Heine, Heinrich – Der Salon (Feuilletons)

(1834 |  700 S.)

Meinung

Cornelia meint:

Ich muss sagen, meine Begeisterung für Heine ruht auf seinen Feuilletons. Seine viel gerühmte Lyrik erscheint immer fatal ironisiert, seine Reisebücher sind oft langweilig, aber die Feuilletons, die auch einen großen Teil seiner historischen Schriften ausmachen, sind wunderbar und ein Entzücken.

Bd 1:

Französische Maler Gemäldeaussstellung Paris 1831

Hätte ich mir je vorstellen können, dass eine Beschreibung von Bilderrn einer Ausstellung mich so vom Hocker reißen könnte? Aber hier wird die Kunst nicht „pour l’art“ behandelt, sondern in einen politischen und sozialen Kontext gestellt, der alles bedeutsam werden lässt.

Delacroix‘ Freiheitsgöttin: „ein großer Gedanke hat diese gemeinen Leute … geadelt und geheiligt und die entschlafene Würde in ihrer Seele wieder aufgeweckt“ – das muss ich Verächterin der Revolution mir sagen lassen, dass damals der „Uradel der Menschen“ aus seiner Zerstörung auferstand. Natürlich wurde damals nichts besser, denn die zerstoßene Menschheit hatte die größere Würde der Teilhabe am Kreuz, – aber das weiß Heine nicht.

Decamps‘ Türkische Patrouille: wurde von vielen Kritikern durch den Kakao gezogen. Heine verteidigt ihn, weil „jeder Originalkünstler … nach seiner eigenen mitgebrachten Ästhetik beurteilt werden muß… Jeder Genius muss studiert und nur nach dem beurteilt werden, was er selbst will.“ Stimmt, wenn es nur auf das ästhetische Urteil ankommt. Aber gleich weiß Heine hinzuzusetzen: nur ein Bürger eines freien Landes habe so entspannt die bunte Traumwirklichkeit des Absolutismus darstellen können.

Robert: Ankunft der Schnitter in den pontinischen Sümpfen: Apotheose des Lebens: die Erde als der Himmel und die Menschen durchgöttert – ein Evangelium, das die Pariser besser aufgenommen haben als das des Heilgen Lukas. Als Italiener gehört Robert einem Volk an „in dem der Katholizismus erloschen ist“ – und dann spricht Heine über die Heuchelei des französischen Staatskirchentums. Denn vom Kampf des Geistes gegen die Materie (Heines Begriff des Christentums) ist hier nichts übrig und auch nichts von Jenseitsversprechen, die das Diesseits zu verachten verlangen. Dieses Werk kennt keine Sünde mehr, denn Gott ist alles, was da ist, und die Materie ist als geheiligt durchleuchtet. Hier hat man bei Heine die Grundlage der Säkularisierung 1831 konzis zusammengefasst. Alles ist immer älter, als man meint.

Delaroches Cromwell vor dem Sarg von Karl I erinnert Heine an den Unterschied zwischen des letzteren Martyrium für das Königtum von Gottes Gnaden und dem entwürdigten Tod des schon durch eine Jakobinermütze entstellten, ganz verbürgerlichten Ludwig XVI. Wütend auf Chateaubriands, der den Schmerz über das untergegangene Königtum für die besseren Kreise requirieren will, plädiert Heine für „das allgemeine Volksrecht“ auf solche Schmerzen, denn letztlich gehören ihm, dem Volk, seine Könige, und Heine will protestieren gegen die Bacchanten der Vernunft, die das uralte Sakrament des Königtums aus der Tiefe unserer Herzen herausdisputieren. Sein Liberalismus ist wirklich subtil! Und dann vergleicht er die Restauratoren Napoleon (dem in seiner Kaiserwürde nie wohl war) und Cromwell, der ständig das Mördermesser fürchtete.

Angesichts des Niedergangs der Künste inmitten politischer Wirren ringsum meint Heine: die Kunst der Goethezeit muss mit ihm zugrundegehen, weil sie noch im abgelebten Regime der heiligen römischen Reichsvergangenheit wurzelte. Sie steht in Widerspruch zur Gegenwart, was nicht so schlimm wäre, wären die Künstler nicht so egoistisch isoliert, sondern, wie in Athen und Florenz, mittendrin-Teilnehmer an allen Kämpfen, die die Träume ihrer Zeit gestalteten. Äschylos hat die Perser bekämpft, bevor er sie bedichtete und Dante schrieb als Flüchtiger Guelfe. So hofft Heine für die neue Zeit auf eine ebenso utopisch begeisterte Kunst. Uff. Das sieht nicht gut aus für irgendeine orthodoxe Beteiligung: wir gucken zum Jenseits.

Im Nachtrag urteilt er über das Zeitalter Ludwigs XIV: dass es alles verspöttelte, alles entweihte und an nichts glaubte – und so an der eigenen Zerstörung mitwirkte, und nichts aufbauen konnte. Dabei blieb die Malerei im 18. Jh zurück, von Gönnern abhängig – Watteau, Boucher. Nur die Philosophen, Politiker, Wissenschaftler und Literaten waren wie Trunkenbolde auf das ihnen unbekannte Ziel zugestürmt.

H Bd. 2

Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland

Das schönste Proseminar über die Philosophie. Man hat was Griffiges, und kann dann an den einzelnen Werken sich an Heines Thesen abarbeiten. Viel besser so, als in ein leeres Hirn hinein lehren.

1.

Über den Spiritualismus der Gnosis, die im Christentum zur Fleisch-Abtötung geworden sei. Stets der Dualismus zwischen Gut und Böse qua Seele und Leib. Hier auf S. 169, das ganze westliche Missverständnis des Christentums als Freude-Feind. Gegen dessen Leid-Verherrlichung setzt Heine seinen irdisch begrenzten Fortschrittsglauben (170), den er aber gleich wieder ironisiert, so dass das Christentum seine Trostrolle spielen kann, Vertröstung auf ein Jenseits, das es doch nicht gibt. Als politisches Unterdrückungsmittel. Netter Stoff für Künstler. S. 174 Gegensatz zwischen nordischem Pantheismus und romanischem Schönheitskult. All das nordische Gegeister lebt im christlichen Aberglauben Mittel- und Nordeuropas unterirdisch fort. Unterschied zwischen französischem und deutschem Anti-Katholizismus. S. 186: in Frankreich kämpfte der längst de facto herrschende Sensualismus gegen das Geheuchel, in Deutschland etablierte der Spiritualismus gegen jene Herrschaft eine puritanische Zähmung sinnlicher Bedürfnisse (statt hübscher Priesterkonkubinen trockene Eheweiber der Pfarrer). Aber in Deutschland folgte sofort der Sensualismus redivivus als Sinnenrausch und Freiheitslust der Bauernkriege. Die politischen Interessen von Kaiser, Vatikan, Fürsten an der Reformation (180)

Lob auf Luther, der das indisch-gnostische Element durch das jüdisch-deistische ersetzte. Wachstum der Tugend (193) durch den Protestantismus. Recht der menschlichen Vernunft auf Bibelauslegung. Zwar hatte sich schon das Mittelalter jede Art Gedankenfreiheit geleistet, aber nur qua Philosophie, damit man nicht theologisch zum Ketzer wurde. Und nur in der Uni, und auf Latein. Jetzt Geistesfreiheit öffentlich auf dem Markt. Und als Frucht derselben: die deutsche Philosophie.

Literatur vor Luther (202): germanische gegen katholische Kultur, romantisch behandelt (d.h. nicht klassisch, sondern symbolisch), auf der Grundlage fester Autorität und Glaubensgewissheit. Ab Luther Kampf der Reformation gegen die alte Welt, irdisches Glück wird Anliegen, klassisch behandelt am Vorbild der Antike, Vorherrschen von Individualität und Skepsis, Autoritäten haben ausgedient.

2.

Descartes und das Selbstbewusstsein als Grundlage, Autonomie der Philosophie gegenüber Theologie, Über Idealismus und Sensualismus in der Erkenntnistheorie. Der Sensualismus der Franzosen folgte dem Vorbild Locke: Erkenntnis durch sinnliche Erfahrung. Zugleich wuchs der Materialismus plus Deismus, der den Menschen als Maschine ansah, die Gott ankurbelt. In England waren die Materialisten Utilitaristen plus spirituell christliche Heuchelei. In Deutschland mochte man den Materialismus nicht und wurde Idealist. Leibniz. Harmonie Plato und Aristoteles, wie später Schelling und Hegel. Als kämpfende Gegenparteien wurden die beiden im Protestantismus fortgeführt durch mystischen Pietismus und dogmatische Orthodoxie. Spinoza als dritter Sohn von Descartes will alle in einer pantheistischen Synthese versöhnen. Hier folgte ihm der frühe Schelling. Unterschied zum Deismus 219 ff. Gott ist bei Spinoza identisch mit der Welt. Jedes Volk hat seine Sendung. Von daher wird die materialistisch-politische französische Religion tiefer begründbar: die Göttlichkeit des Menschen wird auch in seinem Leib erkennbar. Kampf nicht für Menschenrechte des Volks sondern für Gottesrechte des Menschen (223), für Demokratie gleich-heiliger Götter. Dieser Pantheismus gehört zu Deutschland und zur deutschen Sprache.

Christian Wolf als gerufener Helfer gegen die theologischen Streitigkeiten im Protestantismus. 232: Wenn eine Religion bei der Philosophie Hilfe sucht, ist sie am Untergehen. Schwatzt sich ins Verderben. Christus wurde nur noch als Privatperson moralisch geschätzt. Religion wurde deistische Moral. Jüdischer Deismus durch Mendelssohn.

Goethe. Lessing als Fortsetzer von Luther. Kant vernichtet den verbliebenen Deismus.

3.

Kant und die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens. Fokus auf dem menschlichen Geist. Unerkennbarkeit der Noumena, inclusive Gottes.

236 bekennt Heine eine religiöse Scheu, auf die Widerlegungen der Gottesbeweise bei Kant näher einzugehen. Man soll über Gott nachdenken und eine heilige Stimmung hervorrufen. Dieser Gedanke hat ihn seit seiner Kindheit immer begleitet. Ohnmacht der deistischen Rationalität gegenüber dem Wunder von Raum und Zeit.  Fichte. Statt wie Kant nur Kritik zu machen, macht Fichte ein System, das die Unfruchtbarkeit des Idealismus deutlich macht. Kant ist wie die französische Religion mit Niederreißen beschäftigt, Fichte ist wie Napoleon der Errichter einer neuen Ordnung durch ein herrschendes Ich. Immerhin bei Fichte große Freiheitsliebe und Manneswürde, die gut für die Jugend war.

Goethe: pantheistischer Heide. Die Romantik im Kampf gegen die Altklassiker. Auch die sind Pantheisten, die sich als Katholiken missverstehen. Mittelalter-Rezeption, in der die nordischen Götter wiederbelebt wurden. Erneutes Bekenntnis zu einem sichtbaren Gott (als Sinnenwelt) als Basis regelrechter und gegen die gottlose und im Grunde materialistische Kritik Fichtes gerichtete Frömmigkeit 276. Schelling nach Kant und Fichte der restauristischen Reaktion in Frankreich vergleichbar. Verrat an Kant’s kritischer Mission: sein moralischer Gottesbeweis. Hegel.

Es gibt in diesem zweiten Band viel Hilfreichees, um über orthodoxe Religion klarer zu sprechen und die Fehler aufzuzeigen, die die Russen gemacht haben, als sie sich Schelling nahe wähnten.

Orth +Hist

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten> 600
AutorHeine, Heinrich

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