Bericht über eine Tradition im Entstehen

Nachfolgend berichtet unser Mitglied Christiane über eine besondere Pilgerfahrt, die am 3. Oktober diesen Jahres die orthodoxen Christen im Süden Deutschlands zur Insel Reichenau unternommen haben. Wie es war, und warum diese Pilgerfahrt zu einer jährlichen Tradition werden sollte – lesen Sie selbst!

Reichenau, 3. Oktober 2019

Zur Vorgeschichte

Im Mai 2016 feierte der serbisch-orthodoxe Bischof von Frankfurt und Mitteleuropa Sergije (jetzt in der Diözese Bihač-Petrovac) auf Anregung des damaligen Friedrichshafener Priesters Slobodan Tijanić erstmalig eine Liturgie bei den Reliquien der Heiligen Apostel Markus und Bartholomäus auf der Insel Reichenau. An dieser Liturgie nahmen auch der serbische Bischof Andrej von Wien und Österreich, etliche Priester, unter ihnen der Priester Konstantin Schmidt  von Konstanz (ROK) sowie zahlreiche Gläubige teil. 

Münster St. Maria und Markus – Markusaltar

Die Feier dieser besonderen Liturgie blieb in den Köpfen haften und so hörte auch der rührige Kirchenälteste der russisch-orthodoxen Kirche in Nürnberg (ROKA) Andrej Schlening davon und organisierte im Herbst 2018 dort wiederum eine Liturgie, allerdings nur für die sich der Pilgerfahrt aus Nürnberg anschließenden Gläubigen. Hauptzelebrant war damals Erzbischof Mark und der äußerte daraufhin den Wunsch, dass an diesem Ort regelmäßig eine orthodoxe Liturgie für alle Gläubigen stattfinden solle.

In diesem Jahr

Nachdem die Genehmigung des Ortspfarrers für den 3. Oktober eingeholt worden war, wurden von der bischöflichen Kanzlei Einladungen an die Gemeinden der russischen Diözese verschickt. Mit dem Segen des Bischofs gingen  ebenso Einladungen an alle orthodoxen Gemeinden rund um den Bodensee hinaus.

Von © Hilarmont (Kempten), CC BY-SA 3.0 de

Die Kirche in Mittelzell auf der Insel Reichenau stammt im wesentlichen aus dem 9. Jahrhundert und ist seit Beginn des 19. Jahrhunderts römisch-katholische Pfarrkirche. Sie ist das Zentrum des UNESCO-Weltkulturerbes Klosterinsel Reichenau. Ihre Schätze sind die Reliquien des Heiligen Apostels Markus, die schon im Jahr 830 dort hingelangten (im Jahr 828 holten sie die Venezianer aus Alexandrien), eineSchädelreliquie des Heiligen Apostels Bartholomäus (die Hauptreliquie ist nach wie vor im FrankfurterDom), ein byzantinisches Kreuz, in dem sich blutgetränkte Erde von Golgatha befindet (seit dem Jahr 925 in dieser Kirche) und weitere Heiligtümer.

Katholische Gastfreundschaft und orthodoxe Logistik

Der katholische Gemeindepfarrer zeigte Gastfreundschaft und hohes Entgegenkommen für die Genehmigung der orthodoxen Liturgie. So wurden der Reliquienschrein des heiligen Markus und das Schädelreliquiar aus der Schatzkammer vor der Altarschranke zur Verehrung aufgestellt. Der katholische Volksaltar durfte genutzt und umgedeckt werden, ein Tisch für die Vorbereitung der Heiligen Gaben wurde bereitgestellt. Ikonen und Kerzenständer durften aufgestellt werden.

Die Bereitstellung der für die Liturgie benötigten Dinge war eine große Leistung, die die Nürnberger und Konstanzer Gemeinde zusammen meisterte. Aus München wurde der große Kelch (ein Geschenk des verstorbenen Patriarchen Alexej) und Gewänder mitgebracht. Für die Gläubigen war die Tatsache der fehlenden Ikonostase durch die lebende Schranke von 18 teilnehmenden Priestern kaum wahrzunehmen, schwieriger war es für die Diakone und Altardiener, die fehlenden drei Türen und den fehlenden Ambon räumlich zu kompensieren. Von allen Teilnehmern wurde eine außergewöhnliche Leistung eingefordert, die nur dadurch gerechtfertigt wird, dass alle zur Liturgie geladen sind und sich in der Gemeinschaft unseres Herrn Jesus Christus erfreuen.


Da die Kirche wohl  an die 1.000 Gläubige fasst, müssen wir uns alle sehr anstrengen, dass wir dieses Erlebnis weiter mitteilen. Der 3. Oktober, an dem in Zukunft aller deutscher Heiliger gedacht werden soll, sollte für alle  Gläubigen rund um den Bodensee ein fester Termin im Kalender werden!


Obwohl die Kommunion aus drei Kelchen gereicht wurde und drei Priester das Antidoron verteilten, dauerte die Liturgie fast drei Stunden, was letztendlich auf die feste Bestuhlung und den engen Zwischenraum zur Altarschranke zurückzuführen ist, durch die sich die circa 250 Gläubigen vor den Reliquien, den Kelchen und schließlich vor den Segenskreuzen richtungslos verkeilten.

Oberzell – Haupt des Hl. Georg

Und wir wurden doch schon in der Kirche des Heiligen Georgs in Oberzell erwartet! In dieser ebenfalls romanischen Kirche befindet sich im steinernen Hochaltar das Haupt des Heiligen Großmärtyrers Georg, ein Geschenk des Papstes Formosus (gestorben 896) an den Reichenauer Abt. Diese Reliquie kann ausschließlich durch eine große Metanie verehrt werden, da die Reliquie sich unter dem Altartisch befindet.  Mit dem Segen vom Erzbischof Mark und begleitet vom Gesang der Schwestern aus dem Kloster Buchendorf umrundeten alle Gläubigen einer nach dem anderen den Altar. An dieser Stelle müssen die beiden Altardiener Nikolai und Pavle erwähnt werden, die darauf achteten, dass sich niemand den Kopf anschlug! Ein Dank auch an die Oberzeller Mesnerfamilie, die getreulich eine halbe Stunde Wache hielt!

Tagesabschluss in Konstanz

Wer selber einmal eine Pilgerfahrt mitgemacht hat, wird bestätigen, dass der eigene Körper darüber vergessen werden kann. Deshalb stellte auch nicht das Essen im Refektorium des Konstanzer Münsters sondern vielmehr die Gemeinschaft mit der Konstanzer Gemeinde von der Kirche des heiligen Prokopius den fröhlichen Abschluss eines unvergesslichen Tages dar.


Die Stadt Konstanz hat ihren Namen wahrscheinlich vom Heiligen Kaiser Konstantin. Das Münster erhebt sich auf den Fundamenten einer Bischofskirche, die schon für das Jahr 615 nachgewiesen ist. In den zwei Jahrzehnten protestantischer Bilderstürmerei wurden jedoch alle Reliquien des Münsters vernichtet. Da im Münster ein römisch-katholisches Konzil zur Zeit der Gegenpäpste abgehalten wurde, wobei das Todesurteil gegen den tschechischen Reformator Johannes Hus gefällt wurde, so ist der Boden rund um das Münster vielleicht ehrwürdiger als das Münster selbst…


Wer sich nächstes Jahr anschließen möchte, dem empfiehlt die Berichterstatterin die Fahrt mit der Autofähre von Meersburg nach Konstanz, die den Weg nicht nur verkürzt sondern auch zu einem besonderen Erlebnis macht.

Christiane Tesić
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