Sag mir, wie Du mich siehst, und ich sage Dir, wer Du bist

Tatsächlich scheint über Kirche wenig Konsens zu bestehen. Zumindest wird über „Probleme der Kirche“ heute kontrovers diskutiert: Verschiedenen Lösungsansätzen liegen offensichtlich verschiedene Vorstellungen darüber zugrunde, was Kirche ist, kann und soll.  

– Auf der akademischen Ebene z.B.: die Bedeutung der Finanzierung orthodoxer Fakultäten für Lehrinhalte und Freiheit der Forschung, Fragen der Liberalisierung der Theologie, Anpassung kirchlicher Kanonen an die moderne Welt, deren ökumenistische Allversöhnungs-Ansprüche.

– In der Öffentlichkeit z.B.: die Beziehungen zwischen dem Phanar und Rom, die unkanonische Vielzahl von Diözesen auf gleichen Territorien in den westlichen Ländern, Spaltungen wie in der Ukraine und Mazedonien, das Schisma zwischen dem Phanar und Moskau, der Phyletismus als Hindernis örtlicher Mission in nicht-orthodoxen Ländern.

Wo liegt da jeweils die Wahrheit?

Der Heilige Irenäus von Lyon hat dazu in seiner Schrift gegen die Häresien gesagt, man dürfe

Das macht Hoffnung: In kirchlichen Streitfragen finden wir an der Kirche der Apostel klare und sichere Orientierung. Fein, denkt man: graben wir die frühen Quellen aus, dann lösen sich alle Probleme.
Nun. Christus Selbst war skeptischer. Er sagte äußere Feinde voraus:

und innere

Auch Paulus

sieht Wölfe von außen und Uneinigkeit von innen. Die Kirche der Apostel war selbst schon voller Streit und Unfrieden.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Geht es uns denn wirklich gar nicht besser als unseren christlichen Brüdern im Westen? Dort gibt es ja auch genug Streit!

Nun heißt es:

Joh 7,16

An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Und wie genau bewerten wir welche Früchte?
Es gibt einen wesentlichen Unterschied: Im Westen steht „Kirche“ im Plural. „Kirchen“ sind hier politische Akteure, moralische Instanzen im öffentlichen Diskurs, Religionsgemeinschaften mit sozialer Stützfunktion und psychologische Dienstleister für Lebenskrisen. Sie erscheinen als gefährdet unter dem Druck der Gemeinschafts-feindlichen Moderne, verstrickt in ökonomische Überlebensstrategien beim Wegsterben ganzer Gemeinden, und belastet durch moralische Verfehlungen.
Verfehlungen gibt es auch bei uns. Sie stehen nur weniger im Vordergrund. Der Fokus liegt auf der Kirche im Glauben:

Wir bekennen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.

Was aber heißt: heilig – bei all dem Unfrieden?
Drehen wir mal die Blickrichtung: Wird denn unser eigenes Denken und Reden über Kirche dieser Heiligkeit gerecht? Oder nehmen wir immer bloß Partei und sprechen unseren Gegnern jede Heiligkeit ab? Wie heilig bin ich eigentlich selbst, wenn die Kirche „das Heilige den Heiligen“ ausgerechnet auch für mich bereithält?
Bin ich zum Urteilen überhaupt berechtigt? Als Schaf, und – Schäfin?

Der Hirte des Hermas beschreibt die Kirche in drei Visionen. Da erscheint sie jeweils anders.

Warum erscheint sie in der ersten Vision alt, schwach und wackelig, in der zweiten mit jüngerem Gesicht, gestärkt und schon in besserer Stimmung, und in der dritten trotz gleichbleibenden Alters verschönt, verjüngt und fröhlich?

Die drei Hermas geschenkten Visionen entsprechen seiner jeweils eigenen Geistesverfassung: Zur Zeit der ersten Vision war er selbst schwach und voller Zweifel; danach hatte Gott seinen Geist und Glauben gestärkt, und zum Zeitpunkt der dritten Vision hatte Hermas sich aus Dankbarkeit bereits selbst bemüht seine Gesinnung zu ändern:

Die jeweiligen Bilder der Kirche spiegelten mithin seinen eigenen Seelenzustand.

Gilt das auch für uns? Spiegelt jene soziologische Sichtweise, die nur Mißbrauch und Sünde sieht, das unreine Herz des Betrachters?

In

erfährt Hermas, daß die ihm gewährten Visionen und Lehren über die Kirche zu seiner Verbesserung und der seiner Hörer dienen sollten. Hier ist das Reden über die Kirche pastoral angelegt: Es geschieht innerhalb des Lebens der Kirche.

FAZIT

Vielleicht könnten auch wir in einer Weise über Kirche denken und reden lernen, die selbst schon „kirchlich“ ist, also uns und unseren Gesprächspartnern geistlich weiterhilft.

Meine Überlegungen haben vier Teile.
Sie behandeln zunächst
– (I) die unmittelbaren Wirk-Ursachen für das Aufscheinen der Kirche in der Welt, dann
– (II) ihre Einbettung in Gottes Heilsplan, weiterhin
– (III) ihre diesem Plan entsprechende Berufung und schließlich
– (IV) die Weise, in der sie dieser Berufung folgt.

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