
(1861 | 400 S.)
Erniedrigte und Beleidigte war der erste Roman, den der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski nach seiner achtjährigen Verbannung nach Sibirien 1861 in der Sankt Petersburger Monatsschrift Wremja veröffentlichte. Wikipedia
Meinung
Cornelia meint:
Wie im Idioten liebt der Haupt-Mann zwei Frauen. Aber anders als der Idiot ist Aljoscha zwar auch wie ein Kind und ohne rationale Fähigkeiten, unendlich gutmütig und das Gute glauben wollend, aber zugleich von einem fulminanten Egoismus. Er sieht nur seine Gefühle und liebt nur gefühlt, bereut nur gefühlt. Er wird als kleines Kind in Twen-Gestalt dargestellt. Berückend schön von innen und außen, nur halt ohne jedes Verantwortungsgefühl für die Frauen, die er liebt, und darin dem Idioten wiederum ähnlich. Natalja liebt ihn mit der russischen Mitleidsliebe, aber mit einer Selbstaufgabe, die man nur entsetzlich finden kann. Sie liebt das Leiden an der Liebe und ist damit auf ihre Weise ebenso egoistisch wie Aljoscha. Leider ist das eine Diagnose des Bösewichts, seines Vaters. Aber wie der Teufel auch, so hat auch dieser Bösewicht viel Wahres erkannt, – auch wenn es als Beleidigung und Erniedrigung ankommt. Denn auch Natalja zerstört nicht nur ihr Elternhaus durch den Kummer ihrer Flucht mit Aljoscha, sondern auch Wanja, der sie wahrhaft liebt und dessen Leben sie völlig zerstört, indem sie in all ihrem Leiden immerzu seine Dienste einfordert, mit Undank antwortet und endlich erst im letzten Moment einen Ausdruck der Läuterung schafft, als alles zu spät ist.
Die zweite Frau, die er wegen Papas Geldgier heiraten soll, ist ein Wunderwerk der Weisheit und Vollkommenheit und kriegt den Jungen also, weil selbst Natalja einsieht, daß sie ihn eher glücklich machen kann als sie selbst. Überhaupt dreht sich alles darum, diesen Kerl glücklich zu machen, weil das das Ziel der Liebe ist. Aber während Natalja ihre Liebe umso mehr genoß, je scheußlicher Aljoscha sie leiden ließ, hat Katja mehr Verstand und wird ihn vielleicht wachsen lassen.
Hineingewoben ist ein früheres Schandstück des Fürsten, der eine Frau betrog, bestahl, sie sitzen ließ – auch die hatten einen Herzensfreund ganz parallel zum Autor Wanja, und dann stirbt sie im Elend in Petersburg. Die kleine Tochter muß den Großvater aufsuchen, der sich nicht versöhnen lassen will und selbst verarmt ist (Schuld der Tochter), so daß nach Tod der Mutter der Autor das Kind aus den Händen einer Bordellmutter erlösen muß. Die kleine Nelly liebt Wanja, und geht an Krankheit und Leid darüber kaputt, daß Wanja immerzu seine Natalja weiterliebt. Dann wird das Kind geopfert, indem es den Eltern Nataljas ihre eigene Geschichte erzählt und so endlich das Herz des Vaters zum Verzeihen erweicht. Dann stirbt sie nach einigen guten Tagen der Liebe.
Interessant der kleine Spion, der die Sache rausgekriegt hat, seinen eigenen Geldinteressen dient und zugleich seinem Freund Wanja nicht schadet.
Dann gibt es diese christlichen Reste. Wie im Idioten gibt es das Modell des AllesVerzeihens bei Natalja, das aber ohne jede Verantwortung für die Entwicklung des Geliebten gelebt wird, den dieses Verzeihen in seiner kindlichen Verantwortungslosigkeit festhält. Ansonsten kommt Christliches dort vor, wo man den Bettlern etwas gibt und die ein anerkannter Teil der Gesellschaft sind. Und beim Verfluchen. Nataljas Vater verflucht sie, nimmt das aber zurück. Der Vater von Nellys Mutter verfluchte diese, nimmt das zu spät zurück. Diese Mutter verflucht den Fürsten. Hätte sie früher gegen diesen mehr gekämpft, um der Tochter das ihr zukommende Erbe zu sichern, dann hätte sie den Rest des Lebens am Verzeihenkönnen arbeiten können. Aber sie hat nie für die Rechte des Kindes gegen ihren eigenen Schand-Verführer gekämpft.
Das ganze so unheimlich wie ein Dickens-Roman, und dazu die Dostojewskische Leidens-Versessenheit. Ich sehe darin – abgesehen von der Spannung und dem experiementellen Charakter von Dostojewskis Anlage des Romans – keinen großen Mehrwert. Gut, für Mädchen vielleicht ein Lehrstück über Fehlformen des Liebens, bei Bedarf.
JG-
Info
Erscheinungsjahr | 19. Jh., 2. Hälfte |
Seiten | 300-600 |
Autor | Dostojewski, Fjodor |
Kommentar zu: Dostojewski, Fjodor – Erniedrigte und Beleidigte.