, wie Du mich siehst, und ich sage Dir, wer Du bist
Tatsächlich scheint über Kirche wenig Konsens zu bestehen. Zumindest wird über „Probleme der Kirche“ heute kontrovers diskutiert: Verschiedenen Lösungsansätzen liegen offensichtlich verschiedene Vorstellungen darüber zugrunde, was Kirche ist, kann und soll.
– Auf der akademischen Ebene z.B.: die Bedeutung der Finanzierung orthodoxer Fakultäten für Lehrinhalte und Freiheit der Forschung, Fragen der Liberalisierung der Theologie, Anpassung kirchlicher Kanonen an die moderne Welt, deren ökumenistische Allversöhnungs-Ansprüche.
– In der Öffentlichkeit z.B.: die Beziehungen zwischen dem Phanar und Rom, die unkanonische Vielzahl von Diözesen auf gleichen Territorien in den westlichen Ländern, Spaltungen wie in der Ukraine und Mazedonien, das Schisma zwischen dem Phanar und Moskau, der Phyletismus als Hindernis örtlicher Mission in nicht-orthodoxen Ländern.
Wo liegt da jeweils die Wahrheit?
Der Heilige Irenäus von Lyon hat dazu in seiner Schrift gegen die Häresien gesagt, man dürfe
Gegen die Haeresien Buch III Kap. 4
1 …nicht lange bei andern nach der Wahrheit suchen. Ohne Mühe kann man sie von der Kirche in Empfang nehmen. In sie haben die Apostel wie in eine reiche Schatzkammer auf das vollständigste alles hineingetragen, was zur Wahrheit gehört, so daß jeder, der will, aus ihr den Trunk des Lebens schöpfen kann. Sie ist der Eingang zum Leben; alle übrigen sind „Räuber und Diebe“ . Diese muß man deshalb meiden, alles aber, was zur Kirche gehört, auf das innigste lieben und die Überlieferung der Wahrheit umklammern. Sollte jedoch über eine unbedeutende Frage ein Zwiespalt entstehen, dann muß man auf die ältesten Kirchen zurückgehen, in denen die Apostel gewirkt haben, und von ihnen die klare und sichere Entscheidung über die strittige Frage annehmen. Hätten nämlich die Apostel nichts Schriftliches uns hinterlassen, dann müßte man eben der Ordnung der Tradition folgen, die sie den Vorstehern der Kirchen übergeben haben
Das macht Hoffnung: In kirchlichen Streitfragen finden wir an der Kirche der Apostel klare und sichere Orientierung. Fein, denkt man: graben wir die frühen Quellen aus, dann lösen sich alle Probleme.
Nun. Christus Selbst war skeptischer. Er sagte äußere Feinde voraus:
Mt 10,16-18
Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben! Nehmt euch aber vor den Menschen in Acht! Denn sie werden euch an die Gerichte ausliefern und in ihren Synagogen auspeitschen. Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt werden, ihnen und den Heiden zum Zeugnis.
und innere
Mt 7,15
Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch in Schafskleidern, im Inneren aber sind sie reißende Wölfe.
Auch Paulus
Apg 20,29 f.
Ich weiß: Nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen. Und selbst aus eurer Mitte werden Männer auftreten, die mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihre Seite ziehen.
sieht Wölfe von außen und Uneinigkeit von innen. Die Kirche der Apostel war selbst schon voller Streit und Unfrieden.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Geht es uns denn wirklich gar nicht besser als unseren christlichen Brüdern im Westen? Dort gibt es ja auch genug Streit!
Nun heißt es:
Joh 7,16
An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.
Und wie genau bewerten wir welche Früchte?
Es gibt einen wesentlichen Unterschied: Im Westen steht „Kirche“ im Plural. „Kirchen“ sind hier politische Akteure, moralische Instanzen im öffentlichen Diskurs, Religionsgemeinschaften mit sozialer Stützfunktion und psychologische Dienstleister für Lebenskrisen. Sie erscheinen als gefährdet unter dem Druck der Gemeinschafts-feindlichen Moderne, verstrickt in ökonomische Überlebensstrategien beim Wegsterben ganzer Gemeinden, und belastet durch moralische Verfehlungen.
Verfehlungen gibt es auch bei uns. Sie stehen nur weniger im Vordergrund. Der Fokus liegt auf der Kirche im Glauben:
Wir bekennen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.
Was aber heißt: heilig – bei all dem Unfrieden?
Drehen wir mal die Blickrichtung: Wird denn unser eigenes Denken und Reden über Kirche dieser Heiligkeit gerecht? Oder nehmen wir immer bloß Partei und sprechen unseren Gegnern jede Heiligkeit ab? Wie heilig bin ich eigentlich selbst, wenn die Kirche „das Heilige den Heiligen“ ausgerechnet auch für mich bereithält?
Bin ich zum Urteilen überhaupt berechtigt? Als Schaf, und – Schäfin?
Der Hirte des Hermas beschreibt die Kirche in drei Visionen. Da erscheint sie jeweils anders.
Der Hirte Buch I Gesicht III Kap. X
3. Bei dem ersten Gesichte voriges Jahr war sie mir, Brüder, als eine ganz alte Frau, auf einem Sessel sitzend, erschienen.
4. Bei der zweiten Erscheinung hatte sie ein jüngeres Gesicht, aber einen alten Körper und graue Haare, und sie stand, als sie mit mir sprach; sie war aber in besserer Stimmung als das erste Mal.
5. Bei der dritten Erscheinung war sie ganz jung und von ausgezeichneter Schönheit, nur hatte sie graue Haare; aber sie war fröhlich bis zum Schlusse und saß auf einer Bank.
Warum erscheint sie in der ersten Vision alt, schwach und wackelig, in der zweiten mit jüngerem Gesicht, gestärkt und schon in besserer Stimmung, und in der dritten trotz gleichbleibenden Alters verschönt, verjüngt und fröhlich?
Die drei Hermas geschenkten Visionen entsprechen seiner jeweils eigenen Geistesverfassung: Zur Zeit der ersten Vision war er selbst schwach und voller Zweifel; danach hatte Gott seinen Geist und Glauben gestärkt, und zum Zeitpunkt der dritten Vision hatte Hermas sich aus Dankbarkeit bereits selbst bemüht seine Gesinnung zu ändern:
Der Hirte Buch I Gesicht III Kap. XI 2- XIII
2. Warum sie bei dem ersten Gesichte dir alt erschien und auf einem Sitze ruhend? Weil euer Geist schon alterte und schon abgezehrt war und keine Kraft mehr hatte wegen eurer Schwäche und eurer Zweifel;
3. wie nämlich die alten Leute, weil sie keine Aussicht haben, wieder jung zu werden, nur noch auf das Einschlummern warten, so habt auch ihr, durch die zeitlichen Sorgen geschwächt euch der Sorglosigkeit überlassen und habt nicht alle eure Sorgen auf den Herrn geworfen66; vielmehr wurde euer Sinn niedergebeugt, und ihr seid gealtert durch eure Kümmernisse.“
4. „Warum sie auf einem Sessel ruhte, möchte ich wissen, Herr.“ „Weil jeder Schwache sich auf einen Ruheplatz niedersetzt wegen seiner Schwäche, damit die Schwäche seines Körpers überwunden werde. Damit hast du die Bedeutung des ersten Gesichtes.“
12. Kap.
Die Deutung der zweiten Gestalt. . „Bei der zweiten Erscheinung sahest du sie stehend, mit einem jugendlicheren Gesichte und fröhlicher als das erste Mal, nur mit älterem Körper und grauem Haar. …
2. Wenn einer schon alt ist und sich schon wegen seiner Schwäche und seiner Armut aufgegeben hat, dann erwartet er nichts anderes mehr als den letzten Tag seines Lebens; da fällt ihm plötzlich eine Erbschaft zu, und er springt bei der Nachricht hiervon auf, und voll Freude bekommt er wieder Kraft und bleibt nicht mehr liegen, sondern steht auf, und sein Geist, der infolge der früheren Arbeiten schon abgemattet war, lebt wieder auf; er bleibt nicht mehr sitzen, sondern rührt sich männlich: so ist es auch euch ergangen, als ihr die Offenbarung hörtet, die euch der Herr gegeben hat.
3. Weil er sich erbarmt hat über euch, hat sich auch euer Geist erneuert, habt ihr eure Schwäche abgelegt, habt ihr wieder Kraft geschöpft und seid wieder stark geworden im Glauben, und als der Herr eure Erstarkung sah, freute er sich; und deshalb hat er auch den Bau des Turmes geoffenbart…“
13. Kap.
Erklärung der dritten Gestalt. . „Bei der dritten Erscheinung sahst du sie jung, schön, fröhlich und von edler Gestalt
2. Wie nämlich ein Trauriger, dem plötzlich eine gute Botschaft zukommt, sogleich das alte Leid vergißt und nichts anderes erwartet als die (Erfüllung der) frohen Botschaft, von der er hörte, und wie er künftighin stark sein wird im Hinblick auf das Gute und wie sein Geist sich erneuert wegen der Freude, die ihm zuteil geworden, so habt auch ihr eine Erneuerung eures Geistes erlebt, als ihr diese Güter sahet.
3. Und wenn du sie auf einer Bank sitzen sahest, so wisse, daß es ein starker Sitz war, weil die Bank vier Füße hatte und fest stand; denn auch die Welt beruht auf vier Elementen.
4. Wer also völlig sich bekehrt, wer nämlich aus ganzem Herzen seine Gesinnung ändert, der wird neu werden und fest gegründet.
Die jeweiligen Bilder der Kirche spiegelten mithin seinen eigenen Seelenzustand.
Vgl. auch Hermas Hirte III-IX-I 1-3
1. Als ich die Gebote und Gleichnisse des Hirten, des Engels der Buße, aufgeschrieben hatte, kam er zu mir und sprach zu mir: „Ich will dir zeigen, was dir der Heilige Geist gezeigt hat, der in der Gestalt der Kirche mit dir gesprochen hat; jener Geist nämlich ist der Sohn Gottes.
2. Da du nämlich zu schwach warst im Fleische, wurde dir keine Offenbarung durch einen Engel gegeben. Nachdem du dann gestärkt warst durch den Geist und gekräftigt in deiner Kraft, so daß du auch den Anblick eines Engels ertragen konntest, da wurde dir durch die Kirche der Bau des Turmes geoffenbart; du hast alles schön und würdig geschaut, wie wenn eine Jungfrau es dir gezeigt hätte. Jetzt aber wird dir die Offenbarung von einem Engel durch denselben Geist gegeben.
3. Aber du sollst durch meine Vermittlung alles genauer kennen lernen. Deshalb wurde mir auch von dem herrlichen Engel der Auftrag gegeben, in deinem Hause zu wohnen, damit du alles mit starkem Sinne sehest, nichts fürchtend wie das erste Mal.“
Gilt das auch für uns? Spiegelt jene soziologische Sichtweise, die nur Mißbrauch und Sünde sieht, das unreine Herz des Betrachters?
In
Hermas Hirte III-IX-XXXIII
1. All das, was hier oben niedergeschrieben ist, habe ich, der Hirte, der Engel der Buße, den Dienern Gottes dargelegt und verkündigt. Wenn ihr also glaubet, auf meine Worte höret, in ihnen wandelt und eure Wege bessert, werdet ihr das Leben haben können. Wenn ihr aber verharret in böser Gesinnung und das Unrecht nicht vergesset, so wird keiner von dieser Verfassung leben in Gott. Ich habe euch all das, wie ich mußte, gesagt.“
2. Zu mir sprach der Hirte selbst noch: „Hast du mich nach allem gefragt?“ Ich sagte: „Ja, Herr.“ „Warum hast du mich nicht gefragt nach der Form der Steine, die in den Bau kamen, deren Formen wir ausgefüllt haben?“ „Das habe ich vergessen, Herr.“
3. „Vernimm mich jetzt darüber. Das sind die, welche jetzt meine Gebote gehört und aus ganzem Herzen Buße getan haben. Als der Herr sah, daß ihre Buße gut und rein sei und daß sie in ihr verharren werden, befahl er, ihre früheren Sünden zu tilgen. Diese Formen waren nämlich ihre Sünden; sie wurden ausgefüllt, damit man sie nicht mehr sehen kann.“
erfährt Hermas, daß die ihm gewährten Visionen und Lehren über die Kirche zu seiner Verbesserung und der seiner Hörer dienen sollten. Hier ist das Reden über die Kirche pastoral angelegt: Es geschieht innerhalb des Lebens der Kirche.
FAZIT
Vielleicht könnten auch wir in einer Weise über Kirche denken und reden lernen, die selbst schon „kirchlich“ ist, also uns und unseren Gesprächspartnern geistlich weiterhilft.
Meine Überlegungen haben vier Teile.
Sie behandeln zunächst
– (I) die unmittelbaren Wirk-Ursachen für das Aufscheinen der Kirche in der Welt, dann
– (II) ihre Einbettung in Gottes Heilsplan, weiterhin
– (III) ihre diesem Plan entsprechende Berufung und schließlich
– (IV) die Weise, in der sie dieser Berufung folgt.
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