Droste-Hülshoff, Annette von – Gedichte

(1844 | 200 S.)

Cornelia: Mein Fazit zu ihr: Vieles bewundernswert und ergötzlich als „Literatur“. Vieles ist bewegend als Zeugnis eines Adlers (einer Adlerin) in Käfighaltung. Vieles ist erhebend, wenn man denkt, welche Kämpfe sie ausgefochten hat, um ihren Glauben gegen ihren Verstand intakt zu halten und um sich immer wieder zum Gehorsam gegenüber ihrer Rolle in der Familie hineinzufinden. Vieles ist bewundernswürdig, so etwa, wie sie ihre Liebe zur fürchterlichen Mutter aufrechterhalten hat. Aber ich kann nicht ganz einstimmen in die allgemeine Verdammung jener Familie, die ihre Dichtungen nicht würdigte. Zum Teil lag das wirklich an Engstirnigkeit, zum Teil aber auch an einer durchaus angemessenen Reserve der Kunst überhaupt gegenüber, zum Teil überdies an einem feinen Gespür für die Mängel, die trotz aller großer Begabung Annettes Werken anhaften. Auch ich finde mich abgestoßen von der „Lust am Grausen,“ in der ich eine gefährliche Verwundbarkeit sehe. Auch mich erschüttern ihre religiösen Gedichte als heroische Anstrengungen, aber ich würde sie den Kindern nicht empfehlen. Und ich sehe mit Beklemmung, wie bei Annette, anders als bei uns Orthodoxen, nicht mehr die Person im Mittelpunkt steht, sondern – naja, die Natur, das ist fein, aber auch – das Milieu. Begreiflich bei einer Autorin, die selbst von ihrem adeligen Milieu aufgefressen wurde. Aber bedauerlich, weil hier sich eine „Moderne“ zu Wort meldet, die Personalität nicht mehr in den Mittelpunkt stellt (wo sie – als Schöpfung – hingehört). Aber Annette kannte halt Christus nur auf katholisch, nicht auf orthodox, so daß die Liebes-Sehnsucht ihres wunderbar edlen Herzens nirgends „andocken“ konnte. 

Meinung

Cornelia meint:

Der folgende Band mit Gedichten verschiedener Art haut mich um und zerreißt mir das Herz. Was für eine wunde, zerrissene, herrlich liebevolle, wunderbar seh-fähige Seele. Eine ganz große Dichterin, – nur an mir ist das alles verloren. Ich kann das lesen und mit-leiden. Immer geht es um Verlust, Abschied, Sehnsucht, Tod. Immer ein Vogel im Käfig. Da wird einem der Feminismus fast zum Bedürfnis, wenn man miterlebt, wie diese Frau den Konventionen und den Umständen geopfert wurde. Natürlich waren da die ständigen Krankheiten und Schwächen. Und die prekäre finanzielle Lage. Nicht mal Stiftsfräulein konnte sie mehr werden nach der Säkularisation. So war sie überall Gast und Fürsorgende für die Bedürfnisse anderer, vieler, Kranker, Sterbender.

Ich höre einen Vortrag von Petra Urban auf Video. Ja, diese Anette ist eine ganz moderne Frau mit unsagbarem Freiheitsdrang – ich hatte sowas auch. Meine Mutter auch. Heute weiß ich: Nichts wie Abwege. Wie gut, daß Anette so gut bewacht wurde und daß sie am Ende sich immer fromm und brav an die Pflichten bindet. Für mich heute als Orthodoxe ist die Erinnerung an die allzu ausschließliche Alternative zwischen Sehnsucht und Ketten beklemmend: Ich kann nicht gutheißen was Urban gutheißt: den Drang nach Loslösung von den Traditionen. Wo läuft da was schief? Der Glaube ist stark und hilft, und die Frömmigkeit ist kindlich wie sie sein sollte. Aber es fehlt der Zugang zur wirklichen Liebe Gottes. Hinter der Sehnsucht lauert der Stolz, der Nasenring, der ins Verderben führt. Die Demut und Bescheidung ist nur Zügelung, findet keinen Zugang zur Quelle. Die Seele bleibt in den Grenzen der Empfindsamkeit, und die erlöst nicht. Wäre Anette gesünder und besser aufgestellt gewesen, hätte sie das Leben der erfolgreichen Frauen ihrer Zeit teilen können – und hätte das etwa ihr unendliches Sehnen gestillt? Nein, es hätte sie in andere Verstrickungen geführt.

Bettina von Arnim – eine ganze Generation früher, und im städtischen Kaufmanns-Milieu mit unvergleichlich größerer Freiheit ausgestattet. Bettina darf Kind bleiben, und sie nimmt sich, was sie braucht. Ihre Umgebung duldet alles mit Großmut und Verständnis, während Anettes Umgebung nur rumätzt. Anette hängt in der Mutter fest – Bettine als Waise sucht sich ihre Bindungen bei Bruder, Großmama und Freundin. Bettine schafft es, ihre 6 Kinder großzuziehen, sie ist stark, gesund und Natur-gesichert. Anette bleibt von alledem ausgeschlossen. Anette ist wie ein gefangenes Tier, das seinen Schwanz anfrißt vor Seelenhunger, Bettine lebt sich aus, begeistert und eckt an. Bettine driftet am Ende geistlich ab, Anette kämpft einen tapferen Kampf. An Bettine kann sich mein Herz trotz aller Irrwege erfreuen, vor Annette schrecke ich mitleidig zurück: zu viel Wut in ihrer Sanftmut verborgen.

Ungastlich oder nicht

Wunderbare Munition gegen unbeschränkte Einwanderung: Nur wer die hiesigen Sitten achtet, sollte willkommen sein. Das kann man schon mit Zwölfjährigen besprechen

GK

Alte und Neue Kinderzucht

Eine Variation über das ewige Thema Härte gegen Kinder garantiert deren Erfolg.

JG Päd

Der Knabe im Moor

Schauerding. Immerhin gibt es den Schutzengel.

GK

Nach dem Antelus Silesius

Ein Extrakt alles dessen, was falsch laufen kann in der Frömmigkeit. Da ist schon das Ich als der eigentliche Gott – aber natürlich begreiflich als Reaktion auf die schlechte Werkheiligkeits-Krämerei.

Orth, JG-

Carpe diem

Ein schönes Lehrgedicht: Das Glück im gegenwärtigen Moment suchen, und nicht sich durch Hoffen auf Mehr ablenken lassen, wo „unsere Morgen morden unsre Heute“. Das mit jungen Leuten zu besprechen wird schwer sein, denn sie leben (Heidegger Entwurfs-mäßig) ganz in der Zukunft und verachten das Jetzt. Aber es wäre klug, es trotzdem zu versuchen.

JG-

Gastrecht

Ein Lehrgedicht über eine Gesellschaft, die Gästen im Haus erst schön tut, dann hinter ihrem Rücken lästert. Dagegen die Geschichte eines Kalifen, der selbst seinen verhinderten Mörder vor dem Todesurteil letztlich rettet, weil der sein Gast gewesen war. Der Kalif überläßt das Urteil Gott und sorgt nur dafür, selbst das Rechte zu tun.

JG+

Der sterbende General

Man versucht, ihm den schweren Abgang irgendwie durch die Erinnerung seiner früheren Ruhmestaten zu erleichtern. Aber Erfolg hat letztlich nur der Gedanke an jenen gemeinen Soldaten, dem er unter eigenen Opfern das Leben gerettet hat.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorDroste-Hülshoff, Annette von

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