Jetzt auf unserer Webseite: Große Übersicht über Reliquienorte – hier das Interview dazu!

Seit Mitte November 2019 finden Sie auf den Webseiten der DOM Gesellschaft zu Ehren des Heiligen Erzengels Michael nicht nur Karten zur christlichen Mission im ersten Jahrtausend, sondern auch eine filterbare Gesamtliste mit jeder Menge Ortsangaben zu Reliquien von Heiligen aus dieser Zeit, deren Verehrung wichtiger Bestandteil orthodoxen Selbstverständnisses ist. Aus Anlass der Veröffentlichung hat sich unser Webredakteur Peter bei der Autorin Cornelia (Corinna) Delkeskamp-Hayes zum Kaffee eingeladen.

Cornelia Delkeskamp-Hayes, Gründungsmitglied der DOM Gesellschaft und unsere Schriftführerin

Liebe Cornelia, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, dich mit Reliquien im deutschen Raum zu beschäftigen?

Durch eine Freundin, die meinen Bibelkreis in einer katholischen Gemeinde besuchte (ja, der polnische Priester dort war von Uniaten erzogen worden und hat sich über meine patristischen Auslegungen gefreut), wurde die katholische Kustodin in der Nauheimer orthodoxen Kirche dazu angeregt, mich mit der Organisation einer Vortragsreihe zur Orthodoxie für ein nicht-orthodoxes Publikum zu betrauen. Und wenn ich eh schon reden soll (und nachdem Vater Basilius das gesegnet hat), dann am liebsten über etwas, wovon ich null nichts verstehe. Und da standen bei mir als Ex-Protestantin die Reliquien ganz vornedran.

Wie bist du bei diesen Vorträgen vorgegangen?

Zunächst mal ging es ja um die theologische Grundlegung, und da habe ich viel Historisches und Theologisches gelesen, um zu verstehen, was dahintersteckt. Ich lerne einfach besser, wenn ich anderen erkläre. Entscheidend war natürlich die Lehre des Heiligen Gregor Palamas von den göttlichen Energien. Ich habe gemerkt, warum die katholischen Erklärungen ins Herumeiern kommen: sie haben diese Lehre nicht angenommen. Darum haben sie keine einleuchtende Grundlage für die Verehrung ihrer eigenen Reliquien, um die sie sich jetzt teilweise wieder bemühen.

Was bedeuten die Reliquien für orthodoxe Christen?

Hörmal, Du hast um KURZE Antworten gebeten! Und jetzt eine so große Frage!
Die Verehrung von Reliquien habe ich zunächst von den Vätern der Geilnauer Skite gelernt. Damals hat man noch „Ausflüge“ gemacht. Dabei bin ich leiblich-seelisch-geistlich einfach hinterhergelaufen. Und weil ich diese Pilgerfahrten herrlich fand, versuchte ich, immer mehr interessante Reliquien in der Nähe zu finden.

Heute würde ich sagen: Reliquien sind eine chance. Manchmal, wenn wir richtig vorbereitet sind, „sprechen“ sie zu uns, und das ist wie ein Gruß der Heiligen selbst. Meistens muß man sich natürlich einfach bemühen, um ins richtige Beten reinzukommen. Es ist immer wichtig, nichts Besonderes zu erwarten. Ich glaube, Gott mag Überraschungen.

Für unser Selbstverständnis sind sie vielfach wichtig: Um nur ein Beispiel zu nennen: Sie lehren uns, daß die Orthodoxie nichts rein Spirituelles ist, daß die göttliche Gnade auch den Leib (sogar die Taschentücher!) heiligt. Das hilft uns beim asketischen Mühen, auch unseren Leib empfänglich für die Gnade zu halten. (weniger natürlich die Taschentücher…)

Und wie kam es dann zu dieser enormen Reliquiendatei?

Na, die Sache entwickelte sich sozusagen suchtmäßig. Wann immer mein Mann und ich irgendwo hinfahren mußten, habe ich vorher recherchiert, was da in der Nähe Interessantes zu finden wäre. Ich hatte damals viele Konferenzen in Europa, und wir haben fast immer die Hin- und Rückwege zur „Reliquienjagd“ verwendet. (Vor kurzem hat mein Mann nach 20 Jahren Reliquien-Urlauben um eine „endlich mal nicht-Reliquien Reise“ gebeten, nach Florenz. So ganz ersparen konnte ich sie ihm aber auch da nicht.)

Dann bat eine amerikanische Freundin, die Frau eines Priesters, mich zu gemeinsamen Reliquienreisen in die Schweiz und in Deutschland. Anders als ich hatte sie einen „Plan“, denn sie arbeitete an einem Pilgerführer für orthodoxe Christen in Amerika, die nach Europa reisen.

Mit der Ankunft von Enkeln ist meine Reisefreiheit allerdings verringert, und so kann ich jetzt auch leichter „abgeben“.


Ein Blick in die Liste.

Welche westlichen Heiligen sind in der orthodoxen Kirche akzeptiert?

Das hängt ein bißchen von den Kirchen ab. Einige Rumänen hier, die ich kenne, verehren ziemlich viele Heilige. Die Russen sind zurückhaltend und wünschen sich eine Grenze für das Jahr 800, als Karl der Große die Einheit des christlichen Abendlandes aufbrach. Also alle gemeinsam mit den Katholiken verehrten Heiligen des Westens, die vor 800 vollendet wurden, werden auch von uns Orthodoxen verehrt. Mit den späteren Heiligen ist es schwieriger. Der Heilige Johannes von Shanghai und San Franzisko hat sich sehr für sie eingesetzt. Seraphim von Sarow hat – ziemlich ungewöhnlich – den Heiligen Franziskus verehrt, der uns eigentlich wegen seiner Stigmata ein wenig fremd ist. Es gibt da noch viel zu entdecken.

Wie wichtig ist historische Verbürgtheit?

Davon gibt es zwei Sorten. Es gibt die säkulare Geschichtswissenschaft, die zum Beispiel von unseren vielen Heiligen der „Thebäischen Legion“ nichts wissen will, ja, eine solche Legion geradezu als unmöglich ansieht. Es gibt aber auch die historische Verbürgtheit der Verehrung mit ungebrochener lokaler Tradition. Auch diese hat ihre eigene Evidenz.

Wenn man einfach als Gläubiger irgendwo hinkommt, sollte man (nachdem man an den Behältern für spätere Heilige respektvoll vorübergegangen ist) sich einfach dem Gebet widmen und darauf vertrauen, daß der Heilige einen schon hören wird. Wenn es um die Erstellung von Heiligenlisten zur Einfügung in einen Kalender geht, ist natürlich genaueres Hinschauen verlangt: Was ist mit den angeblich vorhandenen Reliquien in den vielen Kriegen, während der Reformation, und während der Vernichtungsarbeit in der Folge des Vatikan II passiert? Wie sind die Übertragungs-Zeugnisse zu werten? Wer hatte tatsächlich Verbindungen und die nötige Autorität, um von einem Grab weit weg eine Reliquie mit nach Deutschland zu bringen? Ich habe festgestellt, daß vieles, was ich früher als fromme Geschichte abgetan habe, durchaus real sein kann, so etwa beim Heiligen Sebastian in Chur.

Was ist mit großen westlichen Heiligen wie Franziskus oder Hildegard?

Ich kann mir da kein Urteil erlauben und halte freundlichen Abstand. Es gibt so viele unproblematisch unserer Kirche zugehörige Heilige, daß wir keinen Mangel leiden. Ich schätze an Hildegard den Eifer, mit dem sie Rupert von Bingen und seine Mutter Berta verehrt hat. Aber ich habe einfach nicht genug Zeit, mich mit Menschen zu befassen, die „jenseits“ unserer Kirche wohnen.

Wie können orthodoxe Christen die Ergebnisse deiner Recherche verwenden, und was würdest du dir wünschen, wie daran weiter geforscht werden könnte?

Es wäre für mich eine große Freude, wenn diese Datei andere orthodoxe Christen anregen könnte, in der Umgebung ihres Wohnortes weiterzusuchen. Wann immer ich nicht in Zeitnot bin (d.h. selten), nehme ich mir jede Kirche am Weg vor, schaue rein, versuche, den Kirchenführer zu finden. Am allerbesten merkt man vor Ort, was für Schätze sich dort verbergen. Ich habe sehr oft erlebt, daß die Katholiken, die diese Reliquien behüten, sich über orthodoxen Besuch freuen. Solche Besuche sind ein Zeugnis unserer gemeinsamen Basis, und vielleicht können sie auch zur Einladung werden, mehr über die Orthodoxie zu erfahren. Die wird nämlich dann nicht mehr nur als fremdes Importgut empfunden.

Gibt es dazu gute Literatur oder Internetquellen, und kann man dich persönlich ansprechen, wenn man zusätzliche Informationen sucht?

Das Internet ist ein guter Anfang. Nichts schöner, als nach vollbrachtem Tagewerk noch ein bißchen nach Heiligen zu graben. Ich fand das ökumenische Heiligenlexikon und – erstaunlicherweise – in letzter Zeit sogar wikipedia sehr gut zur ersten Orientierung.

Allerdings sollte man für die Heiligen selbst dann unbedingt orthodoxe Seiten ansehen, weil die katholischen älteren Quellen oft etwas großzügig mit späteren hinzu-Erfindungen umgehen. Da führt so manches weg von unserem Zugang zur Heiligkeit.

Was die Reliquien angeht, da muß man bei google halt die ersten 10 Seiten durchackern, ehe man so langsam auf die interessanten pdfs mit Aufsätzen kommt. Es gibt viele alte Bücher, die schon digitalisiert sind. Aber natürlich findet man auch zitierte Quellen zu hilfreicher neuer Literatur, die man sich in Bibliotheken besorgen muß. Ich empfehle sehr, bei dieser Suche auch einen guten Vorrat an geschichtlichen, baugeschichtlichen, kirchengeschichtlichen und kunsthistorischen Informationen anzusammeln, also das Relevante zu scannen und gut zu verwalten. Leider habe ich erst spät gemerkt, wie wichtig die Beziehungen zwischen Diözesen und Klöstern europaweit sind. So kann man behauptete Übertragungen einigermaßen verifizieren.

Gerne kann man mich auch an-mailen, aber, ehrlich gesagt, ziemlich alles was ich weiß steckt in den Dateien.

Herzlichen Dank, liebe Cornelia, für das Gespräch und den Kaffee))