Stael, Germaine de – De l‘Allemagne

(1813 | 150 S.)

Meinung

Cornelia meint:

Da Heine ein Buch über Deutschland als Antwort auf dieses Buch geschrieben hat, wollte ich zuerst seine Vorgabe kennenlernen. Und ich bin tief beeindruckt vom analytischen Verstand dieser Frau. Sie zieht die Linien zwischen den Kulturen Europas entlang lateinischer, germanischer und slawischer Entwicklungen, und das Wagnis, das sie mit Herleitungen und Erklärungen eingeht, ist anregend für ein Verständnis dessen, was unter „deutscher Kultur“, und damit auch irgendwann einmal unter „deutscher Orthodoxie“ verstanden werden könnte. Vermutlich hat sie Gustav Freytag mit seiner Betonung der „deutschen Treue“ und „Aufrichtigkeit“ beeinflusst, jedenfalls sehe ich Parallelen. Bewundernswert, mit welch kritischem Blick sie auch ihre eigene, französische Kultur wahrnimmt, – da ist sie (nach ihrer Beschreibung ihres Nationalcharakters) ganz „un-französisch.“

Heine selbst sagt über sie: Wo sie ganz selbst ist, wo die großfühlende Frau sich unmittelbar ausspricht mit ihrem ganzen strahlenden Herzen, mit dem ganzen Feuerwerk ihrer Geistesraketen und brillanten Tollheiten:  da ist das Buch gut und vortrefflich. Sobald sie aber fremden Einflüsterungen gehorcht, sobald sie einer Schule huldigt, deren Wesen ihr ganz fremd und unbegreifbar ist, sobald sie durch die Anpreisung dieser Schule gewisse ultramontane Tendenzen befördert, die mit ihrer protestantischen Klarheit in direktem Widerspruch sind: da ist ihr Buch kläglich und ungenießbar.

Diese freundliche Bewertung in der Romantischen Schule wird aber zurückgenommen durch den argen Verriss in den Geständnissen. Aber vielleicht war Heine in den letzteren nicht mehr so ganz er selbst sondern unter dem Druck der Zeit und Armut auf Skandalmachen angewiesen.

Am Schönsten aber finde ich, dass sie bei allem darauf achtet, welchen Gewinn es ihrer Seele bringt. Darin ist sie meinem Anliegen sehr nahe. So handelt in III-I Kap 21  „Von der Unwissenheit und von der Leichtfertigkeit des Geistes in ihren Verhältnissen zur Moral.“ – und das ist großartig. Der ganze Teil III-II handelt von allen Arten von Religion in Deutschland,  Kap 10 geschieht dies in Beziehung auf Enthusiasmus („Gott in uns“) und Aufklärung. Ich habe das nicht gelesen, nehme es mir aber für später vor.

Sehr beeindruckt hat mich im Kap 4 der ersten Abteilung, was sie über die in Frankreich errungene „Freiheit der Frauen“ sagt: nämlich, dass diese dadurch der Nutznießung durch männliche Taugenichtse wehrloser ausgeliefert sind und nach Verblühen ihrer Jugend ohne Gnade fallengelassen werden. Wir haben hier einen kritischen Urtext zum Feminismus, jedenfalls dem Feminismus der Libertinage, der sexuellen Freiheit, wie man heute sagt. Im 17. Kap geht es um die erhebende Rolle der Frauen in der repräsentativen Demokratie.

In III-I Kap 19 sagt sie wichtiges über die Liebe in der Ehe, und auch hier geht es um Frauen.

Interessant auch im Kap 6, was sie über die Aufklärung sagt: Österreich versuchte, diese durch Zensur draußen zu halten, mit dem Ergebnis, dass nur die minderwertigen Schriften (als ungefährlich) Einlass fanden. Sie meint: man muss einem solchen Zeitgeist die Türen öffnen, seine neuen Kräfte zum Guten nutzen, indem man „neue Widerstandskräfte“ weckt. Erfreulich auch, wie positiv sie die Wirkung der katholischen Religion (offene Kirchen! Ernst im Angesicht des Todes) beschreibt.

Kapitel 18 und 19 sind faszinierend über Schulausbildung nach Rousseau (bad) und Pestalozzi (gut) und (19) über freie bürgerliche Armenfürsorge..

Aber die Hauptsache ist doch in III-III ihre letzten Kapitel über den Enthusiasmus, und hier haben wir eine proto-orthodoxe Lebenseinstellung.

Orth

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorStael, Germaine de

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