Goethe, Johann Wolfgang von – Faust II

(1831 | 270 S.)

Faust. Der Tragödie zweiter Teil ist die Fortsetzung von Johann Wolfgang von Goethes Faust I. Nachdem Goethe seit der Fertigstellung des ersten Teils im Jahr 1805 zwanzig Jahre lang nicht mehr am Fauststoff gearbeitet hatte, erweiterte er ab 1825 bis Sommer 1831 frühere Notizen zum zweiten Teil der Tragödie. Wikipedia

Meinung

Der erste Eindruck: auch dies ein Wimmelbuch, also eine (Musik-freie) Musical-Durchwurstung mythologischer Themen aus der Antike, so wie das Achim von Arnim mit der deutschen Geschichte  literarisch gemacht hat. Aber dessen Wimmeleien sind von 1810 und 1817, also zu einer Zeit, als man sich gegen die Übermacht der französischen Moderne wehren musste, während Faust II erst 1832, und posthum veröffentlicht wird. Woraus man sieht, wie parallel die Romanik zu diesem „Klassiker“ lief, und wie Goethe die Romantiker immer auch an seinen eigenen Werken messen mochte.

Für den orthodoxen Leser ein Obergraus. Oder: instruktiv für die Verwirrung, Verblendung, Vermischung abendländischen Bildungsguts, heidnisch wie katholisch, mit Seitenhieben auf Aufklärung (die Homunculus und Baccalaureus Diskussionen mit einer schon damals aufmüpfigen „Jugend von heute“). Das Peinlichste ist jenes „das ewig Weibliche zieht uns hinan,“ wobei Gretchen als Büßerin (deren Fehltritt immerhin aus Liebe geschah!) sich an eine Himmelskönigin Maria hängt, die quasi das himmlische Agape Pendant zur erotischen Helena abgibt und Christus aus dem Blick nimmt. Wenig überzeugt mich auch das „wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“, denn Faust hatte zwar im ersten Teil allerhand wissen wollen, aber seine Natur-Erforschungen stets im Modus der Selbstüberschätzung an ein Geisterreich rühren lassen, das zum Teufelsbereich gehört und ihm eine blutige Nase macht. Auch im zweiten Teil geht jenes Bemühen zunächst auf die Deckung kaiserlichen Finanzbedarfs und am Ende auf das humanitäre Projekt einer Unterjochung der wilden Naturkräfte (Landgewinnung am Meer), das auch wieder nur durch Teufelei zu realisieren ist, weil es – wie der mangelnde Respekt gegenüber dem Eigentum der tugendhaften Philemon und Baucis – letztlich in der eigenen Ruhmsucht, Gier und Selbstvergöttlichung wurzelt. Das ist alles ein Bilderbuch über die Verführung der Schlange im Paradies. Richtig ärgerlich, wie die Rettung des endlich verstorbenen Faust durch eine List halbnackter Engelkinder gemeistert wird, die den nach der ihm verkauften Seele gierenden Mephisto auf den Seitenpfad der Pädophilie locken, während die superrogatorischen Heilstaten der großen Heiligen in gallertartiger Blütenform auf die Leiche runterregnen.

Natürlich gibt es viel lustiges Gedankenfutter. So wird das hybride Projekt des Menschenmachens ausgerechnet von Faktotum Wagner, also dem kleingeistig pedantischen Nachfolger des Genies zur Vollendung gebracht, die Postmoderne scheint in prä-moderner (weil gegen eine immer noch mystisch verankerte Moderne gerichteter) Vorform auf, das „ewig Weibliche“ lässt sich theologisch geneigten Feministen in den Rachen stopfen, die Einführung des Papiergelds stellt das Vertrauens-Problem und die Französische Revolution hat schon wieder einer nach-aufklärerischen Verballhornung absolutistischer Herrschaft Platz gemacht (da soll, meint Gustav Freitag, auch Friedrich II in angemessen zweideutiger Weise verewigt werden)..

Grundproblem: Da mag ein Teufel noch so geistreich sein (und sicher ist Mephisto der absolute Weltmeister im Fach diabolischer Brillanz), – letzten Endes langweilt er. Natürlich enthält auch dies eine Lehre, denn ebenso langweilig sind auch die verschiedenen dei ex machina, die das klassische Drama bevölkern. Bewegend ist allein der Mensch, – nur ist der so sehr aller Koordinaten beraubt, dass er in bestenfalls lyrisch-schönem Wahnsinn herumtorkelt. Zumindest für den Elite-Bereich der Rezipienten abendländischer Kulturpflege stimmt schon hier das Bild der „Ruinen des Christentums“, das MacIntyre für das 20. Jahrhundert beschreibt.

Groß? Ja, groß ist diese Literatur (wenn auch das undisziplinierte Versegeklapper auf die Dauer abstößt). Sollen wir uns freuen, dass hier wenigstens überhaupt noch gestrebt wird und nicht – man denke an Balzac und heute an Dawkin – alles sich nur noch ums Wohlsein und Wohlfühlen dreht?

Als der Heilige Basilius empfahl, den jungen Leuten die Klassiker zum Lesen zu geben, hat er vermutlich nicht an derart dekonstruktivistische Tugendlehren gedacht. Man kann Faust I und II als Materialsammlung für diskussionsfreudige Jugendliche verwenden – Mephisto liefert da zuverlässig Stoff. Und als Warnung für all jene, die in der Rückkehr zur „Bildung“ die Rettung aus der Ökonomisierung des Lebens suchen.

Ich las eine Rezension über Michael Jägers Büchlein über Faust I und II. Mir scheint, das wäre eine hilfreiche Einleitung.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorGoethe, Johann Wolfgang von

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