Ebner-Eschenbach, Marie von – Bozena, die Geschichte einer Magd

(1876 | 230 S.)

Cornelia: So wie die Droste eine Generation nach Bettina, so kommt Marie eine nach der Droste. Alle drei wurden sehr sorgfältig erzogen, und wie die Droste blieb Marie kinderlos, obwohl sie wie Bettine verheiratet war. Hier nun in Mähren und Österreich ist der Adel international politisch vernetzt, und Marie profitiert von dieser freien Überblicksposition. Und ganz anders als bei der Droste, aber wie bei Bettine, wird die literarische Begabung erkannt und gefördert. Wie die Droste mag sie kleine Sachen und macht sogar eine Lehre als Uhrenbauer, gewinnt dann aber ein klares Profil als soziale Schriftstellerin, die gegen gängige Vorurteile kämpfte

Meine Klassiker Ausgabe enthält zwei Bände „Aus Spätherbsttagen“. Die sind gemischt. Aber es lohnt sich, immer mal wieder mehr von ihr zu lesen.

Meinung

Diese Magd ist eine fast schon mythische Libussa-Figur in ihrer Größe, Schönheit, und Herzensreinheit. In ihrer Hand liegt der Ausgleich der Gerechtigkeit. Sie sieht und weiß alles, und so kann sie im entscheidenden Moment das böse Fräulein Regula zum Verzicht auf das Landgut des Grafen bringen (das sie gekauft hat in der Hoffnung, Frau Gräfin zu werden) und zur Zustimmung dazu, daß die Tochter ihrer davongelaufenen Schwester, die ihr der sterbende Vater ans Herz legte um das Unrecht, das er jener Tochter angetan hat, wieder gutzumachen, tatsächlich ihr Lebensglück finden kann.

Es gibt da das auf Unrecht gebaute Kaufmannshaus mit seinem Reichtum, wo die erste Ehefrau vor lauter Lieblosigkeit des Mannes sterben mußte und wo deren Kind  Rosa von der zweiten Frau im Interesse des eigenen nächsten Kindes Regula vernachlässigt wird, dann eine Liebe findet und davon geht. Es gibt  die integren Büro-Diener, den Verführer, der Bozena verläßt, und das verrottete Grafenhaus, dessen Chef in Träumen lebt, aus denen allzu rücksichtsvolle Familienmitglieder ihn nicht zu wecken wagen – dadurch allerdings ihn in immer fiesere Ungerechtigkeiten hinein verführend. Und Bozena leuchtet, steht und rettet.

Das ist natürlich alles dick aufgetragen. Trotzdem außerordentlich fesselnd und durch den Lebensreichtum all dieser Personen und Stände, ökonomischen Zwänge und politischen Umstände erquickend. Ebner Eschenbach schreibt halt von Sachen, die sie selbst kennt und versteht. Und natürlich erhebend das Bild dieser integren Magd, der „alle, alle glauben werden“ wenn sie, wie sie droht, bekannt machen würde, daß die Stiefmutter die Briefe der verlorenen Tochter verbrannt hat, dadurch den Vater seinem Zorn auf die verlorene Tochter  ausliefernd.

Man muß zugeben, daß die Personen nur Schablonen sind. Allein Bozena ist eine Person mit ihren Widersprüchen und Schwächen.  Erschütternd der sozialkritische Blick auf die Demütigungen, denen sie im Kaufmannshaus ausgesetzt ist. Hier wird klar, daß der kapitalistische Mensch viel schlimmer wird als der adelige Despot es je war. Beide, Heissenstein und der Graf, sind Haustyrannen, die ihren Kindern unrecht tun. Aber immerhin, der Graf hat sich ein gesundes Gefühl für Qualität bewahrt und akzeptiert die Kaufmannsenkelin trotz nicht-adeliger Skandalmutter. Es ist eine herrliche Ironie, daß sein kühner Alleingang, unternommen um dem stets zu Unrecht verachteten, aber im Blick auf Röschen wieder begreiflich gewordenen Sohn durch Werbung bei Regula um Röschen das Lebensglück zu sichern, das von den Kindern paternalistisch für den senilen Papa aufgebaute Traum-sicherungs-System (Rondsdorf wird an Regula verkauft, aber mit Wohnrecht für die Alten, die weiterhin sich als Besitzer fühlen dürfen) zerstört. Regula kapiert, daß nicht sie geheiratet werden soll und verrät aus Rache dieses Traumsicherungs-Geheimnis an den Alten. Mit dem Ergebnis, daß Papa Graf die Bücher studiert und unter Führung seiner energischen Tochter (der Gouvernante Nanettchen offenbar doch nicht den Verstand austreiben konnte, das ist eine Unstimmigkeit) endlich die Lage erkennt.

JGM+

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorEbner-Eschenbach, Marie von

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