Busse, Carl – Annette von Droste-Hülshoff

(1909 | 200 S.)

Meinung

Cornelia meint:

Der Autor war selbst Schriftsteller, und seine Biographie, wie altmodisch immer, hat mir rundum gut gefallen, weil einfühlend und doch auch literarisch angemessen wertschätzend und kritisch. Überdies der ganze Zugang human. Erfreulich.

Der Fall

Bußrichter Johannes Clamans Monolog, aus Paris weg in Amsterdam gelandet, Matrosenkneipen. Streift die Inhumanität von Nazis und Franzosen. Doppelnatur der Holländer zwischen Dasein und Nebelträumen von Java. Erwähnt schon früh, dass man sich nach unterlassenen Kopfsprüngen seltsam zerschlagen fühlt – später stellt sich raus, er versagte in Paris als es galt, einen Selbstmörder zu retten, und seither ist dieses Lachen neben ihm, das alle Unmittelbarkeit seines vorherigen, rein dem Egoismus gewidmeten Lebens dahinschwinden lässt.

Er lebte damals als Anwalt der Unterdrückten und bediente dabei seine Eitelkeit. (Wie Hume führt er alle Moral auf Suche nach Anerkennung durch andere zurück…) Er kam so weit, dass er die Tugend sogar um ihrer selbst willen lieben lernte. Das Vergnügen, ein hervorragender Mensch zu sein (Ohrfeige in Richtung Kant)! Das erhöhte Leben als einzig Lebenswertes – und „genau das fühlten auch all meine Mörder. Sie wollten jemand sein, der in der Zeitung erscheint. Und so lebte ich in Einklang mit dem Leben, verliebt in das Leben, Feste jede Nacht.“ Und doch braucht er Sympathie seines Zuhörers, denn die Freunde sind alle Verräter. Die Freundschaft ist schwach, wir lieben das Leben nicht genug. Erst der Tod rüttelt unsere Gefühle wach. Nur die Gestorbenen können wir lieben.  Der Mensch kann nicht lieben, ohne sich selbst zu lieben.

Plötzlich also nachts das Lachen. Das warf ihn raus. Gesundheitlich. Heuchelei aller Moralisten. Dienen ist unvermeidlich, aber wir geben es nicht zu. Ich platzte vor Eitelkeit, aber nach jenem Abend mit dem Lachen entdeckte ich Wahrheiten in mir. Dass alles nur Schein war. Ich ich ich, und die Frauen. Das Erlebnis mit dem Motorradflegel und wie er gedemütigt wird. Dieser Ehrverlust. „Ich hatte geträumt, ein ganzer Mensch zu sein. Aber das war ich nicht. Und all die anderen Eitelkeiten – grundlos. Ich suchte Vergeltung – Unterdrückerträume.“

Spätere Reaktion

Das Buch läßt mich ratlos. Explizit christliche Themen – ohne Gott. Selbstvergöttlichung ist ein Thema, Selbstliebe, Lüge, Selbstbetrug, Gericht – Schuld – Richten. Alles geht durcheinander, jeder Diskurs bricht zusammen. Ist das lucide? Wenigstens wahrhaftig? Oder alles Fehl-Spuren?

Er will was von seinem Zuhörer. Was wie Beichte klingt ist eigentlich ein Angriff auf jenen Leser.

Ich bin gefesselt, – und doch immer wieder frustriert. Jede Erwartung wird gebrochen. Der Leser wird auf sich geworfen. Wie der Zuhörer in der Erzählung.

Ein Angriff: ein Rausreißen aus der Unbewußtheit in die Klarheit des Nichts.

Wer ist denn jener Zuhörer, der dazu gebracht werden soll, selbst zu beichten und sich richten zu lassen? Ist das nicht der Leser? Ein Angriff. Der Autor will sich zum Richtergott machen.

OR. JG-.

Info

Erscheinungsjahr20. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorBusse, Carl

Kommentare

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