Grabbe, Christian Dietrich – Herzog Theodor von Gothland

(1892 | 250 S.)

Meinung

Cornelia meint:

Ich wunderte mich, dass in der Klassiker-Bibliothek meiner Großtante ein Dramatiker fehlte, der mir während des Germanistik-Studiums als bedeutend vorgekommen war. Lud mir also sein erstes Drama runter und verstehe jetzt: Der war nix für ein gutbürgerliches Haus.

Finnen gegen Schweden. Pikanterweise (und als Nährboden für fiesen Rassissmus) ist Chef der Finnen ein Neger, der aufgrund des Unrechts, das der Kolonialismus ihm angetan hat (!) alles Europäische hasst und nur seine Finnen als Asiaten gelten lässt. Natürlich ist auch bei den Schweden „Neger“ ein Schimpfwort, wobei die Schwärze zugleich satanisch gesehen wird. Tatsächlich ist er ein Meister des Lügens, allerdings im Dienst (d.h. Krieg) unschlagbar. Beruft sich blasphemisch auf Gottes Hilfe, unterstellt zugleich den Priestern Hexerei. Besonderen Hass hegt er gegen Herzog Gotland, der ihn mal auspeitschen ließ. Ihm gilt blutige Rache. Beider Ende ist einigermaßen unentschieden: Berdoa kann Gothlands Seele vernichten, wird selbst von jenem bloß ermordet. Eine Seele hat der nicht.  Zumindest auf dieser Ebene siegt also das Böse, und nur die politische Großwetterlage lässt schließlich „die Guten“ siegen, denn  die „Himmelswölbung blieb seit ewig stehn.“ Ein schwacher Trost: wie beim Faust sichert sich Berdoa den dramaturgischen Löwenanteil.

Interessant, dass Gothland gerade in seiner landesverräterischen Rebellion sich zum Friedensfürsten ernennt: da ist das Thema des Antichristen mit Händen zu greifen. Faszinierend, wie der seelisch durch seine Untaten doch angeschlagene finnisch-schwedische Doppelkönig sich ausgerechnet beim Neger, den er grad nochmal leben lassen muss, um dessen Finnen nicht zu vergrätzen, Rat in Bezug auf jene Himmelserscheinungen holt (Blitze, Donner), die er selbst, von jenem zum Brudermord verführt, als göttliche Zeichen hat deuten wollen. Dasselbe gilt für Unsterblichkeit und Hölle (IV/1) vor denen sein Gewissen sich ängstigt. Und Berdoa grillt ihn dann mit strategisch eingesetzten religiösen Wahrheiten über die Tugend als Schutz vor Strafen und die Wahrscheinlichkeit Denkbarkeit einer rache-göttlichen Vergeltung. In III/2 ruft Gothland trotzdem selbst irgendwelche göttlichen Gewalten an und lässt  sich  IV/1 von Berdoas diabolischer (also: alles durcheinanderwerfender) Leugnung einer Hölle zu weiteren Morden (5000 Gefangene) verführen. Das Elend seiner Wurm-Existenz erkennend, wünscht er sich von jenen Gewalten nichts weiter als langes physisches Leben und eine rein tierische Existenz: Hier haben wir schon 1892 ein prophetisches Bild unserer heutigen nach-christlichen Welt, in der Leute nur noch an das Hinausschieben des Todes denken (oder seine Herbeiführung, wenn die Sache keinen Spaß mehr macht).

Gothland leidet (IV/1) endlich doch unter seinen unvermeidbaren Gewissensbissen, was der Neger als europäische Schwäche abtut. Zwar schwant ihm eine Götterdämmerung ewiger Liebe, aber da an sie nur durch Reue ranzukommen ist, und da Reue das Zugeständnis einer Hölle voraussetzt, optiert der Verzweifelnde lieber für die kosmologische Variante, Absturz des Weltalls. Man verordnet dem verstört wirkenden König die Erinnerungen an Kindheit und Mutter, aber sobald Ehefrau Cäcilie an diese Gefühle zwecks Rettung appelliert, schickt er sie in den winterlichen Kältetod.

Zum teuflischen Werk Berdoas gehört auch, ganz modern, die Technik, Kinder durch Sexualisierung den Eltern zu entfremden: So wird Gothlands Söhnchen von seiner romantisch tugendsamen Liebe „geheilt“ und zum Ungehorsam gegen und Verrat am Vater angestiftet, dessen eigene Untaten, philanthropische Ambitionen hin oder her, seine Autorität untergraben haben.

Im 5. Akt Gefangennahme Gothlands durch Berdoa, der ihn mit Höllen-Visionen quält. Jener schiebt weiterhin alle Schuld auf das Schicksal anstatt – Berdoas Diagnose – auf die eigene Dummheit. Ausgerechnet der schwarze Teufel hält ihm vor, nach der Tat die Reue verweigert zu haben, die als allmächtige erreichen könnte, was „Gott selbst nicht kann“: eine Tat ungeschehen zu machen. Solch schräge Theologie wird in der Orthodoxie vermieden, weil wir die Vergebung von der Notwendigkeit unterscheiden, die der eigenen Seele zugefügten Wunden durch Buße zu heilen. Ausgerechnet Berdoa, Meister von Gothlands „Hölle auf Erden“, drängt ihn dabei zum Beten und zur Demut vor Gott, allerdings nur, um die Demütigung seines verhassten Feindes ihm selbst gegenüber zu vollenden. Paradoxerweise garantiert dabei Gothlands einzige Defensiv-Waffe gegen diese teuflische Vernichtung seines Stolzes, nämlich die Weigerung, seine Schuld einzugestehen, zugleich seine wirkliche Rettung.

Immerhin kann Gothland sich von den Fesseln noch einmal losreißen und seine eigene Rache-Jagd vollenden. Aber auch hier bringt die Berdoa angetane Folter keine Erleichterung. Innerlich zerrüttet fällt er dem taedium vitae anheim, läßt sich von seinem engsten Gefolgsmann, den er seinerseits verriet, töten und freut sich auf die Hölle als „mal was anderes“. Und der alte Vater, vom schwedischen König zu seiner Pflicht als Verfolger des Sohnes gedrungen, bricht zusammen, weil er den Anblick des Sohnes nicht ertragen kann. Wobei es aber eigentlich um den nun beerdigten Ruhm seines Hauses geht.

Damit gewinnt dieser Ruhm einer großen Familie ein Gewicht, das die metaphysisch-moralische Botschaft des Stücks (wie immer man die problematisch finden muss) zerstört. Hier macht sich die literarische Unreife dieses Jugendwerks bemerkbar.

Bringt das Ganze irgend einen Nutzen? Ich denke ja, denn das teuflische Spiel Berdoas beruht auf theologisch unangemessenen Voraussetzungen. Diese zu kritisieren ist für Orthodoxe lehrreich.

Orth.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorGrabbe, Christian Dietrich

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