Hearn, Lavcadio – Kokoro

(1895 | 176 S.)

Lafcadio Hearn erklärte dem Westen Japan. In seinen an der Wende zum 20. Jahrhundert entstandenen Werken gelang es ihm wie keinem anderen westlichen Schriftsteller, tiefe Einblicke in die durch den … Google Books

Meinung

Cornelia meint:

Dies ist mein Lieblingsbuch. Viel Brauchbares für Normalverbraucher

Ein Konservativer

Fesselnde Geschichte über einen als Samurai erzogenen Jungen (vergleiche mit der Erziehung, wie Johannes Chrysostomos sie vorsieht! Da gibt es sehr interessante Parallelen), der von einem Missionar zum Christentum bekehrt wird, alles Erbe und alle Familie verliert, dann aber seinen überlegenen Verstand gegen das Christentum wendet und nur mit Wissenschaft zurückbleibt. Man muss hierzu die Geschichte der orthodoxen Mission genauer ansehen. Der Junge  muss ins Exil und reist durch die Welt – findet die westliche Wissenschaft okay, alles andere grausig. Das ist wirklich wert zu lesen!

JG+, Päd.

Der Geist der japanischen Zivilisation

Auch dies überaus lesenswert und bedenkenswert. Sehr interessant auch die Zuordnung abendländischer Kultur und christlicher Religion zum Verstand, des Shintoismus und Buddhismus in Japan aber zum Herzen. Man muss hierzu die Geschichte der orthodoxen Mission genauer ansehen. Unbedingt zu empfehlen.

Jg+

Auf einer Eisenbahnstation

Eine beeindruckende Erzählung von der Konfrontation eines Mörders mit der Witwe und dem Waisenjungen, denen er Leid zugefügt hat. Reue des Mörders, angesichts des weinenden Kindes. Und Tränen bei den Umstehenden, die beides, die Reue und den Kummer, sehen, und die von der Hinrichtung am nächsten Tag wissen. Ein Beispiel der überlegenen Seelenkultur der Japaner!

Jg+

Die Nonne im Tempel von Amida

Nach dem Tod von Ehemann und Söhnchen erlebt sie bei einer Totenbeschwörung des letzteren dessen Leiden an ihrer Trauer. Darauf zieht sich ihre Seele sozusagen zusammen auf Mini-Größe, sie wird Nonne, kriegt einen eigenen Tempel im Hof – und dieser Hof wird zum Spielplatz von Generationen von Kindern, mit denen sie selbst zum kleinen Kind wird, und die sie lieben. Das ist wunderschön!

Man könnte das theoretisch schon mit Kindern lesen, aber wir wollen die nicht auf die falsche Spur lenken, darum nur für Jugendliche, die bei aller Schönheit kritisch bleiben können.

Jg+

 

Nach dem Kriege

Der von allen Japanern für selbstverständlich gehaltene Sieg über China wird gefeiert. Japaner siegen immer. Aber dann greifen Russland, England und Frankreich ein. Die Japaner sind wild drauf zu sterben, aber ihre kluge Regierung erzwingt Friedensverhandlungen im klaren Bewusstsein, dass hier kein Sieg möglich ist. Beschreibt die Rückkehr eines Schiffs, und wie es gefeiert wird, die Rückkehr der Armee, und wie das Volk sie begeistert willkommen heißt – aber die grünen Jungs, die ausgezogen sind, kommen als Männer zurück. Gehärtet, und ohne viele der Kameraden.  Aber anders als die Europäer glauben sie fest daran, dass diese den Weg nach Japan finden werden und dann daheim herumgeistern.

Ein Hohelied auf Tapferkeit und Weisheit.

Gk

Haru

Das Ethos einer sehr gut erzogenen Frau – absolute Selbstverleugnung. Nur – ihr Mann wurde nicht ganz so gut erzogen. Er nützt seine Stellung aus und benimmt sich rücksichtslos. Sie hält an der Liebe fest und geht darüber zugrunde. Endlich erfasst sie der gerechte Zorn, aber immer noch sucht sie nach Wegen, ihn so wenig selbstsüchtig wie möglich auszusprechen, wie ihre Pflicht als Gattin dies gebietet. Aber dann kann sie nur noch „Du?“ sagen und stirbt. Die Ärzte, von den Dienern informiert, sagen ihm messerscharf, was er angerichtet hat. Er verbringt den Rest seines Lebens in stummer Trauer.

Ist sowas Nahrung für den Feminismus? Es zeichnet das Bild einer idealen Ehe, in der der Selbstlosigkeit der Frau die Liebe und Selbstlosigkeit des Mannes antwortet. Ähnlich wie bei uns.

Jg

Entwicklungstendenzen

Großartige Darstellung der Weise, in der Fremde in Japan Handelssiedlungen aufbauten, aber letztlich scheitern mussten. Neben den natürlichen Rassegefühlen (!) gegenseitiger Abwehr kamen Interessengegensätze und kulturelle Missverständnisse hinzu. Ganz im Zentrum verschiedene Vorstellungen von Ehre. Verachtung gegenseitig. Das Scheitern jeder Mission, die nicht von Einheimischen besorgt wird. Anders als die ehrerbietige Achtung, die Japan seinen frühen chinesischen Lehrmeistern immer bewahrt hat, wird es ohne Freundschaft an die abendländlischen Lehrmeister moderner Technologie denken.

Ein wertvoller Beitrag zum Post-Kolonialismus und zur Bedeutung des Ethos

Hist, Jg

In der Cholerazeit

Sehr ausgeprägte Gesundheitspolitik. Gnadenlos und vernünftig die Entfernung der Kranken, die dann einsam sterben müssen. Und die Kinder werden im Jenseits weiter mit Steinen spielen. Aber wunderschön die Geschichte des Rohr-Verkäufers, dem seine sterbende Frau das Söhnchen anvertraute, das sie weiterhin stillen würde.

GK

Gedanken über Ahnenkult

Dies ist ein großartiges Werk über die Dankbarkeit, und über das supra-individuelle Bewusstsein der Japaner als Wurzel dazu. Überlegenheit des japanischen Ethos über das westliche, selbstsüchtige, unkontrolliert sinnliche, unbeherrschte Ethos des Abendlandes.

Vernachlässigen sollte man seine Versuche, den Shinto-Buddhismus mit einer Spencerschen Vererbungs- und Evolutionstheorie zu vereinbaren. Und man muss auch die Geistertheorie nicht in den Mittelpunkt stellen. Aber vieles von dem, was er als gute und böse Kräfte im Menschen beschreibt, ähnelt den Dimensionen menschlicher Gefallenheit und guten Geschaffenheit. Und natürlich muss man den Manichäismus ablehnen, der gute und böse Gottheiten (à la Engel und Teufel) einander als gleichwertig setzt. Interessant ist die Idee, dass die bösen Geister nicht völlig böse sind, und dass man sie nicht frontal bekämpfen und vernichten soll, sondern sie gnädig stimmen durch teilweises Nachgeben. Hier liegt die Grundlage für die These, dass der Mensch „natürliche Triebe“ nicht asketisch abschneiden sondern beschwichtigen sollte. Und das ist ein Gedanke, der auch bei uns für Anfänger Bedeutung hat: wie viele heroische Anfänge völliger Triebunterdrückung geraten ins Abseits (was Johannes Cassianus übrigens auch schon weiß!).

Was bei Hearn natürlich völlig fehlt (und auch bei dem Katholizismus, wie er ihn kannte und mit Recht hasste) ist das Einwohnen der Heiligen Dreiheit in uns, das Wirken Christi im Herzen und die Stärkung durch den Heiligen Geist. Darum erscheint ihm vieles als unmöglich, was mit göttlicher Hilfe für Orthodoxe selbstverständlich ist.

Aber nach all dem ziemlichen Unsinn kommt er zur shintoistischen Dankbarkeit, und die ist – so scheint mir – vorbildhaft auch für uns. Und hier geht von der Gegenwart unserer Toten zur orthodoxen Verehrung der Heiligen eine gerade Linie. Diese „ungeheure Schuld der Gegenwart der Vergangenheit gegenüber“ habe ich schon als Kind empfunden. Ich sah es als meine Pflicht an, nicht nur Gottes schöne Schöpfung in unserem herrlichen, Park-artigen Garten und den Wäldern ringsum zu genießen und zu preisen, sondern auch die herrliche Musik und Literatur und bildende Kunst unserer großen Vorfahren zu würdigen und wo möglich (Musik) selbst am Leben zu erhalten. Hearn richtet die Aufmerksamkeit auf Blut und Schweiß jener, die unsere hohen Kulturgüter, ja unsere ganze Zivilisation erst möglich machten (obwohl sie nicht davon profitierten) in einer Weise, die ich schon bei Gustav Freytag erfreulich fand.

Natürlilch ist die Idee vom genetisch vererbten Wissen Kokolores. Es gibt Wissen, das vergessen wird. Das „finstre“ Mittelalter nach der Zerstörung der römischen Zivilisation ist ein Beispiel. So viel indigenes Wissen ist auch verlorengegangen. Aber egal. Sein Plädoyer für achtsamen Umgang mit den Dingen, auf die andere viel Mühe verwendet haben, beeindruckt mich.

Natürlich ist auch seine Theorie der Persönlichkeits-Vielfalt uns fremd. Wir streben nach Einheit mit Gott und nur mit Ihm zur Ausbildung der in uns angelegten vielfältigen Begabungen. Da fehlt bei Hearn die Grundlage für persönliche Verantwortung und Ansprechbarkeit, und damit auch für die Vergöttlichung, die immer die Person meint. Jetzt erst verstehe ich, warum auch wir Menschen als Hypostasen verstanden werden müssen, und sowas ist natürlich ganz un-buddhistisch.

Trotzdem: interessant für den Vergleich mit der Orthodoxie

Orth

Kimiko

Die Geschichte einer Frau, die ihr Leben als vollkommenes Opfer lebte. Der Vater stirbt – und am Ende kann Mutter und kleine Schwester nur dadurch gerettet werden, dass Kimiko sich als Geisha verkauft und zur vollkommenen Inkarnation dieser Kunst wird. Am Ende aber verliebt sie sich doch in einen reichen Jüngling, der sie heiraten will. Sogar von der Familie wird sie liebevoll aufgenommen, – alles könnte paletti sein. Aber sie zögert die Hochzeit hinaus und sagt endlich ab: Sie kann die Würde dieser Familie nicht durch Einheirat einer Geisha beschädigen. Sie verlässt das Haus und kommt nur noch einmal zurück, um das Söhnchen, das der Mann mit einer neuen Frau hat, zu umarmen. Der Mann hört davon und lässt niemals davon ab, an sie zu denken. Er weiß aber, dass am Ende ihres Lebens der Meister ihr die größere Liebe schenken wird mit den Worten: Du bist den rechten Weg gewandelt, du hast die tiefste Wahrheit geglaubt und verstanden, deshalb nehme ich dich auf.

Das ist sehr ähnlich unserem Christusglauben. Nur wir wissen, dass solche Opferbereitschaft niemandem gelingt (jedenfalls niemandem, der die japanische Erziehung zur Selbstlosigkeit nicht mitgekriegt hat) ohne Hilfe Christi. Darum konzentrieren wir uns immer nur auf Ihn.

Orth, GK Mädchen

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorHearn, Lavcadio

Kommentare

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