Camus, Albert – Die Pest

(1947 | 350 S.) Eines meiner ganz großen Lieblingsbücher, weil die Hauptperson (und der Berichterstatter) Rieux als Arzt und Mensch so überaus liebenswert, bescheiden und liebevoll heldenhaft seinen Beruf ausübt. 

Meinung

Cornelia meint:

Eines meiner ganz großen Lieblingsbücher, weil die Hauptperson (und der Berichterstatter) Rieux als Arzt und Mensch so überaus liebenswert, bescheiden und liebevoll heldenhaft seinen Beruf ausübt. Ein Urbild der menschlichen Würde. Diesmal habe ich auch viel besser die Bedeutung seiner Freunde verstanden: Grand, der vorbildliche kleine Angestellte mit den großen Träumen vom großen Werk – als Ersatz für ein Leben, das er verspielte durch Unachtsamkeit, Rambert, der die Fixierung auf sein privates Glück ablegen lernt am Vorbild von Rieux, der auch darauf verzichtet hat, und der versteht, daß er zu denen gehören muß, die den anderen in Not helfen, und dann Tarrou, der den Herzensfrieden sucht und erst im Tode finden kann, obwohl er eine Tolstoi-Idealgestalt der Demut und der Enthaltung von allem Verurteilen, der Menschenliebe und der tatkräftigen Barmherzigkeit ist. Und dann gibt es noch den Jesuiten Pantalou, der zuerst den Zorn Gottes predigt, dann aber durch das Leiden eines unschuldigen Kindes (den sein Vater aber schon vorher kaputterzogen hat!) so gebeutelt wird, daß er bei einer Theologie des credo quia absurdum herauskommt, die keiner der Freunde akzeptieren kann. Da ist nicht alles dran falsch. Gegen die Konvenienz-Religion der guten Tage, in denen Gottes Barmherzigkeit uns schützt, ist nun die Pest die absolute Erniedrigung aller Erwartungen, die vorher unseren Glauben vernütztlichten. Wir stehen als Zerrissene am Kreuz vor der absoluten Wahl: wir können nur entweder Gott hassen, weil er Unschuldige leiden läßt (das ist genau Iwan in Dostojewskis Brüdern!) oder ihn trotzdem entschlossen lieben. Und, wie Pantalou annimmt (das könnte er heute nicht mehr!): niemand wird wagen, Gott zu hassen. Also muß man in der Konfrontation mit dieser Wahl Gottes Gnade sehen, und das Leiden der Unschuldigen anerkennen.

Hier nun können weder Rieux noch Tarrou mit. Und das ist auch nicht richtig genug. Hier bleibt ein Mensch mit seiner Verzweiflung an Gott ganz auf sich zurückgeworfen und kann nur heroisch seine Liebe bekennen. Was fehlt ist die Synergie zwischen Gott und Mensch, überhaupt das Eintreten in eine Beziehung zum Gekreuzigten. Was fehlt ist, daß Gott an diesem Menschen ein Wunder tut, so wie Er es immer tut, wenn man ihn wirklich sucht. Ich schließe daraus, daß Pantalou, bei all seiner heldenhaften Aufopferung, diese Beziehung nicht zu suchen wußte. Er hat für sich ein Problem der Theodizee auf theoretische Weise gelöst. Darum ist auch sein Sterben nur Starres Festhalten des Kreuzes gewesen.

Rieux sagt, er habe zu viele Menschen sterben gesehen, um an Gott zu glauben. Ich glaube aber, der tiefere Grund liegt darin, daß er eben als Arzt das Leben nur irdisch sieht und von der Hoffnung auf die Auferstehung nichts weiß.

Damit hängt zusammen, daß die Pest zwar einerseits als feindliches Ereignis von außen auf die Stadt trifft, daß sie aber andererseits auch von Tarrou als Symbol für die innere Gefallenheit und Sündhaftigkeit der Menschen steht. Und aus letzterer will Tarrou sich heraus-arbeiten durch Aufmerksamkeit und Selbstbewachung und Menschenliebe. Er kämpft insofern einen analogen Kampf gegen das Übel in der Welt wie Rieux. Beide sind sie Menschenliebende und verurteilen nicht. Beide diagnostizieren nur die Übel und verzeihen den Menschen, die sie immer noch eher gut als böse finden. Das ist wunderbar und es gibt da dieses Pathos von Rieux, daß er ein wahrer Mensch sein will. Denn Tarrou möchte ein Heiliger sein, allerdings ohne Gott und darum, oh Schreck, durch einen freundlichen Satanismus. Naja.

Verrückt ist nur, daß Rieux seinen Bericht über Oran damit beginnt, daß dies eine Gesellschaft ist, die im hier und jetzt der Gewohnheiten eingeschlafen ist. Während es anderswo eine Ahnung von etwas anderem gebe. Wenn dieses ahnbare Andere nun aber letztlich doch nur die gewissenhafte Pflichterfüllung in einem immer nur vorläufigen Sieg über den Tod ist, der letztlich immer gewinnt, – dann muß man schon sagen, daß dieses Projekt ebenso absurd ist wie das mißraten religiöse des Jesuitenpaters. Beide sind hybrid in ihrem sich-auf-sich-selbst Verlassen.

Es fehlt beiden die wirkliche Erfahrung der Kirche. Es ist ein wichtiges Buch also über den letztlich armen Humanismus und eine letztlich irregeführte Religiosität.

Ich habe mir Exzerpte notiert, um gründlicher damit zu arbeiten.

Info

Erscheinungsjahr20. Jh., 1. Hälfte
Seiten300-600
AutorCamus, Albert

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