Gogol, Nikolaj Wassiljewitsch – Petersburger Novellen

(1835-43 | 200 S.) Die Petersburger Novellen sind ein Werk des russischen Dichters Nikolai Wassiljewitsch Gogol. Gogol hat seine Petersburger Novellen 1835 in den „Arabesken“ zusammengefasst. Dies waren zunächst die Erzählungen „Der Newski-Prospekt“, „Das Porträt“ und „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“. Wikipedia

Meinung

Cornelia meint:

Schmemann (Aufzeichnungen 15.3.77) beschreibt, wie Gogol vor seinem Tod vorgeworfen wurde, her hätte Karikaturen geschaffen, und dass er über den revolutionären Einfluß erschrocken sei, den er auf seine Leser ausübte. Etwas Furchterregendes, Dunkles, ja Dämonisches war in ihm, ein bodenloser Hochmut und als Folge davon das Fehlen jeglichen Selbstvertrauens.

Das Portrait

Eine zweiteilige Erzählung, von der ich tief beeindruckt bin. Es gibt da gut in das Geschehen eingebettete Reflexionen über die Malerei, über Kunstreligion, und dazu auch noch eine echt orthodoxe Darstellung des Ikonographischen – allerdings auch dem Bösen gegenüber. Das Ganze ist theologisch stimmig und literarisch ein Vergnügen. Unbedingt zu empfehlen für Jugendliche.

Allerdings sollen die kunsttheoretischen Reflexionen von Wackenroders Phantasien über die Kunst inspiriert sein. Ähnlich sollen sein ETA Hoffmanns Sandmann und der unheimliche Gast.  Das Thema scheint von Maturins  Melmoth der Wanderer beeinflußt. Check das.

OR, JG+*

Die Nase

Normalerweise gehen einfach lustige Geschichten an mir spurlos vorüber. Aber diese Verquickung von realistischer Darstellung der Petersburger Gesellschaft mit ihren sozialen Aufsteigern und kleinen Beamten mit etwas absolut Absurdem – das ist so fesselnd und ironisch, dass ich es doch für Jugendliche gut finde.

In Wiki lese ich, dass manche diesen Surrealismus avant la lettre verstehen als eine Welt, in der der Teufel wirkt. Das finde ich überzeugend, denn diese Welt ist von nichts erfüllt als von Egoismen oder eigeninteressierten Altruismen. Eine Welt der Fassaden, wozu die Nase ja zentral gehört. Es hat mich auch gleich an Michael Berdyayeves Master und Margarita erinnert, wo immerhin noch eine selbst-aufopfernde Liebe die Gegenwelt bildet.

Interessant der Vergleich mit Chamissos Peter Schlemihl. Dort erkennt jeder am Schatten-Mangel das Diabolische. Hier ist der Verlust der Nase, den der Besitzer verbirgt, einfach nur eine Peinlichkeit, die das gesellschaftliche Fortkommen behindert. Der Teufel wirkt hier viel stärker im Verborgenen.

Das Bemerkenswerteste aber ist, wie spurlos dieses Ereignis an denen vorübergeht, die dabei involviert waren. Man sollte annehmen, dass sowas das Leben verändert. Aber es wird verdrängt als eine der Merkwürdigkeiten, die halt zum Leben dazugehören.  Und das sinistre daran für uns Orthodoxe ist, dass dasselbe ja auch für ein Wunder gelten müsste. Wenn ich denke: Wenn ein Wunder seiner Lebens-erschütternden Kraft beraubt würde, wie entsetzlich wäre das. Ich denke an mein Wunder, und wie es das Leben um 180 Grad drehte… Insofern ist diese Nase durchaus ein geistiges Buch.

JG-

Der Mantel

Ein kleines, bescheidenes Leben eines unscheinbaren, von niemandem beachteten Beamten, der gerne und zufrieden dient. Einmal hat ein Kollege Mitleid, weil er spürt, dass hier ein Bruder nicht gesehen wird. Dann spart er sich mühsam einen Mantel zusammen, muss mit den Kollegen feiern, und verliert den Mantel durch Raub. Niemand hilft und der hohe Beamte macht sich wichtig durch Grausamkeit, und in der Kälte des Heimwegs wird der Beamte Arkadij Arkadowitsch krank und stirbt. Dann kommt das Surreale: als Toter raubt er so lange anderen Leuten die Mäntel, bis er jenen hohen Beamten erwischt und dem den seinen raubt.  Immerhin wird jener hohe Beamte ab da etwas rücksichtsvoller. Aber dann gibt es einen anderen Toten, der auch Mäntel raubt, und das ganze vernebelt sich.

Es ist einfach überwältigend große Literatur. Das Elend dieser Existenz ganz nüchtern dargestellt, aber das Mitleid leuchtet doch durch. Da ist nichts vorgeführt, sondern aufgezeigt. Ich empfinde dies als ein durchaus christliches Werk. Meine Frage aber ist: Sollte ich auch Chechows Erzählungen so empfinden? Oder war ich damals noch anders gestimmt? Ich glaube nein, Chechow ist viel kälter.

(Komischerweise urteilt Schmemann genau andersrum und sieht in Chechow das große Erbarmen.)

Und vergleiche mit Dostojewskis Arme Leute

JG

Alles ab hier ist eher ungünstig:

Newskij Prospekt

Nun ja, einer liebt mit echter Liebe eine Frau, die es nicht wert ist, und er stirbt dran, der andere liebt aus Gier die Frau eines Schlossers und wird von dem verprügelt. So kann’s gehen. Alles enorm amusant, aber to no purpose.

Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen

Neun Zehntel sind einfach sehr unterhaltsam zu lesen, total witzig und fesselnd. Und ein wenig unheimlich auch, wenn man weiß, dass Gogol selbst später schizophren wird. Das ist wie eine anatomische -Analyse am lebenden Körper, eine Vivisektion. Aber am Ende endet es einfach grässlich und man fragt sich, wozu sowas nötig sein soll. Sicher ist Dostojewskis Doppelgänger geistreicher, weil die Gespaltenheit darstellend. Aber Gogol ist  viel erfreulicher zu lesen, — bis aufs letzte Neuntel halt.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorGogol, Nikolaj

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