Heine, Heinrich – Gedichte

Meinung

Cornelia meint:

Ich hatte Heine immer nur mit dem Rabbi von Bacharach und der Lorelei verbunden. So war die Lektüre des Gesamtwerks für mich ein herbes Erwachen. Die Gedichte sind fast durchweg enttäuschend: all dieses Liebesgefuchtel verbirgt nur einen kolossalen Egoismus, und die Frauenschwärmerei geht am Ende auf Frauenverteufelung raus (die Ehefrau ausgenommen, immerhin). Wenig erhebend. Ich habe aus den Gedichten nur mühsam einigen Weizen aus der Spreu geklaubt.

Eigentlich ist Heine ein politischer Dichter, oder ein Dichter der Moderne, in der die Poesie politisch geworden ist. Da er dem jüdischen Glauben seiner Väter längst entfremdet ist und im Konvenienz-Protestantismus nie Herzens-Fuß gefasst hat, ist all sein höheres Streben (das man ihm immer zugutehalten muss) auf die Humanität und das Soziale gegangen, wobei er eine gewisse Pietät für konstitutionell gezähmte Monarchen beibehält. Also zwischen allen Stühlen sitzt. Die Tragik ist: sobald man einen richtigen Gott verlassen hat, bleiben einem nur die humanitären Ideale, und die reichen zwar zur studentischen Herzensverbrüderung in der fröhlichen Jugend hin, nicht aber durch die Mühen und den Geldmangel des Alters. Und da wird dann das gegenseitige Kritisieren und Verdammen und Verleumden am Ende zum blanken Hass. Die Humanität bringt die ersehnte Gemeinschaft gleichklingender Seelen nicht zustande.

Bd 1 Gedichte

Besonders die gesammelte Liebes- und Todeslyrik. Herrje, was hat der Heinrich aber auch für ein Pech: die süßesten Puppen heiraten jemand anderen oder schicken ihn kühl zum Kuckuck. Er weint sich auf dem Friedhof das Herze wund. Dabei gibt er einen derartigen Narziss, dass man die Mädels nur beglückwünschen kann, außer wenn es noch halbe Kinder waren, die er da in seiner Begeisterung „gepflückt“ hat. Offenbar hat er am Ende doch noch eine gute Frau erwischt. (Naja, die war eher ein Wirbelwind, aber immerhin haben sie geheiratet und er war froh an seinem Chaos-Kind.) Vielleicht war er ja als Mensch besser als in seinen Gedichten.

Technisch sind die Sachen natürlich großartig. Aber moralisch konnte ich nur wenigem was abgewinnen:

Die Grenadiere

„Nach Frankreich zogen zwei Grenadier“ aus Russland zurück. Der eine hat Weib und Kind, der andere will nur sterben und warten, bis der geliebte Kaiser aufersteht.

Das ist berührend in seiner Treue zu Napoleon, den Heine anfangs, wie alle Rheinländer, vergötterte.

GK

Belsazar

„Die Mitternacht zog näher schon“. Der König von Babylon versündigt sich an Tempelgeräten – dann die Schrift an der Wand. Das ist großartig als Darstellung der biblischen Geschichte.

GK

Der wunde Ritter

„Ich weiß eine alte Kunde“ – über die Untreue seiner Geliebten betrübt, würde er gerne alle zum Kampf fordern, die ihr Übles nachsagen. Alle würden schweigen, aber er müsste sich selbst töten. – da geht es um die Integrität des eigenen Empfindens gegenüber der Kompromissbereitschaft der Gesellschaft.

GK

Das Liedchen von der Reue

„Herr Ulrich reitet im grünen Wald“ und es erscheinen ihm all die Frauen, die ihn auf Abwege gelockt haben. Dann erscheint ihm seine alte Mutter, der er Kummer gemacht hat. Aber er kann sie nicht mehr trösten. So singt er immer weiter sein Lied.

Da ist was Wahres.

GK

Lorelei

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“. Natürlich muss man das singen!

Gk

Der Phönix

 

„Es kommt ein Vogel geflogen aus Westen“ und er singt von der Liebe eines Mädchens, das vom Gesang aufwacht. Er selbst aber steht auf dem Schiff und hört den Nachhall dieses Liedes, die Gewissheit, dass er geliebt wird.

GK

Die Möve

„Das ist eine weiße Möwe“ – in Gefahr, aus den Wellen geschnappt zu werden – und der Mond ist fern. So seine Seele.

Jg

Childe Harold

Eine starke schwarze Barke…

Besingt die Überführung von Byrons Leichnam (d.h. Childe Harolds, der seinen Schöpfer repräsentiert) nach England. Das ist kurz und sehr lebendig. Man sollte aber Byron kennen.

 (Dessen Childe Harold ist – nun: lang. Und der Inhalt wohl nicht so, dass ich ihn empfehlen könnte. Aber zugeben muss ich, dass seine Sprache bezaubert, und dass die Schönheit seiner Verse mich fesseln. Aber das ist neither here nor there – das können die Enkel selbst entdecken.)

Jg

Aus einem Briefe

Was gehn dich meine Blicke an

Über die Art, in der Dichter, Affen, Frösche, Maulwürfe und Glühwürmer auf die Sonne der Schönheit blicken

Jg

Anno 1829

Dass ich bequem verbluten kann

Ein Gedicht über die Entfremdung von der verbürgerlichten Gesellschaft des Biedermeier

Jg, Hist

Anno 1839

O Deutschland meine ferne Liebe

Die Leiden des Exils. Zwar ist Deutschland nur Schilda, aber ein Schilda, das Raum lässt für die Poesie. (Er ist in Frankreich aus politischen Gründen – weil er auch in Deutschland das Politisieren nicht lassen konnte.) Heines Grundkonflikt: die romantische Seele und die Sehnsucht nach Freiheit. Nichts passt.

Jg Hist

Ritter Olaf

Vor dem Dome stehn zwei Männer

Ritter Olaf hatte eine illegitime Liebesbeziehung zum Königskind. Er darf sie heiraten (um die Sache „ehrlich“ zu machen), aber um Mitternacht wartet der Scharfrichter mit dem Beil. Aber Olaf spricht noch einmal zur Menge: Sein Segen des Lebens, der Schönheit, der Liebe besiegt seinen Tod.

Jg

Die Nixen

Am einsamen Strande plätschert die Flut

Am Strand liegt ein Ritter und stellt sich schlafend, während lauter schöne Nixen ihn umtanzen und küssen.

GK

Klagelied eines altdeutschen Jünglings

Wohl dem, dem noch die Tugend lacht

Lied über das Soldaten-Werben: die Jungs werden verlockt und betrunken gemacht, und dann haben sie sich dem Heer verpflichtet

Jg, Hist

Begegnung

Wohl unter der Linde erklingt die Musik

Beim Dorftanz haben sich getroffen Wassermann und Nixe, beide darauf aus, die Menschen zu verführen.

GK

König Harald Harfagar

Der König Harald Harfagar

Liegt im Schoß seiner Wasserfrau und hat sein Heldenleben fast vergessen. Wann immer er aufschreckt, küsst sie ihn wieder still. Mir scheint, hier geht es um das alte Deutschland, das in den Todesschlaf gefallen ist und nicht mehr aufkommt.

Jg, Hist

Maultiertum

Dein Vater, wie ein jeder weiß

Über die Relativität des Adels, der oftmals nur einige ehrenwerte Ahnen vorzeigen kann, und über die Bedeutung eines eigenständigen Selbstwertgefühls

Jg

Altes Kaminstück

Draußen ziehen weiße Flocken

Träumerei von vergangenen Zeiten in einer Stubenidylle – bis der Kessel überkocht

Jg

Adam der Erste

Du schicktest mit dem Flammenschwert

Hier finden wir Heine – leider – in seiner schlechtesten Form als Vertreter einer Moderne, die in pubertärer Form JEDE Freiheitsbeschränkung als Beleidigung wertet. Hier eine Wurzel für seine Ziellosigkeit, Fruchtlosigkeit. In seinem tiefen Unglauben liegt das Unheil seiner Dichtung. Aber Gott sei Dank ist er nicht immer konsequent und weiterhin fähig, die eigene Fortschritts-Orientierung in ihrer Armut zu durchschauen. Es bleibt darum – trotz allem – viel ergreifend Schönes (besonders im „Börne“). Ein großer Dichter – malgré soi-mème.

Jg, Orth

Bei des Nachtwächters Ankunft zu Paris

Nachtwächter mit langen Fortschrittsbeinen

Ein Hohnlied auf die deutsche Genügsamkeit mit politischer Unfreiheit

Jg Hist

Der Tambourmajor

Das ist der alte Tambourmajor

Über die Siege Napoleons, seinen Niedergang, und dass die Deutschen nicht spotten sollten, denn das gehört sich nicht.

Jg, Hist

Das neue israelitische Hospital zu Hamburg

Ein Hospital für arme, kranke Juden

Über vorbildliche Barmherzigkeit – Teil der guten jüdischen Kultur

Jg

Zur Beruhigung

Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief

Ein Spottlied wieder auf die deutsche Genügsamkeit und politische Passivität in der Unterordnung unter 36 Fürsten…

Jg, Hist

Schelm von Bergen

Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein

Hier bleibt es beim Tanz: Der Scharfrichter von Bergen, absolut inakzeptabel in der höfischen Gesellschaft, aber im Maskenball eingedrungen, tanzt mit der Herzogin, die ihn daran hindert, sich um Mitternacht still zu verdrücken. Der Skandal wird öffentlich – und der großzügige Herzog löst das Problem, indem er ihn fix zum Ritter schlägt und damit ein neues Geschlecht gründet – das nun auch schon in Särgen schlummert.

GK Hist

Schlachtfeld bei Hastings

Der Abt von Waltham seufzte tief

Auf dem Schlachtfeld ist Harold tot geblieben, aber niemand kann die teure Leiche finden. Da holt man die frühere Geliebte, die jetzt im Wald alt und in Armut lebt, Edith Schwanenhals, – und sie findet den untreuen Geliebten.

GK Hist

Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli

In dem Schlosse Blay erblickt man

Melisande hat den Moment als Bild gestickt, in dem sie den sterbenden Geliebten am Meeresstrand küsste. Und diese Stickerei hängt jetzt als Tapete an der Wand. Nachts wird die Tapete lebendig und die Liebe der beiden feiert sich jede Nacht – bis die Morgenröte sie vertreibt. Dieses Thema der Überwindung des Todes in der Liebe hat Heine in vielen Gedichten besungen. Für mich am ergreifendsten aber, wie sich diese Obsession am Ende seines Lebens in Wahrheit verwandelt, nämlich in der Art, wie er sich bemühte, für seine im Elend zurückbleibende geliebte Ehefrau (ja, nach all seinem Rumgehure ist er ein guter Ehemann geworden!) eine Versorgung sicherzustellen. Das ist einer der Aspekte, die mich mit dem lebenslang Sex-süchtigen Heine dann doch wieder versöhnen.

Jg

Der Dichter Firdusi

Golde Menschen, Silbermenschen

Der Dichter verbringt sein Leben im Mühen darum, seinen Schah zu besingen, 17 Jahre lang, und für jeden Vers hatte der Herrscher einen Toman (ein Geldstück) versprochen. Dann kommt der Lohn – aber es sind nicht Goldstücke, wie ein rechter Herr sie geben sollte, sondern ärmliche Silberstücke. Der Dichter fühlt sich verhöhnt, verschenkt das Geld und wandert fort, als Bettler. Er kommt über die List des Herrschers nicht hinweg, zweideutiges Versprechen gegeben zu haben.

Später hört der Schah jenes Preislied singen, er erinnert sich entzückt des Dichters und erfährt von seinem Elend. Betreten schickt er eine große Karawane mit Schätzen in den Wohnort des Dichters. Und die kommt gerade zu seinem Begräbnis.

Gk

Waldeinsamkeit

Ich hab in meinen Jugendtagen

Heine berichtet von seiner poetischen Berufung, die ihn von früh an in das Traumland des von Phantasie bevölkerten Waldes treibt. Dabei wird die unsterbliche Seele des Menschen ein bisschen verspottet, aber nur so nebenher. Dann wird auch ein bisschen Hexerei und Zauberkunst getrieben. Aber irgendwie wird er vertrieben aus diesem Wald und seines Kranzes beraubt. Das ganze Zauberleben ist weg. Er selbst ist den trauernden Nixen zum Gespenst geworden.

Das Schicksal der Poesie – wie die Romantik sie versteht, jedenfalls die Romantik Heines.

Jg

An die Engel

Das ist der böse Thanatos

Eine Bitte des sterbenden Dichters an die Engel, für seine Witwe, kindliche Witwe Mathilde, zu sorgen. Hier endlich erkenne ich Heine einmal als einen selbstlos Liebenden.

Jg

Enfant perdu

Verlorner Posten in dem Freiheitskriege

Lied eines treuen und unermüdlichen Wachposten, der ohne Hoffnung auf Sieg einfach nur seine Pflicht tut, tötet wo er muss, und am Ende selbst getötet wird. Aber die anderen rücken nach, wenn sein Herz im Tod bricht.

Jg

Disputation

In der Aula zu Toledo

Ein Wettstreit zwischen den Juden und Christen mit Argumenten. Wer überwunden wird, soll sich bekehren. Dabei machen alle in gleicher Weise sich selbst durch ihren Hass auf die Konkurrenten unglaubwürdig. Am Ende entscheidet die Königin: beide stinken.

Ein interessantes Gegenstück zu Lessings Toleranzdrama Nathan der Weise und zu Solowjews Erzählung vom Antichristen, bei dem am Ende aller Zeiten die Ökumene auch Katholiken und Protestanten mit umfasst. Also ein Stück über das Mühen um den Religionsfrieden – hier natürlich verballhornt in die Hoffnungslosigkeit.

Jg

An Jenny

Ich bin nun fünfunddreißig Jahr alt

Älter geworden trifft er die 15-jährige Tochter einer früheren Geliebten und erinnert sich

Jg

Weitere schöne Gedichte:

Ich seh im Stundenglase

Ich war, o Lamm

Der schlimmste Wurm

Die Nacht auf dem Drachenfels

Traum und Leben

Burleskes Sonnett

Lieben und Hassen

Steiget auf ihr alten Träume

Seekrankheit

Auf den Wolken ruht

Wo?

Halleluja

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten> 600
AutorHeine, Heinrich

Kommentare

Kommentar zu: Heine, Heinrich – Gedichte.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert