Ein Beitrag von Cornelia Hayes
Bei Wikipedia lesen wir:
Mit dem Wort Ökumenismus wird, zur genaueren Unterscheidung von Ökumene im Allgemeinen, in kirchenamtlichen Dokumenten der römisch-katholischen Kirche die gegenseitige Anstrengung der großen christlichen Konfessionen zur Wiedergewinnung der sichtbaren Einheit der Kirche Jesu Christi bezeichnet.
Im Licht der orthodoxen Tradition der Kirche hingegen bezeichnet der Ökumenismus eine verfehlte Weise, beim Bemühen um die von Christus gebotene Einheit aller Christen (Joh. 17:9) bei rein menschlichen Hilfsmitteln zu verweilen. Im Umgang mit unseren nicht-orthodoxen Brüdern bedeutet dies, sich vom wahrhaft und einzig Zielführenden ablenken zu lassen: von der Vereinigung mit Christus Selbst als der Grundlage für die Einheit aller Menschen.
Beginnen wir mit Grundsätzlichem: Alle, die sich auf Christus berufen, sind durch ein besonderes Band der Liebe miteinander verbunden. Dies gilt ganz besonders für jene, die Ihn richtig als den Sohn Gottes bekennen, der Mensch geworden und leiblich auferstanden ist. Hier gilt das Wort:
Wer nicht gegen mich ist, ist für mich“ (Mk. 9:40).
Ein im vollen Sinne richtiges Bekenntnis umfasst aber auch die eine heilige katholische und apostolische Kirche Christi. Im Gegensatz zu Organisationen wie dem Ökumenischen Rat der Kirchen betrachten wir diese eine Kirche nicht als ein erträumtes Ideal (oder als unsichtbare Realität jenseits der sichtbaren). Vielmehr erleben wir die Kirche als den wirklich und sichtbar auf der Welt gegenwärtigen mystischen Leib Christi. Ein solches Bekenntnis zur Einheit dieser Kirche schließt alles Reden über eine Mehrzahl an „Kirchen“ (ganz zu schweigen von „Zweigen“ oder „Lungenflügeln“) aus.
Die Einheit der Kirche zeigt sich im Blick auf Christi missionarischen Auftrag (Mt. 28:19): Ihre Glieder sind getauft worden und belehrt über „alles“, was nach Seinem Wort zu „halten“ ist.
Dieses „zu Haltende“ hat allein die orthodoxe Kirche in seiner ganzen Fülle als ihre Tradition bewahrt.
Menschen, die sich auf Christus berufen, aber jene Fülle nicht mehr kennen oder anerkennen, gehören (auch wenn sie dies nicht verstehen können oder wollen) nicht zu Seiner einen Kirche. Eine Vereinigung mit ihnen in Christus (d.h. durch die gemeinsame Feier der Eucharistie) kann durch Studien und Dialoge vorbereitet, nicht aber erreicht werden. Eine solche Vereinigung verlangt von jedem Menschen ein persönliches „Umgeisten“ als Rückkehr aus der Verirrung. Dabei ist zu bedenken:
Die Einladung zu solcher Umkehr gilt Menschen, die im Westen für Jahrhunderte-währende theologische Fehlentwicklungen keinerlei persönliche Verantwortung tragen. Diese Einladung enthält keinerlei Beschuldigung.
Ganz im Gegenteil ist sie vom Bewußtsein getragen, daß auch wir orthodoxen Christen durch eigene Fehler zur Entzweiung der Christus-Bekenner beigetragen haben und weiterhin beitragen.
Wer beim Bemühen um „Einheit aller Christen“ an der Notwendigkeit einer persönlichen „Umgeistung“, also einer umfassenden geistigen Umkehr, für nicht-Orthodoxe festhält, bekennt damit seine Treue zur Tradition der Kirche. Hier scheiden sich die Geister in unserer westlichen Kultur. Wer die Orthodoxie als eine unter den vielen christlichen „Konfessionen“ oder „Glaubenstraditionen“ ansieht (d.h. solche Redeweisen nicht im Sinne eines nur rücksichtsvollen Entgegenkommens in ausgewählten Situationen vorübergehend einmal gelten lässt), verlässt diese Treue. Er bekennt sich zur Häresie des Ökumenismus.
Der Ökumenismus unterscheidet sich vom berechtigten und gebotenen Bemühen, alle Christen (ebenso wie alle nicht-Christen) in die heilbringende Ökumene der Kirche einzuladen. Eine solche Einladung muß oftmals behutsam vorgebracht werden. Es ist schwer für nicht-orthodoxe Christen, das Ausmaß ihrer Entfremdung von der Kirche richtig einzuschätzen. Wer den Kontakt zu nicht-Orthodoxen nicht von vorneherein gefährden möchte, mag im Gespräch zuweilen sparsam mit der von ihm selbst in aller Fülle bekannten Wahrheit umgehen. Über weite Strecken mag er es vermeiden, von jener letztendlich erforderlichen Umkehr und Heimkehr zu reden. Das Ziel bleibt aber immer die Mission der Kirche: die Menschen auf die Vereinigung mit Gott vorzubereiten. Eine zunächst beobachtete pädagogische, oder therapeutische, Schonung darf also nicht zur Täuschung entarten. Unsere Gesprächspartner sollten, wenn sie innerlich dazu bereit sind, zumindest herausspüren können, wo der von uns angezeigte Weg hinführt: Wir müssen, auch ohne Worte, durch unser ganzes Wesen dafür einstehen:
Als Weg zu Gott wurde uns die Teilhabe an dem einen eucharistischen Gottesdienst geschenkt.
Im Unterschied dazu verleitet der Ökumenismus dazu, die “Einheit aller Christen“ von Diskussionen und Kompromissformeln zu erhoffen. Wer sich an solche Hoffnungen hängt, versperrt seinen Gesprächspartnern den allein Ziel-führenden Weg zum asketisch-liturgisch-karitativen Leben der Kirche. So hindert er andere daran, zur wahren Einheit in Christus zu gelangen.
Eine solche Behinderung stellt das Gegenteil jener Liebe dar, die wir unseren nicht-orthodoxen Brüdern (Christen und nicht-Christen) schulden. Sie riskiert überdies, den orthodoxen Einwanderern in die Länder des Westens selbst ein falsches Bild über ihre Umgebung zu vermitteln. Der Ökumenismus verführt sie dazu, sich hier mit ernsthaft suchenden nicht-orthodoxen Christen nur darum einig zu glauben, weil beide Seiten den Säkularismus und die heidnischen Religionen ablehnen. Diese gefühlte Einigkeit lenkt von wesentlichen Unterschieden auch zwischen den verschiedenen christlichen Bekenntnissen ab. Sie lässt vergessen, daß die Worte, die in „interkonfessionellen“ Dialogen als Mittel der Verständigung dienen sollen, für die Teilnehmer radikal verschiedene Bedeutungen haben: Den Sprachgebrauch der Orthodoxie prägt die kirchliche Erfahrung eines leib-seelischen Anteilhabens an Christus als dem göttlichen Logos. Stets erscheinen die hier verwendeten Worte gleichsam von innen beleuchtet durch die Erkenntnis, daß das „Wort“ Gottes die Person des Gott-Menschen Selbst ist. Ein Dialog, der dieser Erkenntnis nur bedingt (wenn überhaupt) Rechnung trägt, verdeckt eine zentrale Einsicht:
Ein Erkennen Gottes und Seines Willens ist nur noetisch möglich.
– der Redende muss sich hierbei für die Gnade göttlicher Erleuchtung auf dem Weg innerer Umkehr „als von Gott Selbst Erkannter“ öffnen.
Ein solches Erkennen-im Erkanntsein bleibt dem menschlichen Verstand grundsätzlich verschlossen.
Der Ökumenismus lenkt mithin ab von der entscheidenden Bedeutung einer persönlich praktizierten Verherrlichung Gottes in Wort, Tat, und Gedanken. Er betrachtet das Dialogisieren selbst schon als zielführend, anstatt es als Einladung in eine kirchlich geprägte Erfahrung anzunehmen.
Diese selbe Ablenkung verdunkelt den Sinn für die Integrität des orthodoxen Glaubenslebens. Sie schwächt somit jenen Widerstand, den orthodoxe Christen in westlichen Ländern der Versuchung zur unbedachten Anpassung unablässig entgegensetzen müssen. Nur ein klares Bewusstsein dieser Integrität erlaubt es orthodoxen Christen, gegenüber dem, was sich im Westen „christlich“ nennt, aber eigentlich schon eine nach-christliche Kultur bejaht, ihren Glauben und den ihrer Kinder zu schützen.
Der Ökumenismus ist in dieser westlichen Kultur zum Leitbild geworden.
Das Bekenntnis zur Vielförmigkeit religiöser Wahrheiten gilt dort als unverzichtbare Bedingung für das friedliche Miteinander im modernen Pluralismus.
Das Beharren auf der einen Wahrheit in Christus im Bekenntnis der einen orthodoxen Kirche gilt darum als Skandal.
Das herrschende Ethos verpflichtet nämlich jeden zur Anerkennung aller religiösen oder unreligiösen Weltanschauungen, die Menschen subjektiv für richtig, gültig, wertvoll oder hilfreich halten mögen. Schon wer überhaupt nur Christus als DIE Wahrheit bekennt, wird als politisch verantwortungslos gebrandmarkt, wegen seiner „Diskriminierung Andersgläubiger“ moralisch verurteilt und aufgrund der naiven „Unreflektiertheit“ seines Glaubens als wissenschaftlich unqualifiziert abgetan. Die Kosten, die sich aus einem solchen Bekenntnis in westlichen Gesellschaften ergeben, sind besonders für Akademiker und Publizisten hoch. Aus diesem Grund müssen gerade orthodoxe Intellektuelle sich der Versuchung zur Anpassung immerzu bewußt bleiben.
Die große Herausforderung besteht hierbei darin, hinter den Positionen, die wir als Christus-feindlich ablehnen, die Menschen, die in ihrer verblendeten Art gutwillig Christus suchen, immer wieder neu in die wahre Liebe Christi einzuladen.
2020 (2017)
Ich danke Andreiy Fastovskiy, Vater Martin Lissmann und Vater Elmar Kalthoff für hilfreiche Verbesserungsvorschläge. Die verbleibenden Mängel gehen auf meine Kappe. Cornelia Hayes.
Sehr gut……mit großer Klarheit formuliert…….