Grillparzer, Franz – Sappho

Meinung

Cornelia meint:

Über die Ambiguität des Guten: die große Künstlerin, verehrt in ganz Griechenland, Siegerin in Olympia, ist ein guter Mensch: Ihren Nachbarn erweist sie reiche Wohltaten, erzieht die Mädels (vermutlich auch zum eigenen Vergnügen), erwirbt die Hingabe ihrer Diener, auch der Sklavin Melitta, die sie gerettet und wie ein Kind erzogen hat, – und dann greift sie sich den holden Jüngling, der sie anbetet, schleppt ihn ab und will ihn beschenken mit Liebe, Besitz, Anteil an ihrem Ruhm. Und als Frau mit Erfahrung warnt sie gleich, er soll sie bloß nicht enttäuschen. Wo sie liebt, wird sie zur Furie.

Genau das passiert: Phaon ist das Gefeier zu viel, und er kriegt das Heimweh Melittas mit. Berührt durch das kindliche Mädchen, selbst voll Heimweh und schlechtem Gewissen (was wird Papa sagen, dass er mit dieser Frau von schlechtem Ruf zusammen ist…), – und dann verlieben die sich spontan ineinander, was Sappho mitkriegt und nicht begeistert. Melitta soll entfernt werden, aber Phaon interveniert und flieht mit ihr. Die beiden werden zurückgezwungen. Phaon ist jetzt zum Mann geworden und konfrontiert Sappho: die hatte ein Recht auf die Dienste der Kleinen, nicht aber auf ihr Leben, und der Angriff mit dem Dolch hat sie ins Unrecht gesetzt.

Phaon erlebt Sappho als gefährliche Sirene, Sappho behauptet dasselbe von Melitta. Beide zu Unrecht, denn Sappho ist einfach den Furien ihrer Leidenschaft ausgeliefert, die zu Fesseln nur werden konnten, weil Paon selbst den Kopf verloren hat. Und Melitta liebt zwar tatsächlich den Phaon, weiß aber überhaupt nicht, was ihr geschieht. Und trotz dieser Sehnsucht nach ihm bleibt sie bis zuletzt die treue Tochter einer strengen (und grausamen) Mutter.

Hätte Sappho den Knoten lösen können? Ja, wenn ihr Gutsein selbstlos hätte werden können. Aber sie sieht sich nur als zurückgewiesen und verspottet. Darum bleibt ihr nur der Selbstmord, vorher mit den Göttern abgesprochen. Immerhin hinterlässt sie bei den jungen Leuten einen milden Abschied, der aber, wie ich fürchte, die Beziehung der beiden auf Dauer nur vergiften kann.

Wir haben es hier mit einer geradezu männlichen Selbstherrlichkeit in einer großen Frau zu tun. Feministin ist sie nicht, denn sie möchte ja nichts als lieben. Unglücklicherweise hat sie sich nicht überlegt, dass das Opfer ihrer Leidenschaft vielleicht noch andere Lebenspläne haben könnte, als bei ihr in Dauer-Lust zu versinken.

Interessant seine Antwort auf Kritiker:

„Ebenso war es mit einem weitern Tadel: ich hätte in Sappho mehr das Weib als die Dichterin geschildert. Ich war nämlich immer ein Feind der Künstler-Dramen. Künstler sind gewohnt die Leidenschaft als einen Stoff zu behandeln. Dadurch wird auch die wirkliche Liebe für sie mehr eine Sache der Imagination als der tiefen Empfindung. Ich wollte aber Sappho einer wahren Leidenschaft und nicht einer Verirrung der Phantasie zum Opfer werden lassen.“

Aber wegen der Ambivalenz der selbstsüchtigen, nicht-selbstsüchtigen, pathologischen und natürlichen Liebe ist das Drama doch lesenswert für junge Mädchen.

Jg Mädchen

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten< 100
AutorGrillparzer, Franz

Kommentare

Kommentar zu: Grillparzer, Franz – Sappho.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert