France, Anatole: Die Götter dürsten/ Die Bratküche …/ Aufruhr der Engel

(1912-14 | je ca. 300  S.)

Anatole France (François Anatole Thibault; * 16. April 1844 in Paris; † 12. Oktober 1924 in Saint-Cyr-sur-Loire) war ein französischer Schriftsteller. 1921 erhielt er den Literaturnobelpreis.

https://de.wikipedia.org/wiki/Anatole_France

Meinung

Cornelia meint:

Die Götter dürsten 1912

Leider macht meine deutsche Übersetzung das allseitige Lob des großen Stilisten nicht sehr glaubwürdig. Man sollte ans Original ran! Dieses Buch gehört in seine späte, sozialistische Phase, in der er seine katholische Frühprägung längst hinter sich gelassen hatte. Anti-Fanatismus, okay okay. Der Terreur muss tatsächlich grässlich gewesen sein: die Leute meldeten sich freiwillig zur Hinrichtung, weil sie in der ständigen Angst nicht weiterleben wollten – so wie die Frauen heute im Iran.

Wenn Wiki davon spricht, dass seine Figuren zu flach das Inhalts-Programm des Autors wiedergeben, so kann ich nur zustimmen. Das ist schundig.

Wenn ich trotzdem überlege, das Buch zu empfehlen, dann, neben dem historischen Interesse (aber mich interessiert halt alles Historische), das die Guillotine gern mal so richtig rauschen hört, die Figur des tapferen Mönchs. Longuemare ist ein wahrhaft christlicher Martyer (der in der internet Rezension von Wunderlich keine Rolle spielt). Aber auch der (Geld-)Aristokrat Brotteaux, der einen Lukrez-gefärbtem Atheismus mit wahrhaft christlicher Menschenfreundlichkeit verbindet, hat mein Herz gewonnen. Eine Mahnung für unsere Theologen, die Gnade Gottes bitte sehr vorsichtig zu verteilen, – grad so vorsichtig, wie es auch der tapfere Mönchspriester tut, als er dem Freund noch auf dem Henkerkarren auferlegt, für ihn, den Mönch zu beten.

Natürlich muss man sich überlegen, ob all diese guten Seiten des Buchs das Übel gutmachen, das in jener Eloide vorgeführt wird: Je blutiger ihr Geliebter als Richter wütet, umso sexuell beglückender findet sie ihn. Sowas möchte ich nicht lesen, und auch keinen Enkeln zumuten. Also – keine Empfehlung.

Die Bratküche zur Königin Pedauque

Ich bin nicht sicher, ob es ein teuflisches oder ein nützliches Buch ist. Es geht – da ich den Philosophen mit seinem Elfen-Unsinn beiseitelasse – um den Lehrer des Bratküchen-Drahtwenders Abbé Coignard, der leider durch zu viele Liebschaften aus der geistlichen Bahn geworfen wurde. Was ihn den Sünden anderer Leute gegenüber milder stimmt. Erstaunlich gnostisch kommt mir vor, wie er die Prostitution der Maria von Ägypten lobt, da sie ihre leibliche Integrität als irrelevant ansah, um ihr Ziel der Pilgerfahrt nach Jerusalem zu erreichen. Das lesen wir Orthodoxen sehr anders. Er ist, anders als der abergläubische Kapuziner, ein aufgeklärter Geistlicher, der seine schlüpfrigen Abenteuer mit weisen Sprüchen über göttliche Wahrheit dekoriert. Er bekennt sich zur Vernunft, aber auch zum Glauben, der von der Religion verlangt wird, und lebt zufrieden beides nebeneinander her. Er findet es unproblematisch, im Dienst eines Atheisten zu stehen, würde aber Lutheraner und Calvinisten immer meiden. Er weiß, dass aus der Philosophie keine Moral zu ziehen ist, dass diese nur durch die Religion begründet werden kann. Ihre Gesetze sind oft schwer zu halten, das gelingt nur mit Gnade, so dass das Heil allein auf der Reue beruht. Man soll sich nicht nach der Welt, sondern nur nach Gott richten. Aber dann beschreibt er die Notwendigkeit, dass klügere Köpfe auf ihren eigenen Nebenwegen wandeln, indem sie genauso gründlich sich der Reue hingeben wie die großen Heiligen.

Es geht hier also etwas bös daneben, indem die Reue gleich mit eingepreist ist und dasVergnügen an der Sünde intakt lässt. Immerhin schützt den Jungen der Rationalismus des Abbé vor dem Unsinn des Okkultphilosophen. Dann aber zieht er die schönen Sünderinnen dem Atheismus der klugen Menschen vor, geht aber sehr geschmeidig von den Wundern Christi zur Notwendigkeit einer weiteren Flasche Wein über. Nachdem er in Notwehr einen Menschen getötet hat, bittet er Gott schnell um Nachsicht, um dann nach einem Brunnen zu suchen, wo er das verräterische Blut abwaschen kann. Er hält die Heiligen Margareta und Katharina für byzantinisch Erfindungen und wünscht sich eine kritische Ausgabe von Heiligenviten. Man soll sich von seinen Sünden nicht niederdrücken lassen, da sie alle aus der Erbsünde herrühren, – und sowieso werden wir alle erlöst. Er versteht Dämonen richtig als Leidenschaften. In einer Rede über die politische Verfassung der Gesellschaft führt er den Ursprung aller Gesetzlichkeit auf Gott zurück und verteidigt theokratische Regierungen wie Bossuet. Der allerdings den Fehler machte, Franzosen im 17. Jh nach den gleichen Regeln behandeln zu wollen wie die alten Israeliten. Was nicht passte. Am Ende stirbt er einen frommen Tod als armer Sünder voll Reue und mit dem Lob der Tugend.

Das alles ist durchmischt mit Liebesgeschichten und Kabbalistischen Verrücktheiten und Antisemitismen klassischer Art. Es heißt, dieser Abbé Coignard habe sich beim Publikum großer Beliebtheit erfreut und France habe sogar eine Sammlung seiner Weisheiten verfasst.

Für mich ist die Frage: wird hier über den Zustand des französisch-katholischen Christentums im 18. Jh. Ein Urteil ausgesprochen? Sollen wir die Misere deutlich vorgeführt bekommen? Oder ist France da sympathetisch reingetaucht wie in ein exotisches Abenteuer? Das ganze ist schräg, durcheinandergeworfen und bringt bei aller Mühe keinerlei Erkenntnisgewinn.

Auch dieses Buch kann weg.

Der Aufruhr der Engel

Zuerst dachte ich: ah, endlich , hier wird was Substantielles abgehandelt. Und es ist ja auch gute Literatur – soweit Literatur einen interessiert. Mich interessierte das Thema: Ein Schutzengel vermenschlicht sich, andere auch, sie planen einen erneuten Aufruhr gegen einen Gott, den sie verachten gelernt haben. Denn als Grund-Voraussetzung dient das Theodizee Problem: Gott kann nicht allmächtig sein, Er ist ein Versager, Betrüger, Despot. Da wird dann alles Mögliche durch-ironisiert und das liest sich auch hochgradig interessant, aber mir ist bei dieser Unterhaltung immer ein übles Gefühl mit dabei. Ähnlich wie bei Michael Bulgakhovs Master und Margarita. Es weht ein Schwefelduft durch diese Werke. Und die ganze wirklich eindrucksvolle Raffinesse des Endes: wo Satan erkennt, dass Rebellion gegen den „Demiurgen“ sinnlos ist, solange dieser die Herzen der Menschen trotz aller Atheisterei der dritten Republik besetzt hält – das alles hilft nicht dagegen, dass ich dieses Buch nicht mehr bei mir sehen möchte. Raus damit. Literatur hin, Literatur her. Wenn ein junger Mensch sich mit solchen Sachen herumschlägt, meinetwegen, aber dann muss man eng im Gespräch mit ihm bleiben.

Info

Erscheinungsjahr20. Jh., 1. Hälfte
Seiten300-600
AutorFrance, Anatol

Kommentare

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