Erzpriester Alexander Men (1935-1990) und Alexander Puschkin (1799-1837) über das Fastengebet des Heiligen Ephraim des Syrers

Das Fastengebet des Hl. Ephraim

Ephrem der Syrer, Heiliger - Mosaik

Über das Gebet des heiligen Ephraim des Syrers

Von Erzpriester Alexander Men. Aus einem Vortrag über die Große Fastenzeit am 1. April 1989

An jedem Tag der Großen Fastenzeit, außer Samstag und Sonntag, wird das Gebet gelesen: „Herr und Gebieter meines Lebens“. Dieses Gebet wurde der Überlieferung nach im 4. Jahrhundert in Syrien von dem Asketen Mor Aphrêm, oder, wie wir ihn zu nennen pflegen, Ephraim dem Syrer verfasst. Er war ein Mönch, ein Dichter, ein Theologe, … einer der glorreichen Söhne der syrischen Kirche, der als berühmter Schriftsteller in die Weltliteratur Aufnahme fand.

Die Worte des Gebets, die so auch in Versen von Alexander Sergejewitsch [Puschkin] wiedergegeben sind [siehe unten], klingen aus dem Syrischen auf Kirchenslawisch so:

Herr und Gebieter meines Lebens„, das heißt: der Herr meines Lebens, Derjenige, Der mir das Leben gab, Derjenige, Der das Zentrum und der Mittelpunkt meines Lebens ist.

Gib mir nicht den Geist des Müßiggangs„, das heißt der Faulheit, nach einem alten Sprichwort der Anfang aller Laster. Müßiggang scheint eine unschuldige Sache zu sein, aber er führt in viel Finsternis und Schwärze.

des Verzagens“ … Das Christentum ist eine freudige Lehre, und wer den Mut verliert, entfernt sich von ihm. Der heilige Serafim von Sarow, der große russische Heilige des frühen 19. Jahrhunderts, sagte: „Wir können nicht den Mut verlieren, denn Christus hat alle gerettet.“

Herrschsucht“ bedeutet Machtgier. Jeder hat sie; denken Sie nicht, dass es so etwas wie Personenkult nur in der Politik gibt: Es kann ihn in der Familie und in jeder kleinen Gemeinschaft geben. Jeder Mensch trägt den Keim solcher Bestrebungen in sich: den Willen des anderen zu unterdrücken, ihn zu erwürgen, ihn zu unterwerfen.

Geschwätzigkeit“ … Ich nehme hier die Kinder aus: Kinder haben das Recht zu schwatzen, aber höchstens bis zum Alter von 15-16 Jahren. Wenn Kinder sich unterhalten, lernen sie zu kommunizieren, sie üben ihre Sprache; aber wenn diese „Kinder“ schon mehr als zwanzig, manchmal auch mehr als vierzig Jahre alt sind … Es bedeutet: dem eigenen Leben gegenüber gnadenlos zu sein. Denken Sie darüber nach (seien wir ehrlich zu uns selbst): Wie lange haben wir alle noch zu leben? Sehr wenig. Deshalb müssen wir das Leben wertschätzen, das Geschenk, das Gott uns gegeben hat, lieben und uns daran erinnern, dass wir nur das in die Ewigkeit mitnehmen werden, was wir in unserem Herzen haben. Und leeres Gerede, Geschwätz – das ist ein schreckliches Wort, es bedeutet, die Zeit totzuschlagen …

Weiter im Gebet heißt es: „Den Geist der Keuschheit, der Gemut, Geduld und der Liebe schenke mir, Deinem Diener.“ Keuschheit ist die Reinheit der Beziehungen zur Welt und zu den Menschen, die Ganzheit der Seele, ohne Zwiespalt, ohne Leidenschaften, die von einem Besitz ergreifen.

Demut“ ist die Weisheit eines gesunden Menschen. Demut bedeutet hier, in diesem Fall, … zu wissen, was man vor dem Hintergrund der Ewigkeit wert ist. Blähen Sie sich nicht auf wie der Frosch in der Fabel von Krylow – der platzte schließlich. Es ist nicht nötig, sich aufzublasen, aber man muss seinen Wert kennen. Die Weisheit der Bescheidenheit ist außergewöhnlich, sie ist schön. Die Weisheit der Bescheidenheit ist nicht Selbstdemütigung über den Stolz, sondern sie ist Gesundheit der Seele. Hier ist ein Beispiel für Sie: Wenn ein Mensch anfängt, sich etwas über sich einzubilden, was gar nicht in ihm steckt, dann sind es nur ein paar Schritte bis zum Größenwahn. Größenwahn ist ein pathologischer Zustand des Stolzes. Nur der eine verkündet es laut, dass er der Premier oder Napoleon sei, und landet in der psychiatrischen Klinik, der andere schweigt und umgeht das Krankenhaus, aber in seinem Herzen denkt er, dass er über allen anderen steht.

Geduld und Liebe“ – was ist Geduld? Ich formuliere es kurz, damit Sie es sich merken. Geduld ist keineswegs der Zustand des Viehs, das alles erträgt. Siebedeutet nicht das Erniedrigen einer Person – ganz und gar nicht. Sie ist auch kein Kompromiss mit dem Bösen – auf keinen Fall. Geduld ist die Fähigkeit, den Gleichmut des Geistes unter jenen Umständen zu bewahren, die diesen Gleichmut behindern. Geduld ist die Fähigkeit, auf ein Ziel zuzugehen, auch wenn man auf dem Weg auf verschiedene Hindernisse stößt. Geduld ist die Fähigkeit, einen freudigen Geist zu bewahren, wenn es zu viel Traurigkeit gibt. Geduld ist Sieg und Überwindung, Geduld ist eine Form von Mut – das ist es, was wahre Geduld ausmacht.

Und schließlich die Liebe. Liebe ist das höchste Glück eines Menschen, sie ist die Fähigkeit unserer Seele, offen zu sein, immanent, wie die Philosophen sagen, innerlich offen für einen anderen Menschen. Wenn du in der Metro die Rolltreppe benutzt, überprüfe dich selbst, ob du in der Lage bist zu lieben oder nicht. Wenn du dir die ansiehst, die auf der anderen Seite fahren, und du angewidert bist, diese Gesichter zu sehen … – dann bedeutet das, dass alle Poren deiner Seele verstopft sind und das Gefühl deiner Liebe in einem embryonalen Zustand ist …

Aber die Kraft der Gnade Christi ist in der Lage, einen Menschen so zu verwandeln, dass er die Mitmenschen ganz anders sieht, so, dass seine erste Reaktion Wohlwollen ist, so dass er sofort das Schöne sieht – in einer schönen Frau oder einem schönen Mann, das Vergeistigte – auch dort, wo andere es nicht bemerken; so, dass er, wenn er ein leidendes Gesicht sieht, Mitleid empfindet, so, dass er offen ist. Ein solcher Mensch ist immer glücklich, weil er in Einheit mit den Menschen ist, weil er aus der Liebe lebt.

Und am Ende des Gebets heißt es: „O Herr, mein König, gewähre mir,
meine Sünden zu sehen und meinen Bruder nicht zu verurteilen.
“ Das verstehen Sie. Das beste Heilmittel gegen das Verurteilen besteht darin, sich selbst kritisieren zu können. Wir sind oft extrem aufmerksam, ich würde sagen, beobachtend, und ich würde auch sagen, psychologisch anspruchsvoll, wenn es um die Sünden eines Nächsten, die Sünden eines anderen Menschen geht. Hier zeigen wir ein Höchstmaß an Wissen über alle moralischen Gebote, alle Feinheiten. Aber wir handeln hier in der Gestalt eines strengen Richters, ohne das Recht dazu zu haben, denn worin wir andere Menschen verurteilen, darin liegt auch unsere Schuld.

Sie werden mich fragen: Vielleicht liegt darin ein Kuhhandel, ein Kompromiss mit dem Bösen? Auf keinen Fall, niemals. Wir müssen das Böse stets beim Namen nennen. Aber für einen Menschen, der in diese Sünde gefallen ist, müssen wir Mitgefühl haben.

Das ist die Essenz dieses Gebetes, das jeden Tag während der Großen Fastenzeit unter tiefen Verbeugungen gelesen wird. […]

Alexander Puschkin – Wüstenväter und lautere Frauen

Illustration Puschkins zu seinem Gedicht, zeigt einen Mönch in seiner Zelle

Quellen:

https://azbyka.ru/fiction/otcy-pustynniki-i-zheny-neporochny-pushkin-aleksandr
https://azbyka.ru/prakticheskoe-rukovodstvo-k-molitve#ch_0_7_5

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