Fontane, Theodor – Cécile

(1886 | 270 S.)

Cécile ist ein Roman von Theodor Fontane. Er behandelt das Schicksal einer Frau, die immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt wird und schließlich daran zerbricht. Der Roman entstand in den Jahren 1884 bis 1886 und erschien erstmals als Fortsetzungsroman von April bis September 1886 in der Zeitschrift Universum. Wikipedia

Meinung

Cornelia meint:

Anfangs dachte ich, nicht schon wieder ein verständlich gemachter Ehebruch!

Denn es geht los mit Gordon, der wie ein Jäger das Wild Cécile an der Seite des alten Obersten St. Arnaud belauert. Er spürt, daß da eine Geschichte hinter ist, kriegt aber erst spät den Brief der Schwester, der alles klärt.

Der Harzaufenthalt sieht das Aufblühen einer Liebe zwischen beiden, schön eingebettet in weitere Gäste und Ausflüge. Der Oberst läßt alles spöttisch gehen, weiß sich sicher. Cécile bietet ein Wirrbild aus einerseits Narzismus (sie muß ununterbrochen gehuldigt kriegen und erträgt kein sachliches Gespräch, das ihre Unbildung überfordert), andererseits einer feinen Witterung für Menschliches, einem unschuldig guten und reinen Herzen und großer Natürlichkeit. Zurück in Berlin geht das (durchaus weiterhin tugendhafte) Verhältnis auf Abstand weiter, seine täglichen Briefchen liegen offen auf dem Frühstückstisch. Nach einem Abendessen, das die miese Gesellschaft offenbart, mit der sich die St.Arnauds (immer noch!) begnügen müssen, und die Gordon mit Vorsicht ansieht, weil dort viel und offen alles gehaßt wird, was politisch vor sich geht, liest Gordon den lang erwarteten Brief seiner Schwester: Cécile wuchs auf bei einer verarmten Mutter, die den Aufstieg der schönen Tochter über das Bett geplant hatte und verwirklichte. Erst Vorleserin bei einem alten Fürsten, nach Ableben bei dessen Neffen, nach Ableben wohl ein Kammerherr, aber immer noch keine Ehe. Der Oberst, ein alter Spiel-Süchtiger Militarist, sieht sie – wie sie nach all den Abenteuern zurück im Harz ist –und verlobt sich ziemlich stante pede. Sein Dienstältester macht ihn aufmerksam, daß diese Ehe (mit einer Ex-Maitresse) für einen Offizier nicht geht, wird aber im Duell von ihm erschossen. Ein Jahr Festungshaft, danach Dienst quittiert, Heirat. Er kann der jungen Frau, die er beschützt und liebt, wie er halt kann, so von Moment zu Moment mit großen Pausen, die Herzenssehnsucht nicht stillen. Daher die Art, wie Cécile auf Gordon und alle anderen wirkt.

Es wird dann ergreifend: In Gordon verschiebt sich das Bild, und er läßt seiner Leidenschaft viel freieren Lauf, von ihr stets zurückgepfiffen. Und dann gibt es eine Unstimmigkeit, denn Cécile, die eigentlich Spott nicht leiden kann, duldet die Freundschaft und Vertraulichkeiten von Geheimrat Hedemeyer, den Gordon sofort (und grundlos) als Rivalen identifiziert. Das wird später motiviert dadurch, daß sie sich nach Anerkennung in der Gesellschaft sehnt und nehmen muß, was sie kriegen kann. Aber das Ausmaß der geteilten Fröhlichkeit, das Gordon in der Opernloge zwischen beiden beobachtet, ist nicht stimmig. Vielleicht ist das aber auch nur Gordons Wahrnehmung, der brennt und mehr sieht, als da ist. Jedenfalls benimmt sich Gordon höhnisch in der Loge beiden gegenüber, als habe er sie ertappt, und folgt ihnen dann auch noch nach Hause, wo die beiden Tee trinken. Und das ist wohl ziemlich unverschämt, wie er da sein Recht auf Eifersucht geltend macht.

Das heißt, nachdem er wußte, wer sie ist, ein Flittchen, hat sich sein ganzes Verhältnis zu ihr ent-zügelt, und sie merkt das voll. Sie wollte ihn als wohltuenden Hausfreund, er fühlt sich beleidigt als Spielhündchen. An beidem ist ein wenig was dran. Sie macht aber sonnenklar, daß sie damals, beim Anblick des von ihrem Mann  erschossenen Offiziers sich geschworen hatte, ihrem Mann niemals untreu zu sein.

Wobei das Thema der Treue schon vorher in der Politik abgehandelt wurde, Treue zu Vaterland und Herrscherfamilie, interessanterweise mit der pointe: Treue zum Wort der Schrift, ja, ansonsten muß man nach Klugheit gehen.

So wird Gordon endgültig weggeschickt. Aber der Geheimrat berichtet, dass zwischen beiden Männern ein Duell stattfand, wobei Gordon erschossen wurde. Der Oberst verreist nach Italien, und sie tötet sich mit Digitalis.

Bei seiner Rückkehr findet der Oberst ihr Testament: Hier schlägt sie dem Oberst seinen Zynismus um die Ohren (der diese Liebelei mit Gordon  als ganz okay für eine junge Frau, als Kinderspiel gesehen hatte, nicht als Symptom dafür, dass er selbst ihr gegenüber als Ehemann versagt hatte: also sich ihre Dankbarkeit erkaufte und sich nur selbst in seiner Grosszügigkeit sonnte). Sie will darum in jenem Schlossfriedhof begraben werden, wo sie als Mätresse diente, und wo sie Herzensgüte kennenlernte, ja, Liebe, Freundschaft, Vornehmheit und Herzensgüte. Uff. All das, was weder der Oberst noch Gordon ihr geben konnten. Allerdings hat sie von letzterem sowieso zu viel erwartet.

Insgesamt ist das Buch ein Schlag ins Gesicht der offiziellen Moral. Jene, die das Mädchen zur Hure machten, gaben ihr die Liebe, die sie brauchte. Und dass sie diese Liebe annahm, lag an ihrer schlechten Erziehung. Sie ist also völlig unschuldig und Produkt ihrer Umstände. Dann der Schwur, mit dem sie sich ganz alleine am Schopf aus dem Sumpf zieht. Das ist heldenhaft, überfordert sie aber angesichts einer unglücklichen Ehe. Ihre Schuldgefühle wegen des Duells machen sie nervenkrank, aber ein wunderbarer Hofprediger dient als perfekter geistlicher Vater, ganz orthodox.

Interessant noch ein Nebenereignis: ein alter Präzeptor diente als Ersatzpfarrer, der immer nur Evangelium und Predigt lesen durfte. Als er nicht mehr sehen konnte, machte er sein eigen Ding und wurde dadurch sehr erfolgreich in seiner Gemeinde. Man sagt, es hätten ihn Gewissensbisse geplagt und aus edlem bösen Gewissen habe er dann auch hiervon seinen Abschied erbeten. Am Ende aber erzählt er selbst, daß er dem Jubiläum aus dem Weg gehen wollte, das ihn mit einer zu mickrigen Ehrung ehren wollte. Und das wollte er sich nicht antun, so unter Wert geehrt zu werden. St. Arnaud gratuliert ihm: „das beste ist doch, sich selbst genügen“ (ein Motto, das seine eigene Ehe ruiniert hatte). Hier sieht man wieder, wie Religiöses dekonstruiert wird.

Immer bei Fontane: Religion akzeptabel nur als Barmherzigkeit.

Belehrend auch, wie die Ehre der Frau hier Ehre des Mannes ist – genau, was wir den Muslimen vorwerfen. Und daß diese Ehrpusselei sich mit Lieblosigkeit verbindet.

Aber wer soll sowas lesen? Gewiss, wie immer bei Fontane empfinde ich sein Schreiben als eine Schule der Herzensbildung. Das ist fein, unserer Zeit weit über. Und es geht wieder um die Grausamkeit der gesellschaftlichen Formen. Da fallen halt Späne. Ich bin ganz für diese Konventionen. Auch ich würde nicht mit den St. Arnauds verkehren, gesellschaftlich. Ich würde versuchen, dieser Cécile eine heimliche Freundschaft zu schenken. Aus Liebe zu einem kostbaren Menschen. Aber das ginge nur, wenn sie das akzeptierte. Genau das ist illusorisch, denn sie will immerzu anerkannt werden. Das kann ihr Mann ihr nicht verschaffen, weder persönlich, noch gesellschaftlich.

Im Ganzen fehlt hier die nützliche Arbeit. Der Oberst spielt, sie tut nix. Nur Gordon legt Kabel, der einzig nützliche Mensch – und als Mann halt wie man so ist.

Ich möchte das nicht an Mädchen geben, die emotional sich ganz auf die arme Cécile werfen würden, gegen die Gesellschaft und ihre Normen. Für einen Jungen könnte es eine Schule der Feinfühligkeit sein, denn ein Junge erkennt Formen und Normen leichter an. Mit einem Jungen könnte man die Problematik der Rolle Gordons besprechen. Oder mit einem jungen Mann.

Aber unabhängig davon würde ich als Mutter diese ganze korrupte Gesellschaft überhaupt meiden.

Die schönste Gestalt ist die frei herumstreunende Malerin Rosa, mit dem franken und freien Wesen, das dem Obersten guttut. Die ist liberal preußisch protestantisch und macht was sie will. Der Preis: Sie  ist absolut un-anziehend. Anders ging das damals wohl nicht.

JG- nur für Jungs.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorFontane, Theodor

Kommentare

Kommentar zu: Fontane, Theodor – Cécile.

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