
(2002 | 820 S.)
Cornelia: Interessante Autoren: Maylunas hat sonst wohl nix gemacht außer einem Fotoalbum der Zaren, lebt in einem Alpendorf, und Mironenko war Chef des Staatsarchivs, hat dann einen Fake über den 2. Weltkrieg entlarvt und wurde geschasst. Respektabel!
Meinung
Cornelia meint:
Naja, der Titel musste wohl sein um den Verkauf dieses Werks über Zar Nikolaus und Alix anzukurbeln. Der Fokus auf die Liebe zwischen beiden ist rührend aber ermüdend. Interessant sind das Zeitbild und die anderen Stimmen.
Es wird mir klar, daß Nikolaus nicht nur unentschlossen war, sondern einfach faul. Ein Fall von schädlichem Familismus. Eigentlich wollte der Mann (und spätere Märtyrer) nur seinem bescheiden behaglichen Vergnügen leben, für sich selbst privat, und liebevollst zugewandt zur Familie. Auch in der weiteren Verwandtschaft hat er zu viel Rücksichten genommen, z.B. Großfürst Sergej nach dem Desaster (schlecht geplantes Volksfest, Chaos – viele Tote) bei der Zarenhochzeit nicht entlassen. Seine seelische Abhängigkeit seiner Frau gegenüber hat ihn allen guten Geistern entfremdet.
Den Anspruch auf Autokratie stellen, aber jede Form politischer Betätigung als lästig abtun, – das grenzt schon an Realitätsverweigerung. Der Mann hatte keinerlei Verantwortungsgefühl für sein Land, keine wahre Liebe, d.h. nicht nur sentimentale Gefühle, sondern ein sich Kümmern um die Wahrheit, ohne all die Potemkinschen Dörfer. Und Alix als sein Leitstern, – eine leider völlig beratungsresistente Frau (und spätere Märtyrerin), die eisern an ihren fixen Ideen festhielt. Sie muss tiefgreifend beschränkt gewesen sein, oder tiefgreifend verunsichert, so dass sie jede Form von Kritik abwehrte. Erst in Tobolsk findet sich mal ein Tagebuch-Eintrag, in dem sie sich selbst auch kritisch sieht wegen ihrer Ungeduld. Ansonsten umgibt sie sich mit Speichelleckern. Schrecklich.
Dass Rasputin ein Dämon war, wird am Bericht von Großfürst Felix über seine Ermordung wohl deutlich. Alice hätte sich ruhig ein bisschen deutschen Verständigkeit bewahren sollen. Aber sie war natürlich verwundbar.
Die Erziehung der Kinder – da habe ich aus der Autobiographie Olgas von Württemberg viel Besseres über den Großvater gelesen. Die Töchter wurden unter enormem Druck gehalten durch die stets leidende Mutter. Aber immerhin, die Liebe in der Familie wurde mit großer Sorgfalt gepflegt. (Und das müssen wir im Kopf halten, wenn wir heute über sibling rivalry uns beraten lassen. Damals herrschte der Zwang zur Liebe und – mit Hilfe der Kirche, meine ich – es hat geklappt.)
Eindrucksvoll für Orthodoxe ist die Ergebenheit, mit der man das Unheil annahm. Natürlich war Nikolaus von Anfang an ein Hiob-Fatalist. Aber auch Alix hielt sich hervorragend. Und Ella (also die Heilige Elisabeth, Alix‘ hessische Schwester), die rausgeworfen wurde, als sie gegen Rasputin sprach, hat am Ende doch Kakao nach Jekaterinburg geschickt. Sie hat also doch nochmal Liebe gezeigt, trotz ihrer harten Ablehnung eines Kontakt-Versuchs seitens Maria Pawlova jun.
Dahinter steckt noch eine traurige Geschichte: Maria und Dimitri, Kinder eines der Großfürsten, wurden nach dem frühen Tod ihrer Mutter, und als der Vater sich morganatisch verheiraten wollte, unter die Obhut von Sergej und Ella gestellt. Und das lieblose, kalte Bild, das Maria von der Schönheit Ellas (der späteren Heiligen!) mit Ihrem Kleiderfimmel malt, ist bedrückend. Natürlich verkümmerte Elisabeth an der Seite eines – wie man schließen muss – beziehungsunfähigen Mannes. Eine Bemerkung, sie habe in ihrer Jugend durchaus Leidenschaften wecken können, war mir interessant. Ich kenne ja jemanden, der fest überzeugt ist, mit einer stets verheimlichten Tochter gesprochen zu haben, die als Nonne aus Russland fliehen konnte, nachdem sie von klein auf versteckt wurde. Vielleicht war es für Ella, wenn sie tatsächlich ein Baby hatte weggeben müssen, zu hart, nun andere Kinder dazuhaben.
Für Orthodoxe ist das ganze eigentlich ein Lehrbuch darüber, wie man es nicht machen soll. Insbesondere wirft dieses Buch ein übles Licht auf die Zustände der russischen Kirche jener Zeit. Da hat offenbar niemand für die arme neu-bekehrte Alix einen gescheiten theologischen Führer finden können (übrigens auch nicht für Sandro als Kind, wie er selbst berichtet!). So konnte sie auf die Idee kommen, die Heiligsprechung des Heiligen Seraphim, die ihr von einem französischen Scharlatan ins Ohr geblasen wurde, gegen den Widerstand der Kirche durchzusetzen. Auf das Argument des Synoden-Vorstehers, auch ein Zar könne nicht einfach eine Heiligsprechung kommandieren, antwortete die Ex-Protestantin: der Zar kann alles. Cäsaropapismus in Reinkultur. Da fehlte es an Bildung bei ihr und an Mut in der Kirche. (cf. Hagemeister unter Seraphim von Sarow).
Nach Alexander von Russlands Kronzeugen wird mir nochmal klarer, wie viel gegen Nikolaus spricht. Sein Christentum, da hat Alexander Recht, ist in Fatalismus ausgeartet. Er nimmt seine Verantwortung nicht ernst. Natürlich muss man sich dann auch fragen, ob ähnliches nicht auch für die russischen Ur-Heiligen Boris und Gleb galt. Die ließen sich schlachten und das Volk lieferten sie dem Schlächter aus.
Beklemmend auch, wie ich aus dem Kronzeugen lese, Nikolaus‘ Argument für die Bestrafung all jener Familienmitglieder, die falsch heiraten: ein Romanow kennt nur die Pflicht. Dabei hat er selbst seine privaten Familieninteressen den Regierungspflichten vorgezogen. Anders als der von Alexander mit Sympathie beschriebene englische König, der auch jedes bisschen Freizeit mit Kinderkram sich amüsierte, für die Regierung aber seine Fachleute hatte, lag ja auf dem Autokraten Nikolaus noch die alleinige Regierungsverantwortung. Und da hab ich kein Verständnis, wenn man die Pflichten immer nur als lästige Unterbrechungen ansieht. Es ist bewegend zu sehen, wie aus einem entscheidungsschwachen, sogar faulen Herrscher mit Gottes Hilfe ein großer, und in seinem letzten Leiden verehrungswürdiger Heiliger wurde.
HS OR
Info
Erscheinungsjahr | 21. Jh. |
Seiten | > 600 |
Autor | Maylunas, Andrei |
Kommentar zu: Maylunas, Andrei und Mironenko, Sergei – Eine Liebe für die Ewigkeit.