Aitmatow, Tschingis – Die Richtstatt

Meinung

Anderer Titel: Der Richtplatz

(von Cornelia) Überwältigend, wenn auch befremdlich anti-christlich. Andererseits kommt der Held Awd trotz Modernismus, der ihn aus dem Seminar fliegen läßt, nicht vom Glauben los – obwohl er den auch als Menschen-Konstrukt ansieht. Irritierend die Pilatus-Szene, die sich extrem eng an Bulgakovs Master and Margarita  anlehnt. Haben beide Anatole France 1902 Procurator von Judäa gelesen? Die acts of Nicodemus? Nein, Aitmatov hat das einfach übernommen, nur die Rolle des Jesus stärker gemacht. Für ihn, d.h. für Awd, ist die Jesusgeschichte eine der großen „Inspirationsmythen“ der Menschheit, und er denkt, man lebe halt in solchen literarischen Kathedralen.

Drumrum die Natur, mit ihrer Schönheit, ihrer Grausamkeit, die dann auch dem Schöpfer angelastet wird.  Das Wolfspaar als Helden. Dann der Eingriff gieriger und törichter Menschen in den natürlichen Kreislauf, die Zerstörung der Steppe Munkunjun oder so, Antilopen-Ausrottung, um das Fleisch-Soll zu erfüllen. Awd will das Land gegen zwei Übel verteidigen, einerseits die Drogensucht, also den Mißbrauch der Munjunkum, indem er die Drogensucher dort bekehren will, was ihn fast umbringt, ein andermal, als er die Fleischbeschaffer bekehren will, die ihn im Kampf gegen das Böse dann endgültig kreuzigen.

Dann gibt es noch die Georgier, deren Helden von der Sowjetmacht zerstört werden. Hin ist hin.

Dann Boston, den guten Arbeiter, der in Harmonie mit der Natur leben will, was aber die Polit-Fritzen verhindern, weil die Idee, daß jeder für seine Familie und Herde schaffen will, dem Sozialismus widerspricht. Auch er geht an der Bosheit der Mitmenschen und ihrer Gier zugrunde. Und die Wölfin, der man die dritte Kinderschar geraubt hat, leidet unendlich, und raubt endlich Bostons Büblein, will ihn säugen wie ihr eigenes Junges. Der Vater erschießt beide. Hier im letzten Teil regieren die Götter der Berge und der Wasser. Ganz Heidentum.

Ich sehe das Ganze als einen Versuch, gegen die Maschinerie des Sozialismus Natur, Kultur, und Mythen wieder zum Leben zu erwecken. Das ist sehr bewegend und anregend, aber man sollte das als Diskussionsmaterial benutzen: die verschiedenen Pilatusgeschichten vergleichen, den Modernismus Awds mit Tolstoj, und dann gibt es diese Natur-Romantik, gegen die man eine angemessene menschliche Herrschaft durchsetzen muß. Also in diesem Sinne ist das ein gutes Materialbuch.

Später: Diese Kreuzigung von Awd – das highlighted die Unangemessenheit einer Christusnachfolge ohne Kirche. Und überhaupt: die Boston-Mythologie, nagut, kann man machen. Aber die ganze Rezeption des christlichen Abendlandes ist verdünnter Tolstoi.

Info

Erscheinungsjahr1986
Seiten400
AutorAitmatow, Tschingis

Kommentare

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Peter A.

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Ich mag den Tschingis unheimlich, habe über Djamila in der Schule einen Aufsatz schreiben müssen, aber trotzdem.
(Noch ein Testkommentar)

3 Jahren ago
Peter A.
Peter A.

Testkommentar

Das ist wirklich nur ein Testkommentar. Hab das Buch kurz vor der Wende gelesen. Damals war es interessant.

3 Jahren ago

Kommentar zu: Aitmatow, Tschingis – Die Richtstatt.

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