Im Rahmen einer Zusammenarbeit der DOM-Gesellschaft mit dem Heiligen und Großen Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos haben wir eine deutsche Übersetzung von Vorwort und Einleitung eines Buches erstellt, das über die Wunder des in diesem Kloster aufbewahrten Gürtels der Gottesgebärerin berichten soll und von diesem Kloster herausgegeben wird.

In diesen vorangestellten Texten wird das orthodoxe Verständnis von Wundern und Reliquien, hier insbesondere der für jenes Buch relevanten Berührungsreliquien, prägnant zusammengefasst. Mit Erlaubnis des Klosters drucken wir vorliegend eine gekürzte Version dieser Zusammenfassung ab.

Die vom Kloster bereitgestellten Quellen-Angaben habe ich auf Ausgaben zuordnen können, die in deutscher und englischer Sprache zugänglich sind. Bei den Belegstellen für Johannes Chrysostomus kann ich nur die mir mitgeteilten griechisch-englischen Angaben anbieten und hoffen, dass einer unserer Leser über genügend Patristik-Kenntnis verfügt, um hier für nicht Gräzisten oder Latinisten Hilfe zu schaffen.
Cornelia Hayes

Wunder

Man nennt die Werke Gottes und Seiner Heiligen, die menschliche Vernunft nicht verstehen oder erklären kann, Wunder. Gott wirkt beständig Wunder. Dies offenbaren bereits die Worte unseres Herrn Jesus Christus: Mein Vater wirkt bis jetzt, und Ich wirke (Joh. 5:17).[1] Durch Seine ungeschaffenen Energien behütet, bewahrt und sorgt Gott für die gesamte Schöpfung, für alles Geschaffene. Das heißt, Gott bewahrt die Schöpfung so, wie Er sie geschaffen hat; Er erhält sie und beschützt sie durch Seine göttliche Fürsorge. So sind innerhalb der materiellen Welt die ungeschaffenen Energien Gottes auch dort unablässig am Werk, wo die ihrerseits geschaffene Natur, wie wir meinen, lediglich Natur-gemäße Wirkungen hervorbringt. Bereits hierdurch erfahren wir – ohne dies zu bemerken – unablässige Wunder. Auch werden all unsere eigenen Fähigkeiten nur mit Hilfe des göttlichen Willens zur Wirkung gebracht. Würde Gott Seine Energien einer unserer Fähigkeiten entziehen, so könnten wir von ihr keinen Gebrauch mehr machen. Ich besitze meine Sehkraft, und ich kann sehen, weil Gott es so will. Sobald Gott Seine Energie zurückhält, werde ich blind.

Nach der Lehre der Kirchenväter gibt es keine Naturgesetze (die die Natur beherrschen), sondern geistige oder ungeschaffene Ursachen. Die Natur lebt, weil sie an der schöpferischen, vorsehenden und lebenspendenden Energie Gottes teilhat. Gott, Der die Welt aus dem Nichts geschaffen hat, hat sie nicht verlassen, sondern regiert sie unablässig durch Seine Energien. Für gewöhnlich erfahren wir die Wirkungen und Offenbarungen dieser Energien im Modus der Beständigkeit. Doch geschieht dies nach dem Willen Gottes. Indem der Mensch versucht, sich mit der natürlichen Welt vertraut zu machen, erschließt sich ihm diese Beständigkeit, und er schließt auf „Naturgesetze“. Wenn Menschen darum ein Wunder erfahren, neigen sie dazu, es als Gottes Eingreifen in das Wirken solcher Naturgesetze zu erklären. Dennoch stellt ein Wunder keinen Eingriff in unabhängig von Gott wirkende Naturgesetze dar, sondern entsteht aus dem Wirken Seiner ungeschaffenen Gnade in der von Ihm ins Leben gerufenen Schöpfung:

… Du gibst ihnen: Sie sammeln ein. Du tust Deine Hand auf: Sie werden gesättigt mit Gutem. Du verbirgst Dein Angesicht: Sie erschrecken.

(Ps. 103:28-29)

Die Macht, Wunder zu vollbringen, liegt im Wesen Gottes. Die Heiligen wirken Wunder aufgrund der Gnade, die sie von Ihm empfangen haben. Die Kraft, mit der sie Wunder wirken, ist nicht ihre eigene, sondern kommt von Gott. So hat auch unsere Allerheiligste Herrin und Mutter Gottes, als die Heilige aller Heiligen, mehr Wunder gewirkt als jeder andere Heilige. Und nicht nur das. Alle geistigen Gaben werden den Menschen durch sie zuteil. Nach der Heiligen Dreiheit steht sie an erster Stelle. Nach der Heiligen Dreiheit, Die den ersten Rang innehat, bekleidet sie den zweiten Rang, Ehrwürdiger als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim.

Neben ihrer Liebe, ihrer Güte und Reinheit hat unsere Allheilige Gottesgebärerin unendlich viele Möglichkeiten, uns zu helfen. Warum? Der Heilige Nikodemos vom Berg Athos, der die Mutter Gottes so sehr liebte, erklärt dies in seinem Werk Über die Feste (Ἑορτοδρόμιον). Hier heißt es in der neunten Ode des Kanons für Pfingsten: Unberührt von Verwesung empfingst Du doch ein Kind und liehst dem Wort Dein Fleisch.

Die Heilige Schrift verwendet für Wunder den angemesseneren Begriff eines „Zeichens“. Ein Zeichen stellt etwas dar, es verweist auf jemanden. Hier offenbart es Gott. Ein Wunder ist gut, nicht nur zum Beispiel, weil jemand geheilt wird, sondern weil es uns Gott offenbart. Das ist das Wichtigste. Wir halten uns gewöhnlich beim ersteren auf, bei der Heilung, die doch weniger bedeutsam ist im Vergleich zur Offenbarung der Herrlichkeit Gottes.

Christen, die die Gegenwart Gottes in ihrem Leben persönlich erfahren haben, bekennen die Wohltaten, die sie unserer Allheiligen Gebieterin verdanken. Die segensreiche Wirkung der Gott offenbarenden Wunder ruft uns als Zeichen zur Umkehr und Reue. Viele von jenen, die solche Wohltaten erfahren haben, hatten vorher nur eine lockere oder gar keine Beziehung zur Kirche. Nach dem Segen, mit dem sie beschenkt wurden, weinten sie, erkannten ihre Fehler und ihre geistliche Armut. Sie leben seither im asketischen Kampf und in wahrer Reue.

Berührungs-Reliquien

Unsere Kirche verehrt als heilige Reliquien nicht nur die Leiber ihrer Heiligen selbst, sondern auch Gegenstände, die ihnen gehört hatten. Eine Reliquie der letzteren Art, die Einzige, die von unserer Allheiligen Gottesgebärerin existiert, ist ihr heiliger Gürtel. Er ist ein unermesslicher Schatz, das heiligste Erbe des Heiligen und Großen Klosters Vatopedi. Die Gnade des Heiligen Geistes wirkt weiterhin durch die Reliquien unserer Heiligen. Wie der Heilige Johannes Chrysostomos schreibt:

Indem Er das Blut und das Leiden Seiner Heiligen ehrt, bewahrt Christus ihre Seelen im Himmel. Doch hat Er um unserer Erlösung willen ihre Leiber und heiligen Reliquien auf der Erde zurückgelassen.[2]

Johannes Chrysostomos, Discourse g, The relics of the holy martyrs are of the greatest benefit and also for the newly enlightened, EPE, Answers of John Chrysostom 30, pp. 471-472.

Die Gnade des Heiligen Geistes wirkt Wunder auch durch heilige Gegenstände. Beispiele dafür gibt es im Alten wie im Neuen Testament. Der Prophet Moses hat große und wunderbare Werke durch seinen Stab vollbracht (den Durchgang durch das Rote Meer, das Wasser aus dem Felsen). Auch der Prophet Elias hat kurz vor dem großen Wunder seiner leiblichen Auffahrt in den Himmel, kurz vor dem Ende seines heiligen Lebens, ein letztes Wunder gewirkt: Indem er mit seinem Schafsfellmantel die Wasser des Jordan schlug, öffnete er für sich selbst und den Propheten Elisäus einen Übergang zum anderen Ufer. Da nahm Elias seinen Mantel und wickelte ihn zusammen und schlug auf das Wasser. Und es teilte sich hierhin und dorthin, und die beiden gingen hinüber auf dem Trockenen. (2. Kg. 2:8). Der Prophet Elisäus wiederum „erbte“ den Geist seines Lehrers ebenso wie dessen Mantel und vollzog dasselbe Wunder, indem er beim Gang durch den Jordan Gottes Hilfe anrief. Darum berichtet das Alte Testament im selben Buch, dass die Söhne der Propheten, als sie dieses Wunder sahen, sagten:  Der Geist des Elias ruht auf Elisäus (2. Kg. 2:15). Dieser Mantel, ein Kleidungsstück, mit dem der Prophet Elias sich bedeckt hatte, war selbst heilig geworden. Der Prophet hatte diesen Mantel getragen, und darum wurde er mit Wunder-wirkender Gnade erfüllt. Er hatte Ehre von der Ehre des Propheten, Segen von dessen Segen, Heiligkeit von dessen Heiligkeit, Gnade von dessen Gnade erlangt, obwohl jener Mantel alt und abgenutzt war. Dennoch hat selbst der Jordan ihn geehrt, und seine Wasser teilten sich in zwei Teile, weil im Gnaden-erfüllten Gewand Elias der Tisbiter selbst erfunden wurde.

Ähnliches findet sich auch im Neuen Testament. Ein Beispiel dafür ist die Frau, die von ihrem zwölfjährigen Blutfluss geheilt wurde (cf. Mk. 5:25-34). Sie hatte alles Menschenmögliche versucht, all ihr Geld für Medikamente der Ärzte ausgegeben, ohne irgend Erleichterung zu finden, vielmehr hatte sich ihr Zustand stark verschlechtert. Als sie von Jesus hörte, mischte sie sich unter die Leute hinter Ihm und berührte Sein Gewand. Wenn ich nur Sein Gewand anrühre, werde ich geheilt werden. Sie erkannte sofort, dass sie geheilt war. Die Kraft, die von Jesus durch Sein Gewand hindurch ausging, hatte die Heilung bewirkt. Deshalb fragte Er auch: Wer hat Mein Gewand angerührt? Das durch Ihn geheiligte Gewand hatte die Kraft unseres allmächtigen Herrn weitergeleitet.

Nach der Apostelgeschichte hat selbst der Schatten des Apostels Petrus Wunder gewirkt,

sodass sie die Kranken auf die Straßen hinaustrugen und auf Betten und Lager legten, damit, wenn Petrus käme, auch nur sein Schatten einen von ihnen überschattete. Es kam aber auch die Menge aus den Städten um Jerusalem zusammen, und sie brachten Kranke und von unreinen Geistern Geplagte, die alle geheilt wurden.

(Apg. 5:15-16)

Dasselbe geschah mit dem Heiligen Paulus:

Und ungewöhnliche Wunderwerke tat Gott durch die Hände des Paulus, sodass man sogar Schweißtücher oder Schurze von seinem Leib weg auf die Kranken legte und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren.

(Apg. 19:11-12)

Die heiligen Apostel waren Gefäße der Gnade des Heiligen Geistes. Diese Gnade erfüllte auch die materiellen Gegenstände (Taschentücher, Schurze), die sie benutzten, so dass Gottes Gnade durch sie Wunder wirkte. Darum feiert auch unsere Kirche am 16. Januar das Fest der Verehrung der Ketten des Apostels Petrus. Während seiner Gefangenschaft in Jerusalem durch Herodes waren seine Hände in Ketten gelegt worden. Ein Engel des Herrn befreite ihn aus den Fesseln des Gefängnisses. Christen haben diese Ketten bewahrt und verehrten sie mit Glauben und Eifer „zu ihrem geistlichen Wohl“. Jene Ketten hatten durch den Apostel Petrus „immerwährende Gnade“ erhalten und wurden zu „Heilmitteln für Gebrechen, zum Trost für die Trauernden, zum Hafen für die vom Sturm Umtosten“(Vesper für den 16. Januar, Menaion, Doxastikon der Apostichen). Alle, die sie mit rechter Verehrung umfassten, wurden von ihnen geheilt. In einer der Hymnen des Kanons für das Fest lesen wir:

Vertreibe die Drangsale der Dämonen, stille den Sturm der Sünde.  Beschütze alle, die Deine Ketten verehren, Petrus, vor Krankheit, Gefahr, Kummer und den Angriffen der Barbaren.[3]

Orthros für den 16. Januar, Menaion, Troparion 2 der 8. Ode im ersten Kanon.

In seiner Auslegung der Geschichte von den drei Jünglingen im Feuerofen stellt der Heilige Hippolytus († 235 A.D.) fest:

Das Feuer erfasste sofort die Bande, mit denen der König sie gefesselt hatte, berührte aber ihre Kleidung nicht, damit die Erhabenheit Gottes offenbart werde. Weil jene Kleidung ihre Leiber berührt hatte, vollzog sich beider Heiligung zugleich, und ihre Gewänder wurden durch das Feuer nicht zerstört.[4]

Hippolytus Romanus, Danielkommentar, Stuttgart: Anton Hiersemann, 2016.

Das Feuer achtete selbst die Gewänder der drei Jünglinge, weil diese durch ihren Kontakt mit deren Leibern geheiligt worden waren.

Nach dem Heiligen Athanasius dem Großen wollten Christen, und sogar Heiden, „wo irgend möglich, den Heiligen Antonius den Großen berühren, da sie glaubten, es werde ihnen nutzen.“[5] Der Heilige Johannes Chrysostomos spricht von ganz ähnlichem Verhalten der Bürger von Antiochien, als ihr Bischof Meletius aus dem Exil zurückkehrte. Als dieser sich der Stadt näherte, „versuchten jene, die ihm nahekamen, seine Füße zu berühren, küssten seine Hand und lauschten seiner Stimme. Wer sich nicht nähern konnte, hielt seinen bloßen Anblick für seinen Segen.“[6]

In seiner Lebensbeschreibung des Martyrer-Bischofs Cyprian hält der Diakon Pontius fest, dass ein christlicher Soldat, der dem Martyrium beiwohnte, dem Bischof andere Kleider anbot, um dessen eigene Kleider, die mit dem Schweiß seiner Leiden durchtränkt waren, zu behalten.

Alle Gegenstände, die mit den Geist-tragenden Heiligen verbunden waren, werden selbst heilig und segnen jeden, der mit ihnen in Berührung kommt. Man bewahrt sie nicht bloß als Erinnerungsstücke auf, sondern als zu eigener Verehrung und Ehrfurcht geheiligte Dinge. Der Heilige Gregor von Nyssa hat einmal gesagt, dass jedem, der den Sarg mit den Reliquien des Martyrers Theodor berührt, ebenfalls Segen und Heiligung zuteilwird, weil nicht nur die Reliquien selbst an Gottes Gnade teilhaben, sondern auch ihre zur Aufbewahrung verwendeten Reliquiare. Nach dem Heiligen Johannes Chrysostomos überträgt sich die Kraft der Heiligen

von deren Seele auf ihre Leiber, und von den Leibern zur Bekleidung, von dieser zu den Schuhen, und von den Schuhen auf die Schatten. [7]

Johannes Chrysostomos, Saint John Chrysostom, To our holy Father Meletion, archbishop of Antioch the great, and to the study of those gathered, PG 63, 469 (50-52).

Es sei auch betont, dass nach der Tradition der Kirche die Gegenwart der göttlichen Gnade einen besonderen Duft, ein angenehmes Aroma ausströmt.

Der Heilige Gürtel der Gottesgebärerin hielt die Taille der Gottesmutter umfasst, während sie Christus in ihrem Schoß trug, und so nahm er die Gnade der Heilung an. Wer immer die Gnade dieses Gürtels sucht, empfängt den Reichtum solcher Gnade und seinen Trost. Mögen alle, die sich im unermesslichen Meer der Krankheiten befinden, Zuflucht suchen im gnadenreichen Meer unserer Allheiligen Herrin. Im Alten Testament prophezeit das Hohelied über die Gewänder unserer Herrin: Der Duft deiner Gewänder gleicht dem Duft des Libanon (4:10–11).

Nach einer alten Tradition verschenkt unser heiliges Kloster Bänder, die mit dem heiligen Gürtel der Allheiligen Mutter Gottes gesegnet wurden, an fromme Verehrer, die darum bitten.  Durch die Gnade des heiligen Gürtels geschehen viele Wunder. Insbesondere wird die Unfruchtbarkeit dadurch geheilt, und viele kinderlose Paare können eine Familie gründen. Krebspatienten und andere, die an unheilbaren Krankheiten leiden, werden so geheilt.

Wunder durch Reliquien

Damit ein Wunder geschehen kann, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Eine von ihnen betrifft die Untadeligkeit der Person, an der das Wunder geschehen soll. Die göttliche Gnade offenbart sich nicht und bleibt nicht bei Menschen mit unreiner Seele, voller Leidenschaften und Bosheit. Es sind die Reinen im Herzen, die zu Gefäßen dieser Gnade werden. In den Worten des Heiligen Paulus: So wollen wir uns reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes (2. Kor 7:1). Wie man an der Vielzahl der geschehenen Wunder sehen kann, müssen nicht nur jene, denen das Wunder zuteilwird, oder die darum bitten, sondern auch die unmittelbare Umgebung, in der sie leben, frei sein von Handlungen, Worten und Gedanken, die dem Willen Gottes entgegenstehen. Stehen sie hingegen unter einer solchen Bürde, müssen sie zuerst durch das Sakrament der Reue und Beichte gereinigt werden. Erst dann darf man die göttliche Gnade erflehen.

Eine zweite Voraussetzung für die Möglichkeit eines Wunders ist der Glaube. Der Heilige Johannes von Damaskus schreibt:

Christsein bedeutet glauben. Wer mit Glauben kommt, wird viel gewinnen; doch der Zweifler „gleicht einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird“ (Jak. 1:6) und wird nichts erlangen.[8]

Johannes von Damaskus, Über die Ikonen, 3.41.

Der Glaube zeigt sich durch ein Leben in der Liebe Gottes, nicht nur durch Worte. Wenn unser tägliches Leben nicht zeigt, dass wir Gott lieben, dann sind wir wie jene Zeitgenossen des Herrn, die Er Heuchler nennt und von denen Er sagt: Dieses Volk ehrt Mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von Mir (Mt. 15:8).

Absoluter, unbedingter, unerschütterlicher, vollkommener und standhafter Glaube – wer solchen Glauben hat, verlässt sich auf Gott allein. Er vertraut alles Seiner Macht und Gnade an. Solcher Glaube ist entweder gegeben oder nicht gegeben. Nur wenn er vollständig und standhaft ist, ist er wirklicher Glaube. Ein Glaube mit Fragezeichen, Schwankungen, Vorbehalten, Unsicherheiten und Rückfällen ist kein wahrer Glaube.  Solch bloß so-genannter Glaube kann die göttliche Gnade und allmächtige Kraft nicht anziehen; er kann nicht möglich machen, was bei Menschen unmöglich ist (Lk. 18:27). Je mehr der Glaube eines Menschen sich erhebt, umso eher steigt die göttliche Gnade zu ihm herab und nähert sich ihm. Wo sich der Glaube zurückzieht, schwindet die Gnade. Wo der Glaube seinen höchsten Grad erreicht, indem er vollkommen und unbedingt wird, dort begegnet ihm die göttliche Gnade, und in dieser Begegnung entzündet sich das Wunder.

Wenn mithin ein Kranker sein Leben so weitgehend gereinigt hat, dass es die Fülle seines Glaubens bezeugt, dann erlangt er Wunder und wird sogleich auf unmittelbare, vollständige und dauerhafte Weise geheilt.

Darin also bestand die Heilswirkung unseres Herrn.  Stets reinigte Er zuerst Seele und Leben der Kranken durch Vergebung ihrer Sünden. Dann befragte er jene, die Seine Gnade suchten, um ihnen zu helfen, sich innerlich bewusst zu werden und ihren wahrhaften Glauben zu bekennen. Erst nach Sündenvergebung und Bekenntnis folgte als dritte Stufe die vollständige Heilung.  Und Er beschloss diese Heilbehandlung mit der Mahnung: Siehe, du bist gesund geworden. Sündige nicht mehr, damit dir nichts Ärgeres widerfährt! (Joh. 5:14).

Aus dem hier Gesagten ist klar geworden, dass die entscheidende Wirkung eines Wunders stets von der Gnade Gottes ausgeht. Damit ein Wunder jedoch geschehen kann, bedarf es eines lebendigen Glaubens, einer Kraft des Glaubens. Sie macht gläubige Christen für die göttlichen Energien empfänglich. Es geht hier jedoch nicht um ein technisches Rezept, das, selbst für den glühendsten Glauben, ein Wunder garantieren könnte. Christi Jünger hatten trotz ihres Glaubens den jungen Epileptiker nicht heilen können (cf. Mt. 17:15-21). Als diese Ihn fragten: Warum haben wir ihn [den Dämon, Anm. des Übersetzers] nicht austreiben können?, antwortete ihnen Christus, dass es hierzu einer noch viel glühenderen persönlichen Zuwendung und einer Verbindung des Willens derer, die um ein Wunder baten, mit dem allheiligen Willen des einen wahren Gottes bedurft hätte.


[1] Für Bibelzitate habe ich die unrevidierte Elberfelder Bibelübersetzung verwendet, die so nah wie möglich am Griechischen bleibt. (CH)

[2] Johannes Chrysostomos, Discourse g, The relics of the holy martyrs are of the greatest benefit and also for the newly enlightened, EPE, Answers of John Chrysostom 30, pp. 471-472.

[3] Orthros für den 16. Januar, Menaion, Troparion 2 der 8. Ode im ersten Kanon.

[4] Hippolytus Romanus, Danielkommentar, Stuttgart: Anton Hiersemann, 2016.

[5] Athanasius von Alexandrien, Leben des Heiligen Antonius, Internet: https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-2101/versions/leben-des-heiligen-antonius-bkv/divisions/2

[6] Johannes Chrysostomos, Sermon spoken in the testimony on the old stone, a few selections for the winter; to the see continually gather, and do not forbid salvation for people being in sin, but to see their repentance, PG 50, 517 (5 9-61; 62-63).

[7] Johannes Chrysostomos, Saint John Chrysostom, To our holy Father Meletion, archbishop of Antioch the great, and to the study of those gathered, PG 63, 469 (50-52).

[8] Johannes von Damaskus, Über die Ikonen, 3.41.

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