Frisch, Max – Andorra

(1961 | 140 S.)

Andorra. Stück in zwölf Bildern ist ein Drama des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, das den Abschluss seiner Periode des „engagierten Theaters“ bildet. In Form einer Parabel thematisiert Frisch am Beispiel des Antisemitismus die Auswirkung von Vorurteilen, die Schuld der Mitläufer und die Frage nach der Identität eines Menschen gegenüber dem Bild, das sich andere von ihm machen.

Das Drama handelt von Andri, einem jungen Mann, der von seinem Vater unehelich mit einer Ausländerin gezeugt wurde und deshalb von diesem als jüdischer Pflegesohn ausgegeben wird. Die Bewohner Andorras begegnen Andri permanent mit Vorurteilen, so dass er, selbst nachdem er seine wahre Herkunft erfahren hat, an der ihm zugewiesenen jüdischen Identität festhält. Es folgt seine Ermordung durch ein rassistisches Nachbarvolk. Nachdem die Andorraner alles geschehen ließen, rechtfertigen sie ihr Fehlverhalten und ihre Feigheit vor dem Publikum und leugnen ihre Schuld.

Wikipedia

Meinung

Cornelia meint:

Ganz große Literatur. Abgesehen davon: Eine Abrechnung mit einem in der Nachbarschaft der Nazis „sauber“ gebliebenen Staat – vermutlich die Schweiz. Faszinierend auch als Lehrstück darüber, wie Identität sozial konstruiert wird. Der verheiratete Lehrer hat ein uneheliches Kind aus der Affäre mit einer Geliebten und muss dieses Kind auch um der unverheirateten Mutter willen, verbergen. Er gibt es aus als ein an der Grenze übergebenes, von ihm gerettetes Judenkind, was viel Beifall bringt. Aber dann auch Vorurteile gegen das „Jüdische“, so dass der Andri, da er sich so gesehen findet, sich selbst entsprechend definiert. Auch will er die Tochter des Lehrers heiraten, da beide, obwohl sie wie Geschwister aufwachsen ( und Halbgeschwister sind) einander lieben. Nun kommt die Mutter auf Besuch und die Blamage raus. Andri kann aber nicht mehr sein ganzes Ich umdrehen. Er bleibt Jude. Und wird – nach Eroberung durch das Naziland – als solcher dann auch bei der „Judenschau“ durch die „Schwarzen“ erkannt und getötet.

Das ist erschütternd und macht  den Seelenmord deutlich, der dem echten Mord vorangeht. Nur ein persönlich erfahrener Gott könnte da helfen, aber genau den gibt es nicht. Das Gebet des Paters wird zur Farce, da dieser kneift, wenn es darum geht, die Unschuld zu verteidigen. Insofern ist das ganze ein zutiefst am Glauben verzweifeltes Buch. Es ist anti-christlich nicht im Antichrist-Sinne einer Verfälschung, sondern einer Rechnung, die allen miesen Christen im Namen der Gerechtigkeit präsentiert wird. Dem müssen wir uns alle stellen. Darum sollen es Jugendliche lesen.

Info

Erscheinungsjahr20. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorFrisch, Max

Kommentare

Kommentar zu: Frisch, Max – Andorra.

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