Hearn, Lavcadio – Kwai D-an

(um 1900 | 100 S.)

Lafcadio Hearn erklärte dem Westen Japan. In seinen an der Wende zum 20. Jahrhundert entstandenen Werken gelang es ihm wie keinem anderen westlichen Schriftsteller, tiefe Einblicke in die durch den … Google Books

Meinung

Cornelia meint:

Die Geschichte von Mimi-Nashi Hoichi

In alten Zeiten überwältigte ein Clan den anderen samt jungem Kaiser. Die Geister treiben ihr Unwesen. Ein ordentlicher Friedhof schafft etwas Ruhe. Hoichi ist blind, kann aber die alten Schlachtlieder singen. Ein Priester nimmt ihn auf zwecks Abendunterhaltung. Da wird Hoichir plötzlich nachts höchst geheimnisvoll abgeholt und soll in einem riesigen Hof singen. Der Priester erkennt die Lebensgefahr und bepinselt ihn mit Gebetssprüchen. Bloß die Ohren werden vergessen, und die werden dem armen Kerl dann abgerissen. Immerhin besser als ganz zerfetzt zu werden.

Ein seltsamer Zauber liegt über dieser Geschichte. Es geht mitten in die Geisterwelt, und die ist nicht gerade freundlich. Trotzdem eine liebevolle Grundstimmung. Mich hat beeindruckt, dass der Priester, der seinem Akolyten das Bepinseln aufgetragen hatte, sofort die Schuld für die Ohren auf sich nimmt.

GK

Oshidori

Vom Kummer einer Mandarinente, der der Enterich illegal weggeschossen wird. Sie klagt den Jäger an, und der muss am Morgen mitansehen, wie sie sich selbst entleibt. Da beschloss dieser Jäger, Priester zu werden. Was für ein tiefes Mitgefühl mit dem edlen Tier, und was für ein Heroismus in diesem Tier!

GK

Die Geschichte von O-tei

Als Verlobte erkrankt sie und muss sterben, verspricht aber ihrem Nagao Chosei, dass sie wiedergeboren werden und zu ihm zurückkommen wird. Er bewahrt treu ihr Andenken und widmet ihr Opfergaben, muss dann aber als Einzelkind eine andere heiraten. Endlich sterben die Eltern, Frau und ihr Töchterchen sterben. einer Reise begegnet ihm O-Tei in einem Dorf und sagt ihm auf Befragen, wer beide sind und wie er für sie opferte. Dann fällt sie bewußtlos um. Die beiden werden glücklich, aber sie hat sich nie wieder erinnert daran, wer sie war.

Selbstlose Liebe, Treue, und anständige Götter. Kann man lesen.

GK

Ubazakura

Reiche Eheleute bekommen erst spät eine Tochter, so dass eine Amme Milch beisteuern muss. Das Kind wird mit 15 schwer krank. Die Amme, die es mütterlich liebte, ging 21 Tage in den Tempel beten, – und das Kind wird gesund. Am Abend des Freudenfestes liegt die Amme im Sterben und gesteht, dass sie gebeten hat, an Stelle des Kindes sterben zu dürfen. Sie sollen nur die im Gebet versprochene Dankesgabe darbringen: im Tempelgarten einen Kirschbaum pflanzen. Und der hat 254 Jahre immer an ihrem Todestag geblüht.

Diese selbstlose Liebe!

GK Mädchen

Von einem Spiegel und einer Glocke

Alle sollen Bronzespiegel stiften für die Tempelglocke. Eine Frau liefert ab, dann tut es ihr leid. DA hängen viele Erinnerungen an Vorfahren dran. Bei der Schmelze kann dieser Spiegel nicht geschmolzen werden, weil nicht von Herzen dargebracht. Das ganze Dorf mobbt die Frau. Sie ertränkt sich, schreibt aber im Zorn einen Abschiedsbrief: Wer die Glocke kaputläutet, den mache ich sehr reich. Ergebnis: Dauergeläute bis die Glocke in den Sumpf geworfen wird. Magische Praktiken klappen und bestrafen Unwürdige. Zu viel Magie für die Kinder. Aber für Orthodoxe ist interessant, dass diese magischen Praktiken „von ganzem Herzen“ ausgeübt werden müssen. Diese Betonung des Herzens ist uns verwandt.

orth

Rokuro-Kubi

Samurai bleibt nach dem Tod seines Fürsten allein, will keinem anderen dienen, wird Priester. Aber weiterhin bärenstark. Schläft in einsamer Gegend, wo ein Holzfäller ihn voll Menschenfreundlichkeit warnt vor Gefahren und zu sich einlädt. Der Priester hat keine Angst, geht aber aus Freundlichkeit mit. In der Hütte 5 Leute mit erstklassigen Manieren. Ja, früher gehörten sie zur Oberklasse, haben aber viel Unrecht getan und würden es gerne büßen. Gerührt verspricht der Priester, jede Menge Sutra-Gebete für ihn zu sprechen. Darüber geht die Nacht beinah hin. Durstig schleicht er aus der Kammer und sieht 5 kopflose Körper, hm, aha, er ist bei Kobolden gelandet. In der Tat, und die wollen ihn fressen, wurden nur durch die Beterei gehindert. Kampf, Sieg, aber ein Kopf biss sich am Ärmel fest. Gerichtsverhandlung, Aufklärung, Verkauf an einen Räuber. Ende gut.

Ziemlich wild abenteuerlich, aber mit viel schönem Anstand dieses Samurai, und darum für Jungs okay.

GK Jungs

Ein begrabenes Geheimnis

Kaufmannstochter ist so klug, dass sie nach Kyoto zum Studieren mit den besseren Töchtern geschickt wird, dann verheiratete man sie mit einem Freund des Vaters, einem Kaufmann, glückliche Ehe, dann starb sie. Erschien aber regelmäßig in ihrem Zimmer vor Kommode. Allgemeines Grausen, bis ein Priester den Liebesbrief eines Studenten unter den Schubladenpapieren findet und verbrennt.

Was sagt uns das über das Glück dieser Ehe? Es gab dieses Geheimnis einer anderen Liebe

GK Mädchen

Die Geschichte Aoyagis

Junger Samurai auf winterlicher Dienstreise kommt in einer Hütte unter, wo man ihn mit allen höfischen Formen unterbringt. Schöne Tochter, beider Liebe, er darf sie mitnehmen – als Dienerin, denn ein Samurai darf nur mit Erlaubnis heiraten, und die kriegt er nie. Sein Auftrag führt ihn zu einem mächtigeren Fürsten, der sofort die Schöne in den Palast holen lässt. Der junge Samurai, verzweifelt, schreibt ein Gedicht, das in des Fürsten Hand gerät. Er wird einbestellt und erwartet das Todesurteil. Der Fürst aber, von der Liebe berührt, hat die Hochzeit vorbereitet. Glückliche Ehe, plötzlicher Tod. Kurz vorher erklärt die Frau, dass sie eigentlich die Seele eines Baumes in sich trägt und der wurde soeben abgehauen. Der Witwer wird Wanderprediger und findet den Baumstumpf, wo er für ein schönes Grab und Gebete sorgt.

Mich berührt die ungemein zartfühlende Darstellungsweise.

GK Mädchen

Ju-Roku-Zakura

Ein Samurai liebt den Familien-Kirschbaum. Als er alt wird, stirbt der Baum. Kummer. Da betet er, an Stelle des Baumes sterben zu dürfen und begeht Harakiri. Seitdem blüht dieser Baum am Todestag, auch wenn noch mitten im Spätwinter.

Bemerkenswert diese opferbereite Liebe zu einem Baum!

GK

Moskitos

Sie beißen. Aber um sie zu vernichten. Müsste man die Friedhofskultur, und damit die religiöse Kultur vernichten. Der Preis wäre zu hoch.

Ja, wenn bei uns im Westen jemals so gedacht worden wäre…

GK

Ameisen

Es beginnt mit einer Legende über eine Göttin, die einem Verehrer für einen Tag die Ameisensprache verständlich und dadurch, weil da ein Schatz vergraben ist, reich macht. Dann aber kommt die göttliche Stimme der Wissenschaft zur Sprache, die die enorme zivilisatorische Schöpferkraft gewisser Ameisenarten entdeckt hat. Da setzt es erstmal einen Seitenhieb auf christliche Kreise, weil die Überlegenheit eines nicht-christlichen Volks als Anathema gilt. Die Evolution hat das alles bei den Ameisen ganz ohne Religion hingekriegt, nämlich: ein Volk, in dem das Glück jedes Einzelnen in völliger Harmonie mit dem Glück und Wohlbefinden der Art-Gemeinschaft liegt. Da sind, sagt Spencer, die Menschen weit zurück, sollen aber per Evolution da hinkommen. Die Ameisen erbringen gewaltige Kulturleistungen aufgrund einer geradezu furchtbaren Moralität. Null Selbstsucht. Und all das beruht auf weitgehender Unterdrückung von Geschlechtlichkeit. Nur die Königinnen dürfen, und die Männchen, die man dazu bereithält, sterben dann bald. Ausgedient, nicht mehr nötig. So gibt es keinerlei Privatglück. Nächster Seitenhieb: diese Moral klappt ganz ohne göttliche Drohsanktionen. Irgendwann müssen auch die Menschen ihre bisherige Moral überwinden und sich zum Altruismus hin entwickeln. Die Evolution wird das auch bei uns schaffen, und diese einstige Menschheit wird auch feminisiert sein und Reproduktion stark einschränken, denn der Bevölkerungsdruck ist ein Motor der Egoismen.

Im Unterschied zu Spencer glaubt Hearn, dass solche Umwandlung sich nur durch Katastrophen machen lässt, mit Steigerung menschlicher Intelligenz und Sympathie und Lebensdauer. Dazu muss in der Jugend der Geschlechtstrieb unterdrückt werden, um so für höhere Aufgaben frei zu werden. Die kosmischen Gesetze werden‘s richten.

Hm, davon sehe ich grad nicht viel. Aber interessant für Jugendliche als Alternativmodell der Evolution unbedingt. Und natürlich für die Orthodoxie, denn das Christentum, was hier moralinsauer vorgestellt und entthront wird, ist nicht unsere Kirche. Von Feindesliebe keine Rede und auch nicht von der unhintergehbaren personalen Liebe.

Jg, Orth

Info

Erscheinungsjahr20. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorHearn, Lavcadio

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