Hebbel, Friedrich – Gedichte

(Mitte 19. Jh. | 90 S.)

Meinung

Cornelia meint:

Hebbel ist eine große Entdeckung. Ich hatte nur vage Vorstellungen, und plötzlich treten mir in Band 1 seiner Werke Gedichte mit solcher Kraft entgegen, dass ich zuerst mal seine Biographie lese. Na, da wird alles klar, der Mann ist durch wirkliche Fegefeuer gewandelt. Hier kann man von einem Genie sprechen, das sich Bahn gebrochen hat, auch wenn seinen Weg seine erste Frau und zwei Söhnlein als Leichen säumen. Konnte er aber nicht wirklich dafür. Von allen Genies ist er für mich der unschuldigste.

Gedichte aus der 1857 Gesamtausgabe

Ich habe aus seinen Gedichten ausgewählt, was ich gerne mit den Enkeln dermaleinst lesen würde und das auch anderen Freude machen und als Diskussions-Stoff dienen könnte

Lieder

Requiem 1840

In einer Welt ohne Gott liegt das Weiterleben allein im nicht Vergessen

GK

Balladen und Verwandtes

Ein dithmarsischer Bauer 1855

Dieser Bauer kämpft den Existenzkampf und vollbringt das Unmögliche. Als er den Knechten dankt, bekennen diese, dass sie nur gehindert, nicht geholfen haben. Da sorgt er für Abendessen und ihren Lohn, und entlässt sie allesamt – und reitet selbst zum Deich zu seinem Wächterdienst.

Ein Hohelied des Pflichtbewußtseins – im Gebet.

GK

Vaterunser 1839

Das Gebet schützt einen Jungen davor, sich vom Räuberhauptmann zu einem Mord anstiften zu lassen, als Zulassungsbedingung in die Bande. Unter Zwang gesetzt, erfüllt der Junge das Gebot – am Räuberlehrer. Und betet sein Gebet zu Ende, von dem der verlangte Mord ihn hatte „heilen“ sollen.

Ziemlich grausliche Sache, aber einsehbar.

GK

Schön Hedwig 1838

Eine Käthchen von Heilbronn Geschichte. Der Ritter hat bemerkt, wie sie ihm folgte und diente und ihn liebt. Heirat.

GK Mädchen

Das Kind am Brunnen 1841

Die Amme schläft, das Kind geht zum Brunnen, beugt sich hinüber, sieht ein schönes Kind im Wasserspiegel und will da hin. Aber es wirft zuerst Blumen hinein – und da zerfließt das Bild. Rettung.

GK Mädchen

Die heilige Drei 1853

Herzog Heinrich hat eine Vision der heiligen Drei und glaubt, nur noch 3 Tage, Wochen, Monate Jahre zu haben vor seinem Tod. Und verbringt diese Zeit als Vorbereitung aufs Gericht. Legt sich dann in seinen Sarg – und wird überrascht von der Kaiserwahl.

GK Hist

Das Korn auf dem Dache 1853

In großer Hungersnot hat niemand mehr Saatgut, um zu säen. Kommt ein alter Jude und liest überall die verstreuten Torfstücke vom Boden auf, um damit zu heizen. Und macht die hungrigen Bauern aufmerksam auf das Stroh, das ihnen als Dachdeckung dient. Da finden sie viele Körner, können säen.

GK

Husarenwerbung 1856

Um Soldaten für den Krieg zu werben, benützen die Werber jeden Trick. Da kommt ein Junge auf einem Pferd angesprengt, und verkauft es und sich selbst. Kaum ist das erledigt, kommt der Bauer und klagt den Pferdedieb an. Der lädt ihn ein und tanzt ihn im Kreis herum: Du hast mir den Lohn nicht gegeben… Und bei den Soldaten ist jeder Diebstahl abgegolten.

Hist, GK Jungs

Vermischte Gedichte

Bubensonntag 1836

Ein kleiner Junge rennt jeden Sonntag früh in die Kirche, um endlich einmal Gott zu sehen. Und jedesmal nimmt er sich vor, nächstes Mal mit mehr Mut hinzugucken

GK

Abendgefühl 1838

Friedlich bekämpfen Nacht sich und Tag…

KK als Nachtlied

Herbstbild 1852

Dies ist ein Herbsttag wie ich keinen sah

Das ist so wunderschön

GK

Eine Pflicht 1845

Man soll die Schönheit lieben. Denn nur im Blick der Liebe kann sie sich ganz entfalten.

Das ist ein wenig wie das Mit-Zelebrieren der Gläubigen in der Liturgie: da ist etwas, die Gegenwart Gottes, die auf unsere Antwort wartet. So ist es mit der Schönheit der Schöpfung.

GK, Orth

Höchstes Gebot 1836

Eine durchaus säkularisierte Feier der Menschenwürde, mit Mahnung, sie zu achten, weil letztlich alle mit allen verbunden sind. Das ist interessant als Vorstufe zur Orthodoxie.

Jg Orth

An die Jünglinge 1839

Das Evangelium der Selbstvergöttlichung in Jugendkraft. Wichtig als Gegenbild und Idolisierung des Künstlertums.

Jg orth.

Adams Opfer 1839

Adam bringt Erstlinge – und erschaudert, weil ja alles Gott gehört. Proto-orthodox

Jg Orth

Großmutter 1836

Liebevolle Begegnung mit einer schon ganz weggetretenen Großmutter, die das Kind mit dem Vater verwechselt. Und das Kind merkt: bald werde auch ich so sein und rette mich in Gottes Sein.

GK

Geburtsnachttraum 1835

Ein Traum in der Nacht vom Geburtstag: wie alle Vorväter und Mütter das Kind umgeben, und wie es selbst einmal als Vater sein Kind umgeben wird. Säkular, aber liebevoll diese Ahnenreihe. Gegenbild zu unserem Verständnis

GK Orth

Dämmer-Empfindung 1843

Todessehnsucht weil der Geist leben will – ganz starker Gegensatz zum Glauben

Jg Orth

Reminiscenz 1843

Eine Art von Todessehnsucht als Auflösung im Schöpferwillen – nicht was wir glauben

JG Orth

Der Sonnen-Jüngling 1839

Er sieht und ist überwältigt von der Schönheit der Natur – und weiß nicht, dass alle Schönheit nur in seinem Blick lebt. Auch das ist schön gedacht, aber für uns daneben.

Jg Orth

Horn und Flöte 1835

Woher das Metall des Horns und das Holz der Flöte kommen. Für Töni, die flötet, und Silvan mit seiner Trompete

KK

Winterreise 1839

Die Erfahrung des kalten abgeschätzt – Werdens. Ein Herz hat nur der, der es für andere hat. Eine schöne Medizin gegen das Lästern.

Jg

Dem Schmerz sein Recht

Geht stumm an dir vorbei die Welt 1839

Ein Vierzeiler, der klarmacht, dass wir nur in Gott leben

GK Orth

Des Dichters Testament

Die Erde und der Mensch 1848

Ein ökologisches Gedicht: die Menschen, wenn sie wegen Übervölkerung hungern, sollen auswandern (da klingt Kant durch: die Erde soll besiedelt werden). Und wenn alle Grundstücke verteilt sind, dann muss man Geburten beschränken. Und wenn die Bodenschätze alle verbraucht sind, nu, dann ist Schluss. Indessen sollen die Vaterländer die Ausgewanderten nicht vergessen.

GK

Sonette

Die Lerche 1846

Lerche rettet sich vor Habicht in die Kutsche des Sängers – der sie aus Freude frei davonfliegen lässt.

kk

Die Freiheit der Sünde

Wir können nicht im Namen unserer Freiheit meinen, die Welt verneinen, verändern zu können – wir machen uns stattdessen selbst kaputt und ändern gar nichts.

Jg

Ein zweites 1847

Die Schmerzen des verkannt-Werdens sind unvermeidlich, denn nur durch diese Schmerzen wird geschaffen, was andere dann trösten kann

Jg

Die menschliche Gesellschaft 1841

Eine bittere Kritik der Heuchelei, mit der die Gesellschaft jene verurteilt, die sie selbst zerstört hat.

Jg

An die Kunst 1841

Das kenotische Dasein des Künstlers, der berufen ist und keine Wahl hat, den Schmerzensweg des Verzichts auf Weltglück zu gehen. Hier sieht man die Kunst als Ersatz für das Heilige

Jg

Epigramme und Verwandtes

Ein Reiseabenteuer in Deutschland

Ein Hut fliegt über die Vielstaaterei – und man kriegt gar nicht schnell genug Pässe

GK Hist

Mutter und Kind

Obwohl ich (Ausnahme: Hermann und Dorothea) für epische Gedichte nicht viel übrig habe, hat mich dieses von Anfang an gefangen genommen. Die Armut zwingt Christian nach Amerika, er nimmt Abschied von der Verlobten Magdalena. Im Oberstock des reichen Kaufmannshauses ist das Kind gestorben, die Mutter, untröstlich, kränkelt seit Jahr und Tag. Der Doktor, über Magdalenas Kummer informiert, schlägt vor: Gebt den jungen Leuten eine Existenzgrundlage, dafür versprechen die euch das erste Kind. Die kriegen ja noch mehr und trösten sich. Magdalena stimmt zu – um Christian zu behalten. Christian, weil Magdalena zustimmt. Die Arbeitgeber gehen nach Rom, damit sie nachher das Kind als eigenes ausgeben können.

Es kommt, wie es kommen muss: die Mutter kann sich vom Kind nicht trennen. Man will nach Amerika fliehen, als Familie. Die Kaufleute sehen den Abschiedsbrief und die tadellose Abrechnung, bereuen, und wollen alles gutmachen. Erst müssen sie aber die Fliehenden finden, die meinen, sie sollten gezwungen werden. Aber am Ende erfahren sie nicht nur vom Elend der Deutschen in Amerika, sondern vom Umdenken ihrer Wohltäter. Ab jetzt sind die Eltern Kinder der Alten und alle können das Neugeborene gemeinsam lieben.

Ergreifend, spannend, großartig. Und so aktuell, wenn man an die Leihmutterschaft denkt.

BioE, Jg

Der Diamant  1847

Ich weiß gar nicht, wie ich meine Begeisterung verstehen soll. Von Anfang an hat mich dieses Stück, nachdem ich den Prolog eher durchgeseufzt hatte, vollkommen in Bann geschlagen. Das ist der Ur-Ton der Romantik, ganz verwandt Büchners Leonce und Lena von 1836, wie ich sie zumindest früher erlebte (inzwischen nicht mehr). Es reißt einen mit, dieses Spiel zwischen Scherz und Ernst, Gaunerei und Moral, Wahnsinn und Mystik, liebender Fürsorge und Geldgier. Hier kriege ich zum ersten Mal wieder Lust auf Theater. Wie da jeder der vom Stein „betroffenen“ unter Druck gerät und sich rausredet – das hat was von Kleists Adam (1808). Aber dieses Stück ist viel leichter, flockiger, einfach bezaubernd, ohne dass ich sagen könnte, wozu es nutze sein sollte. Es lebt für sich wie ein – Diamant, der in allen Farben funkelt.

Sehr selten begeistert mich etwas, das mit meinen christlichen Grundsätzen so absolut gar nichts zu tun hat. Das ist wie Musik, ein Spiel der Phantasie. Für sowas muss Raum sein, wenn ich darüber nachdenke, was ich jungen Menschen empfehlen möchte.

Nachtrag. Ich hadere immer noch mit mir. Ja, die Realitätsverkreiselung macht Spaß. Am Ende weiß man nicht: wurde der Diamant wirklich dem Juden aus dem Bauch geschnitten, der ihn verschluckt hatte, um ihn zu sichern, dann aber unter Bauchweh litt? Oder hat man bei der Prinzessin gemogelt? Das bleibt in der Schwebe und mit ihm der Gründungsmythos dieser Familie. Aber warum macht mir das Spaß? Vielleicht sind es Jakob Bauer und jüdischer Händler Benjamin, die in ihren moralischen Konflikten sehr fein gezeichnet werden. Da ist ein Ernst im Humor, der erfreulich ist.

Jg

Maria Magdalena, ein bürgerliches Trauerspiel 1844

In einer Hausarbeit im internet finde ich die Beobachtung, dass, anders als in Lessings Emilia Galotti oder Schillers Kabale und Liebe, die Bürger hier nicht Opfer feudaler Gewalt sind, sondern selbst angeklagt werden, als Träger moralischer Gewalt, und Verhinderer jeder Selbstverwirklichung (was nur im Verhältnis zu Karl stimmt). Das Bürgertum erscheint hier ganz ausgehöhlt und Sinn-entleert.  Nix wie Lebensverneinende Normen. Schon gleich zu Anfang wird Klara, die den studierenden Kinderfreund liebt, gedrungen, den Freier Leonhard zu heiraten, den sie nicht liebt, und der nur ihre Mitgift will, die der Vater jedoch, voller Edelmut für den Freund (aber zum Schaden der Tochter) an einen notleidenden Freund gegeben hat. Im Verlauf übt der Vater hier auch „moralische Gewalt“, indem er sie an der Leiche der Mutter unter Druck setzt, ihm nur ja keine Schande zu machen. Dabei ist das Unheil schon passiert, denn Klara, um Leonhards Eifersucht abzuwenden, hat ihm schon nachgegeben und ein Kind im Bauch.

Vom ersten Moment an ergreift einen der Schrecken, ziemlich wie sehr viel später bei Kellers Romeo und bei Hauptmann. Man spürt, dass ein Verhängnis sich zusammenbraut. Das Verhängnis hat zwei Seiten: auf der einen die Lebenslust des unterdrückten Sohnes, der was anderes will als der Vater vorgibt, und die demütige Schwäche der unterdrückten Tochter, die sich verführen lässt, weil der eigentlich geliebte Kinderfreund beim Studium nichts von sich hören ließ. Beides Schwächen, à Konto der Eltern. Die andere Seite hat mit der Selbstgerechtigkeit des Vaters, mit der Häme der Umwelt und der gnadenlosen Schande, die alle bedroht, die vom Pfad abgewichen sind. Der Sohn wird fälschlich des Diebstahls beschuldigt, der Vater glaubt das sofort und bedroht die Tochter, sie soll ihn nicht auch noch vor aller Welt beschämen, sonst bringt er sich um. Ihr Verführer hat sich von ihr losgesagt, sie demütigt sich verzweifelt vor ihm – ohne Erfolg. Der Jugendfreund will sie trotzdem heiraten, aber auch er fürchtet sich vor dem Hohn des Verführers und muss den erst im Duell erschießen. Damit geht kostbare Zeit verloren, in der das Mädchen sich selbst umbringt, um den Vater am angedrohten Selbstmord zu hindern. Der Bruder, inzwischen rehabilitiert, ist so von seinen Zukunftsplänen besoffen, dass er nicht merkt, wo es mit der Schwester hinausläuft.

Jener Jugendfreund wird am Ende korrekt feststellen: wir alle haben zu viel auf das Urteil der anderen geachtet und so unsere Mitmenschlichkeit verraten. Ein starkes Stück, bei dem man in Gefahr gerät, die heutige Liberalität als Ausweg zu begrüßen. Alle Traditionen (der Ehrbarkeit, der Elternliebe und Verpflichtung zur Eltern-Fürsorge, der Verpflichtung zur Sicherung einer Aussteuer für die Tochter) haben schon abgewirtschaftet. Man kann das mit Jugendlichen lesen, muss aber aufpassen, dass sie die richtigen Schlüsse ziehen.

Jg

Julia

In einer Welt aus Mord und Totschlag, Rache und Ehrsucht, Liebeshingabe und Enttäuschung, Todessehnsucht und Ehrfurcht vor dem Leben, Sündenangst und Gottesfurcht verwickeln sich allerlei dramatische Handlungsstränge zwischen Bürgern, Revolutionären, Räubern und Adel, dem Arzt als Beichtvater und dem treuen Diener als Retter des geläuterten Hausfeindes. Durch gewaltsame Drehung dieser Stränge rinnt dann zumindest auf zwei Verehrer der wundervollen Julia (der dritte ist verrückt geworden über ihren vom Wut-Vater inszenierten Tod) und sie selbst kolossal selbstloser Edelmut und eine Bußbereitschaft, die irdische Erlösungshoffnung mit vag transzendenter Hintergrund-Färbung in Wohlgefallen auflöst: Denn, wie Julia feststellt, „Gott selbst will nichts als Reue vom Menschen. Das zeigt, dass der Mensch nichts weiter geben kann.“ Da hat sie recht, und insofern geht die Sache immerhin angemessen orthodox aus. Mutter und Kind bleiben am Leben und gut versorgt; und die Frage nach dem Dürfen und Können des Glücklichseins, falls der Graf doch mal sterben sollte, wird ganz kantisch offengelassen.

Interessant ist, wie hier das Thema des Räubers wider Willen aus Grillparzers Ahnfrau wiederauftaucht. Würde man sowas heute als „Aufwachsen in einer Mafia-Familie“ oder „in einem arabischen Krimi-clan inszenzieren“? Jedenfalls beschreibt es eine Sozialisierung, die dem Menschen wenig Chancen für ein bürgerliches Leben lässt. Beklemmend andererseits wieder mal (wie in so vielen Werken dieser Zeit, gerade auch in Hebbels Maria Magdalena) die pathologische Liebe des Vaters zur Tochter, die deren Ehre zur Ehre der Familie macht.

Nicht gut herausgearbeitet ist der Grund für Bertrams Melancholie: er hat einen Mord auf dem Gewissen, und die verlassene Julia zu retten mit ihrem Kind ist für ihn eine Bußübung: für einen Toten schenkt er zweien das Leben, und verzichtet dann auch noch auf das Glück.

Nun gut. Weil hier die Leidenschaften gewaltig durchgerührt werden und am Ende doch die Lösung „richtig“ ist, kann man das auch empfehlen.

Jg

Herodes und Mariamne

Großes Drama: Entwicklung des Herodes vor dem Kindermord.

Von allen Seiten verfolgt, bleibt ihm nur die unbedingte Liebe seiner Frau als Lebenshalt. Leider aber will er ihre Gegenliebe gleicher Art von Ihr einfordern, wogegen sie das verlangte Opfer (der Selbsttötung, wenn Antonius ihn hinrichtet oder er in der Schlacht umkommt) nur freiwillig, nicht als geforderter Schwur darbringen will. Seine Überforderung ihrer Liebe, ihr Bestehen auf eigener Integrität als Mensch und Frau. Und dann haut Herodes mit dem erwachten Misstrauen alles um sich herum kurz und klein. Das Befürchtete tritt ein, eben weil er es befürchtet. Die Frau kann ihn nicht-enttäuschen nur indem sie seinem Misstrauen entsprechend zu handeln vorgibt. Da wartet keine Erlösung. Am Ende ist Titus, der seelenlose Besatzungsoffizier der Gehorsamsmaschine Rom, der einzige, dem Mariamne zutraut, ihrem Mann nach ihrem Tod von seiner Hand die Wahrheit über seinen Irrtum klarzumachen. Und was von Herodes danach bleibt, wird deutlich am Kindermord.

Auch hier ist das Thema – natürlich viel tiefer geschürft als in Hartlebens Serenyi – die Einforderung von Vertrauen seitens der liebenden Frau, und die Unfähigkeit zum Vertrauen beim Sicherheits-versessenen Mann. Also die Überforderung leidenschaftlich-menschlicher Liebe. Ohne den Kontext der göttlichen Berufung des Menschen erlöst nichts aus dieser Tragik. Unter diesem Gesichtspunkt kann man es jungen Leuten zum Lesen geben.

Jg

Der Rubin 1849

(Dramatisierung eines Märchens von ihm)

Jetzt mal Bagdad im Geist eines dem säkularisierten Christentum nachempfunden, und wie dieses dem fanatischen Fundamentalismus entgegengesetzten Islam. Der tugendsame Träumer, sein diebischer Freund, Prinzessin Fatima in den Rubin gezaubert, der Kadi, der immer gern Verbrecher hängt, der Greis, der Assad rettet, der Kalif, der um seine Tochter trauert und Derwisch werden will, und am Ende erlöst Assad die verzauberte Fatima und wird selbst Kalif.  Interessant das Motiv der Erlösung der Verzauberten: der Besitzer des Steins, in den sie gebannt wurde und dessen Liebe sie unweigerlich weckt, muss aus freien Stücken diesen Stein wegwerfen. Das klappt, weil der Kadi Assad den Stein wegnehmen will und weil dieser, um den Stein niemand anderem zu gönnen, ihn in den Fluss wirft, um sich dann selbst zu erdolchen. Es geht also um Liebe über den eigenen Tod hinaus (und damit auch eine Liebe, die das Geliebte keinem anderen gönnt).

Das alles ist nett in Hauff-scher Manier erdichtet und mit so schönen moralischen Lehren verbunden, dass man das schon mit Zwölfjährigen lesen kann. Allerdings muss man sie warnen, denn der Mundschenk plant schon, Assad zu vergiften, und sein lieber Freund will ihn berauben. Man weiß also schon gleich: das kann nicht gutgehen… Es wird spannend sein zu sehen, ob die Kinder das rauskriegen.

GK

Agnes Bernauer

In diesem Drama übertrifft Hebbel sich selbst. Ich bin tief beeindruckt. Im ersten Teil geht es zwar wieder ziemlich schematisch um weibliches Idealbild aus niederen Ständen (Agnes ist Baders-Tochter), das die Liebe des Herzogssohns weckt, der alle Widerstände überwinden will: Er glaubt an eine direkte Linie zwischen der Liebe des Volks und der Legitimität seiner Herrschaft, und er glaubt, diese beruhe auf der Sicherheit der Empathie von oben nach unten. Und wie könnte die besser gesichert werden, als wenn ein Bürgerkind zur Fürstin wird, und wenn der Sohn dieser Fürstin zugleich Fürst und Bruder aller Regierten sein wird. Soweit das Ideal.

Was der junge Fürst allerdings bitter lernen muss, ist: Das Volk will zumindest keinen Krieg zwischen Vater und Sohn, mit dem der Sohn sich gegen die politische Verlobung Wittelsbach-Welfen wehrt. Der armen Agnes wird von Kaiser und Reich alle Schuld der Hexerei in die Schuhe geschoben, oder zumindest der Zustimmung zur heimlichen Ehe, und da sie sich weigert, dem Geliebten abzusagen, da sie ihre Liebe zum Absoluten ihres Lebens gemacht hat und darum die Alternative des Klosters nicht annimmt, wird sie hingerichtet durch Ertrinken. Soweit so bedauerlich.

Wirklich eindrucksvoll aber ist die letzte Szene, in der der Vater den Sohn zur Umkehr gewinnt: 1. wenn er weiterhin Aufruhr macht, wird das Volk seiner Agnes fluchen. 2. (das hatten ihm schon seine Ritter gesagt) Fürstsein ist ein Privileg, das durch Dienst und Opfer erkauft werden muss. (Man fühlt sich hier an die Standesgrenzen der Gesellschaft im 19/20 Jh erinnert). 3. Das Volk will keine Brüder, sondern die Ordnung des Reichs aufrechterhalten sehen, denn davon hängt sein Friede und seine Freiheit ab. Aber dann das aller-Eindrucksvollste: weil wir in der gefallenen Welt leben und kein Seraphim uns die Sterne vom Himmel holt, sind die Fürsten darauf angewiesen, „Staub auf Staub zu häufen“, diesem Staub einen Wert draufzustempeln, den er nicht hat, und so die fürstlichen Hügel aufzuhäufeln auf denen sie eines Tages dem Richter gegenübertreten müssen.

Was ich hier so großartig finde, ist die klare Erkenntnis: Es gibt bei der politischen Ordnung keine gottgewollte Nobilität. Es ist alles Notbehelf, Staub auf Staub. Das entspricht Gottes Warnung, als sein Volk unbedingt einen König wollte. Deshalb finde ich dieses Drama auch theologisch interessant und lohnend.

Jg

Die Nibelungen

Der gehörnte Siegfried

platzt da ziemlich unvermittelt in den Wormser Hof Gunthers und macht gleich klar, warum er gekommen ist: er will mit König Gunter kämpfen.  Wer gewinnt, soll des anderen Reich erhalten, Schätze, Burg, alles drum und dran. Gunter, nicht begeistert, denn man hat grad vorher von Siegfrieds Unbesiegbarkeit aufgrund von Drachenblut Hornhaut gehört, findet, dass sein Reich ihm ja schon gehört, und er auch kein zweites braucht. Siegfried soll mal lieber mit was zu Trinken kommen. Der aber findet: wir müssen doch sehen, ob du dein Reich zu Recht besitzt – oder aber leider nicht. Dann gehört es halt dem Stärkeren – und auch das ist eine Art Gerechtigkeit, wenn es um Heldentum und Kampfgeist gehen soll. Bisschen so wie unser Putin heute: ich will alles ringsrum wieder einheimsen, und wenn ihr mich nicht abwehren könnt, seid ihr halt als unterlegene verweichlichte Zivilisation eh nicht wert, unabhängig zu bleiben. Hat ne Logik.

Man entschließt sich also zum harmloseren Felsen-Werfen, und da protzt Siegfried sich von einem zum anderen und wirft, nachdem Hagen den Fels an die Burgmauer gepfeffert hat, so stark dagegen, dass der die Mauer durchbricht und im Rhein landet. Komplimente, – und Gunter will ihn gleich mit seiner Schwester verheiraten. Prima, das war ja eh der Grund, warum Siegfried ihm sein Land abnehmen wollte: er wollte sich damit die schöne Schwester erkaufen. Die wird zwar nicht befragt, ist aber längst am oberen Fenster entdeckt worden, wo sie sich errötend hinter Mama versteckt. Die hat auch was für Helden übrig. Inzwischen hat auch Gunter ein zartes Geheimnis: nachdem er vom Ruhm der eisernen Brünhilde gehört hat und von ihrer Riesenschönheit, ist ihm klar: die oder keine. Siegfried erzählt von seiner Ankunft da, neulich, durch Feuerberg und Drachen-Eingeweide, klugerweise mit der Nebelkappe auf, die ein Zwerg ihm schenkte. Und sah die Dame, der ein neuer Bewerber zum Totkämpfen gemeldet wurde, oben auf dem Balkon, – zog sich aber schnell und ungesehen zurück, denn diese Holde gefiel ihm nicht.

Und wie das unter guten Freunden so ist: Man verabredet, dass Siegfried dem Gunter die Brundhilde schwachkämpft, dafür kriegt er denn Kriemhild. Vorhang Ende.

Man kann das wunderbar den größeren Kindern erzählen, die für solche Großmannssüchte volles Verständnis haben werden. Und vor allem kann man es mit ihnen als Theaterstück frei aufführen. Ein großer Spaß.

GK

Der Tod Siegfrieds

Bei Brünhilde im kalten Isenland ist zwar das Christentum schon eingezogen, Thor und Odin sitzen in der Hölle, können aber von dort immerhin noch fluchen.

Dann nimmt das Elend seinen Lauf. Was muss auch diese letzte Riesin Brünhilde unbedingt den stärksten Mann haben wollen! Wie sie rauskriegt, dass Siegfried schonmal vorbeigekommen war, den Feuersee löschen, sie gesehen hat, aber nicht haben wollte, – da machte sie diese Hybris verwundbar dafür, sich bodenlos gekränkt zu sehen. Ulkigerweise nimmt sie diese Zurückweisung noch übler als die wirkliche Sauerei: Dass selbst im Hochzeitsbett Siegfried die Sache erledigen musste, weil Günther versagte. Dass Siegfried sich zu einer solchen Schandtat gegen eine Frau von Hagen im missverstandenen Interesse des schwachen Königs drängen ließ, zeugt von Dummheit.

Der edle Tor – dem ist nicht zu helfen. Denn als nächstes hat er auch noch den Gürtel Brunhildes aus Versehen ins Hochzeitszimmer zu Kriemhild mitgebracht, die den als Geschenk des zerstreuten Gemahls glücklich anlegt. Und weil ihn das in Verlegenheit bringt (dass bloß die Brüni den nicht sieht!) muss er ihr alles erzählen. Hirnrissig und gegen sein Versprechen.

Als dann Brünhilde Kriemhild provoziert, wieso sie als Königsschwester den Siegfried, einen bloßen Gefolgsmann, heiraten kann, und dass sie selbst  #1 ist und Vortritt beansprucht, bringt Kriemhild in die tragische Lage, sich zur Ehrenrettung ihres Mannes verpflichtet (und zur Ehrenrettung ihrer selbst verführt)  zu sehen. Als Brünhilde sich als Kebsweib erfährt, geht die Rakete los. Hagen, der alles verschuldet hat (Gunthers Ambitionen gefördert, Siegfried manipuliert, auch aus eigenem Neid in die Bredouille gebacht) hat, durchschaut den Ernst der Lage: die Burgunder werden keinen Nachkommen anerkennen, dessen Vater unklar ist. Also muss Siegfried weg, zumal die kochende Brünhilde das Essen verweigert – sehr zum Erstaunen ihres hirnrissigen Ehemanns. Und dann kann Kriemhild erneut den Mund nicht halten und verrät Hagen, der sich als Beschützer ausgibt, die verwundbare Stelle ihres Mannes.

Mord, Wut, Blut im Dom, Racheschwur.

Interessant, dass diese Großmanns-Sucht auch Brunhildes Idee vom Königtum prägt: Wenn Siegfried, obwohl König, sich bei Gunther zum Dienen herablässt, so verdient er Verachtung. Denn – so meint sie – bei seinen Kräften hätte er sich alle Kronen der Welt einsammeln können, um so die Majestät „zum ersten Mal im vollen Glanz zu zeigen“. Also König ist man nur als Kaiser! Leider will sie dann, dass Gunther seine Überlegenheit gegen Siegfried beweist – sonst verliert er in ihren Augen. Schon da ist er eigentlich unten durch. So geht das halt unter Riesen.

Eindrucksvoll der Kaplan, ein angelsächsischer Missionar. Er hat auch nach Siegfrieds Tod wunderbar über die Vergebung gepredigt, – aber leider in taube Ohren. Kriemhild betet zwar gerne, aber unten drunter steckt auch bei ihr noch das Heidentum, – und ich kann es ihr nachfühlen.

Und wer soll das lesen? Die heroischen Riesen sind ausgestorben. Der Zwang zur Bewahrung der äußerlichen Ehre überzeugt nicht mehr. Das Prinzip der Liebe (um dessentwillen Siegfried sich ganz locker dem Gunther unterordnet, um Kriemhild zu kriegen) hat heute als romantisches Gefühl gesiegt. Aber der wirkliche Konflikt ist unverständlich geworden. Höchstens historisch interessant. Da aber durchaus, denn wir haben hier ein germanisches Beispiel für jenen „double faith,“ den Schmemann in seiner Einleitung in die liturgische Theologie beschreibt in der Nach-Konstantin-Zeit:  Heiden wurden nun zwar massenhaft bekehrt, aber sie brachten ihre gewohnten Vorstellungen von Mysterienkulten mit in die Kirche rein, die dadurch immer mystagogischer wurde, weniger eschatologisch. Ein ähnliches Nebeneinander haben wir hier. Und das interessiert nicht nur für die Bedingungen der christlichen Mission im Norden (d.h. für den Erfolg des Arianismus), sondern auch für das 19. Jh, wo plötzlich antike Götterliteratur und germanische Volksglauben-Spuren kulturell aufgearbeitet wurden, so dass das Christentum zwar keine neuen Inhalte (denn das alles drückte das Christliche beiseite), aber neue Nachbarn, neue Konkurrenz, neue Motive zur Befragung und Herausforderung  erhielt.

Hist

Kriemhilds Rache

Zuerst dachte ich auf lange Strecken: Pu wie langweilig. Alles wartet, bis endlich die Schlachterei losgeht. Aber dann spitzt sich das am Ende höchst aufregend zu: jetzt lese ich nicht mehr von Vorahnungen und Vorkehrungen und Abmachungen und alledem, sondern ich sehe ein Konglomerat von Ethoi, die miteinander in Konflikt getreten sind. Da gibt es die alte Götterwelt, die halt das Starke und Schöne preist und auch ein paar Normen bereitstellt (ein Gott hatte einen Riesen ausversehen getötet und musste sich „lösen“, – so kam der Schatz auf die Erde). Aber in der Nibelungen-Zeit gilt schon die neue Ordnung der Treueverhältnissse, und hier kommt es darauf an, widerstreitende solche Verhältnisse abzuwägen und auszusortieren. Hier wird bedeutsam, dass Hagens Hass auf Siegfried daher kam, dass dieser junge Held wie ein verspäteter Riese in den modern-mittelalterlichen Hof in Worms reinspaziert und alles umwirft, was dort gilt. Er greift sich, was immer „Ehre gibt“, und wirft es achtlos beiseite. Er stört, bisschen wie Agnes Bernauer, die ordo dieser Welt. Und ähnlich quer steht hier Brünhilde, die es unvorstellbar findet, sich damit abzufinden, dass Siegfried sie sah, haben konnte, und verschmähte. Hier zeigt sich eine ähnliche Großmannssucht wie die der vorigen Teile bei Gunther: nur das Berühmteste tollste Beste ist grad eben gut genug. Dieser Strang bleibt weiterhin in die Handlung reingewebt.

Daneben bringt sich das Prinzip der Liebe zu einer Frau zur Geltung, die Siegfried so gleichgültig für alle Ehrpusselei macht, und die sich in Etzels Liebe zu Kriemhild spiegelt und auch in der Liebe der Frauen zu ihren Männern, wobei hier aber wieder die Ehrpusselei und das Ersterseinwollen im Zentrum steht. Kriemhild konnte einfach nicht still die Sticheleien von Brünhilde anhören und sich sagen: den hab ich, und das reicht mir. Es reichte eben nicht, und so brachte auch sie Verderben über alle., Viel zu wenig entwickelt (von Hebbel und von Hagen) ist die Beleidigung, die Brünhilde durch den Betrug an ihrer Hochzeitsnacht erfuhr. Hagen erkennt das an, sieht aber die Zurückweisung als wichtiger. Und dann haben immer alle möglichen Leute Familienbande und Freundschaftsbande und Lehensbande und Versprechensbande, die sich kreuzweis verknuddeln, und wo auch – zwischen Rüdiger und Kriemhild – eine Rolle spielt, wenn man sich im Partner täuscht: weil er ihre Rachsucht unterschätzt hat. Und dann gibt es noch diesen christlichen Strang, wo Pilger büßen für das, was sie anderen angetan haben und deshalb ihre arme Familie jahrelang warten lassen…

Das aber ist interessant, auch wenn Dietrich von Bern und sein Hildebrand ziemlich plötzlich aus der Hosentasche gezogen werden.

Hebbel selbst war stolz darauf, den Stoff modernisiert, d.h. psychologisiert zu haben. Und dass von Zwergen und Göttern nur Deko erhalten blieb. Ich meine wirklich: er hat seine große Leistung der Konkurrenz verschiedener Normsysteme und der Widersprüche innerhalb von Normsystemen nicht kapiert. Und es sind diese Verwicklungen, die für eine moralische Bildung hochinteressant sind.

Jg

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten< 100
AutorHebbel, Friedrich

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