Grillparzer, Franz – Die Ahnfrau

(1817 | 100 S.)

Franz Seraphicus Grillparzer war ein österreichischer Schriftsteller, der vor allem als Dramatiker hervorgetreten ist. Aufgrund der identitätsstiftenden Verwendung seiner Werke, vor allem nach 1945, wird er auch als österreichischer Nationaldichter bezeichnet. Wikipedia

Die Ahnfrau (Projekt Gutenberg)

Meinung

Cornelia meint:

Nach Goethes Dichtung und Wahrheit brauche ich dringend Erholung beim nächsten Nachbarn im Bücherschrank: Franz Grillparzer. Über die Ahnfrau habe ich sogar mal ein Seminarpapier geschrieben, erinnere mich aber an gar nichts.

Grillparzer war ärgerlich, dass man diesem Werk einen Schicksalsfatalismus unterstellte. Er wollte das eher christlich. Es gibt das Problem der Sühne für die Sünde der Ahnfrau, vor der auch des Nachkommen tapfere Entschlossenheit („Fürchten wir uns nur, nicht selbst zu Sündern zu werden“) nicht schützen kann. Es gibt das Problem der vererbten Sünde, die dazu führt, dass der geraubte Sohn bei Räubern als Räuber aufwächst und sich als Räuber schuldig macht. Gern hätte er mit dem Räubern aufgehört, aber seine vermeintliche Sohnespflicht dem vermeintlichen Papa Räuber gegenüber verhindert das. Und dann tötet er auch noch den in Wahrheit eigenen Grafen-Vater, der ihn als Räuber verfolgt, und dies auch noch genau mit dem Dolch, mit dem die ehebrecherische Ahnfrau (die aber an einen ungeliebten Mann verheiratet worden war und sich schadlos hielt) damals vom empörten Ehemann erdolcht wurde. Immerhin klappt das mit der ererbten Sünde nicht bei Berta und ihrem Vater, dem alten Grafen Borotin: beide irren (in Liebe und Verfolgung) nur unvermeidlicherweise. Sie sündigen nicht. Bei alledem macht überdies die wandelnde Ahnfrau, die der armen Berta täuschend ähnelt, das Leben im Schloss noch ungemütlicher und bringt alle an den Rand des Wahnsinns.

Bisschen viel. Wenn das alles unter Schicksal laufen soll, dann konnten es die alten Griechen besser. Und wenn da was Christliches in dieser Schicksalsrachsucht sein soll, dann nur im Sinne des alt-testamentarischen Rachegottes, der die Sünden der Väter bis ins ca. fünfte Glied an den Kindern heimsucht.

Nun aber. Es gibt da, und das mag die öffentliche Kritik unter der Oberfläche des Fatalismus-Vorwurfs motiviert haben, noch eine Werte-Kritik, und zwar in zwei Hinsichten. Räuber Jaromir erinnert den Polizei-Hauptmann daran, dass man die Räuber nicht wie Vieh jagen sollte. Dass es auch menschliche Brüder sind. Damit macht er sich allerdings nur verdächtig bei einem, der selbst von denen ausgeraubt wurde. Das ist das Schiller-Motiv.

Das andere ist wichtiger. Gleich der Eingangsmonolog Borotins zeigt: der Mann lebt nicht für sich, sondern für sein Geschlecht, das jetzt grad ausstirbt. Zwar kann der hohe Name von der Tochter nicht getragen und weitergegeben werden, aber er sieht doch ein, dass sie ein Segen ist. Da relativiert die Liebe den Adels-Sinn. Und zwar ermutigt er Berta, sich nicht vom Fluch der Sünde der Vorfahrin entmutigen zu lassen, denn „selbst ist der sittliche Mensch.“ Da kracht es also in der Familien-Gebundenheit. Aber was Borotin überhaupt nicht hören kann, ist das Gerücht, er selbst sei Nachkomme jener Sünde, und somit – letztlich gar kein wahrer Borotin. Das ist wie bei uns das Bestehen auf der apostolischen Nachfolge…

Und noch eine Kritik: Die frühere Berta wurde an einen ungeliebten Mann verheiratet, – natürlich, um den Status der Familie zu fördern. Und die neue Berta liebt mit derselben Unbedingtheit, mit der die alte liebte. So erscheint plötzlich der Ehebruch der Alten gar nicht mehr so arg, vom Herzen der neuen Zeit her gesehen: denn dieselbe Macht der Liebe hätte ja die junge Berta beinahe geradewegs (und ahnungslos) in den Inzest mit dem Bruder geführt. Zudem war sie bereit, sogar den geliebten Papa im dieser Liebe willen alleinzulassen. Denn erst hinterher wird Papa vom Geliebten erdolcht, und dann auch noch als Vater vom Sohn, was für das arme Kind wirklich zu viel ist.

Und die Moral von der Geschicht: verheirate die Mädels gegen ihren Willen nicht.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorGrillparzer, Franz

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