Eliot, George – Silas Marner

(1861 | 240 S.) Ein wunderbares Buch über die göttliche Gerechtigkeit.

Meinung

Cornelia meint:

Ein wunderbares Buch über die göttliche Gerechtigkeit. Es beginnt in einer christlichen Sekte, in der ein vermeintlicher Freund der anima candia Silas schreckliches Unrecht antut. Er schiebt ihm einen Diebstahl an der Gemeinde unter und schnappt ihm die geliebte Braut weg. Die Gemeinde verlegt sich angesichts seines Leugnens (und er schweigt über sein Wissen über den Verrat, weil er es nicht fertigbringt, den Freund vieler Jahre bloßzustellen) aufs Los-Ziehen (ganz biblisch wie bei Jona), aber da ist kein Gott, der die Sache leiten könnte: Das Los fällt auf Silas. Er wandert in eine entfernte Gegend, lebt dort von seiner Weberei einsam als Fremder, hat seinen Glauben verloren, weil keine göttliche Gerechtigkeit, auf die er sich verlassen hat, ihm beistand.

In seiner Einsamkeit verfällt er auf die Habgier: seine Freunde werden die Goldstücke, die er allabendlich bespielt. Die werden ihm von Dunstan, dem adeligen Jungtunichtgut, gestohlen, und Dunstan, der sowieso zuhause rausgeflogen wäre, bleibt verschwunden. Dieses Elend öffnet die Herzen der Dörfler, die ihn vorher mit Misstrauen beäugt und als teuflisch verleumdet hatten, weil er aus Mitleid einer alten Frau mit Kräutern half, dann aber sich weigerte, wie man das gewohnt war, Flüche auszusprechen über böse Nachbarn, und alle Krankheiten zu heilen. Hier tritt Dolly Winthrop auf und will ihn in die Kirche holen. Aber damit kann Silas nichts anfangen: sein Glaube ist so lokalspezifisch versektet gewesen, und diese Gemeinde so lokaltypisch verbürgerlicht, dass nichts zusammenpasst.

Dann aber stirbt die Frau, die Godfrey, der ältere Bruder Dunstans, aus Dummheit geheiratet hatte, wegen Opium im Schnee, gerade, als sie beim Neujahrsball ihn in der Gesellschaft bloßstellen will, und gerade an Silas Hütte. Ihr Baby weckt in Silas die Erinnerungen an eine kleine Schwester, und Silas wird in der Fürsorge für das fremde Kind zum Menschen und geachteten Bürger des Dorfs. Und hier eine zweite theologisch interessante Ebene, wie diese Dolly mit ihrem nicht verstandenen Glauben doch ein Vertrauen in die höheren Mächte aufrechterhält, in das sie Silas hineinziehen kann. Er lässt sich um des Kindes willen brav verkirchlichen und zum geachteten Mitbürger machen. Da wird plötzlich sogar Dunstans Skelett mit dem ganzen Geld im Brunnen neben der Hütte gefunden, in den er bei jener Nacht gefallen war. Insofern ist die göttliche Gerechtigkeit triumphal rehabilitiert. Und Eppie heiratet Dollys Aaron, so dass auch die Versorgung des alten Silas gesichert ist. Zwar gelingt es Silas nicht, bei der Reise zur früheren Sektenkapelle den Prediger wegen der Lose zur Rechenschaft zu ziehen, aber die himmlischen Mächte haben auch hier schon gewirkt: die Kapelle ist futsch, dieses Christentum war nicht „nachhaltig“.

Die dritte Ebene ist die der Feigheit, des Egoismus, und der nicht wiedergutzumachenden Schuld. Godfrey hat die wundervolle Nancy geheiratet, beides schöne Seelen, nur sie stark und er schwach. Er hat gewusst, wer das Kind war, das Silas bei sich aufnahm, hat dies aber bei der Hochzeit verschwiegen. Die Ehe leidet unter seinem Leiden an Nancys Kinderlosigkeit, und sein Vorschlag zu adoptieren (natürlich will er sein Kind!) beißt bei ihr auf Eisen: da kann sie über ihre bürgerliche Enge nicht raus. In der Liebe zum Mann absolut selbstlos – aber über die Klein-Familie hinaus geht das nicht. Als Dunstan gefunden wird und die Familienehre eh beschädigt ist, gesteht Godfrey endlich. Nancy wächst an großmütiger Selbstlosigkeit über sich hinaus. Der Versuch beider, nun doch das Mädchen zu adoptieren, scheitert: Die Achtzehnjährige will keine lady werden, sondern ihren Vater Silas behalten. Und der macht klar: wer ein Segensgeschenk zurückweist, verliert sein Recht darauf. Immerhin, beide Eheleute werden weiterhin das Kind überall unterstützen, wie das Godfrey schon all die Jahre heimlich tat – unter dem Deckmantel einer Belohnung für Silas‘ „Opfer“, das eine Rettung war.

Wir haben hier also ein Christentum in stark verfremdeter Schrumpfstufe, und mit sehr dünnem Faden hängen daran Seelen, die heroisch ihr Leben bewältigen und über die Ichsucht hinauswachsen. Sie haben – soweit sie wirklich schöne Seelen sind (Silas, Dolly, Eppie, Nancy) das Wesentliche der göttlichen Berufung erreicht – im fernen ländlichen England, das kirchenväterlichen Schriften schon lang nicht mehr berührte. Nancy ist die Einzige, die regelmäßig die Bibel liest, um sich moralisch zu prüfen, und Silas kennt dieselbe ziemlich auswendig, ohne darüber Bescheid geben zu können. Aber sein goldenes Herz wurde dadurch geformt. Es ist gut für uns Orthodoxe, diese Unbesiegbarkeit des Worts auch unter den ärgsten Verformungen, vor Augen geführt zu kriegen.

Jg+6

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorEliot, George

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