Dostojewski, Fjodor – Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner

(1859 | 300 S.) Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner ist ein 1858 entstandener Kurzroman von Fjodor Dostojewski, der erstmals im November und Dezember 1859 in der Zeitschrift „Die Vaterländischen Annalen“ erschien. Wikipedia

Meinung

Cornelia meint:

Der Onkel des Autors, eine der beiden Hauptfiguren, ist ein Beispiel für ein als puren Altruismus mißverstandenes Christentum, das sich für Nietzesches Vorwurf einer Schwäche-Moral (allerdings ohne Ressentiment) verwundbar macht. Dieser Onkel nimmt seine Pflichten gegen sich selbst nicht ernst und macht sich dadurch unfähig, für die zu sorgen, die ihm anvertraut sind. Das ist eine Perversion, die keine Sympathie verdient. Allerdings wird er in seiner Reinheit des Herzens von jenen geliebt, die selbst reine Herzen haben. Und im Moment, wo er Nasstjas Liebe zu ihm begriffen hat und sich seiner Liebe zu dieser armen Gouvernante seiner Kinder bewußt wird, rappelt er sich zusammen und wirft den Übeltäter, der Nasstja beleidigt hat, aus dem Haus.

Abgesehen von Onkel, Gouvernante, den Kindern, dem wunderbaren Diener Gawrili (der auch als Leibeigner seine Würde als Christ wahrt und verteidigt, hierin dem Onkel überlegen) und dem Autor als jugendlicher Heißsporn und Neffe sind alles andere Kotzbrocken.  Möchte man sich wirklich 250 Seiten eng bedruckt in der Gesellschaft dieser Kotzbrocken befinden? Das Ganze soll lustig sein und wurde als lustig rezipiert. Für mich ist es zu böse und gemein zum Lachen.

Nun ist das Buch rasant geschrieben. Man kann es vor Spannung praktisch nicht aus der Hand legen. Aber ich habe vom Haupt-Greuel Foma Fomitsch am Ende nur noch Auszüge gelesen. Es geht um Oberflächlichkeit (Onkel) und Perversion (Foma) der moralischen und ästhetischen Bildung, und damit natürlich ins Herz eines orthodoxen Kanons.

Andererseits ist Foma interessant. Er stellt eine Perversion vieler guter Lebensentwürfe dar: des patriarchalischen Gutsbesitzers, der seine Leibeigenen „heben“ will, des – ja, schnief – Christen, dessen eigene Demut den Stolz der Umwelt bezwingt, des Seelenfreundes als Erzieher, des Slawophilen, der im russischen Bauerntum die Erlösung sucht, wohl auch, wie das ansonsten nicht hilfreiche (er versteht nur „Werte“, nicht aber den orthodoxen Hintergrund, verwechselt Onkelchens Masochismus mit Sossimas Selbst-Kreuzigung) Nachwort von Neuhäuser nahelegt, von Gogol in einigen Briefen. Bedeutend ist, daß man (ich) immer wieder eigene Versuchungen hier ins Ungeheure verzerrt findet, aber ein Quentchen Wahrheit auch sich selbst ankreiden kann. Für mich gilt das auch für die masochistische Schwäche des Onkels. Insofern hat das Buch einen therapeutischen Wert, wie alles, was Dostojewski schreibt. Denn er kennt die Abgründe, in denen sich die Seelen gefallener Menschen gleichen, und er stellt sie bloß am Gegensatz heil gebliebener Menschen (der Idiot…, oder hier eben Nasstja). Und insofern unbedingt schon für Jugendliche zu empfehlen.

Ich muß auch gestehen, daß das absolut Grässliche eine eigene Faszination entfalten kann. Ich habe früher Erzählungen über die größten Kotzbrocken geschrieben, die mir begegnet sind, um mich dazu zu bringen, sie so zu lieben, wie man das als Christ tun sollte. Es hat auch ein bißchen geholfen. Insofern ist das vielleicht wie das Pfeifen im Wald: man überwindet was, mit dem man nicht leben will.

Neuhäuser vergleicht es mit Turgenjews „Fremdes Brot“ und Molieres Tartuffe, von dem es direkt abhängig sei.

JG-

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorDostojewski, Fjodor

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