Arnim, Achim von – Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810)

Meinung

Bei Eichendorff hatte ich diesem Buch große Bedeutung zugesprochen gefunden, wurde also neugierig. Nun – nicht ein Wimmelbuch, aber ganz sicher ein Kaleidoskop mit allem drin, was zu Arnims Zeiten so Gesprächsstoff war. Von fürstlichen Lebens- und Liebeshändeln bis zum Mesmerismus, der künstlichen Intelligenz (gemogelt, natürlich) über die Religion, die Politik, zu Schauergeschichten über Mord, Totschlag, Teufelei und Zauberei, – da fehlt nix von dem, was man für ein Romantik-Buffet brauchen kann, – und das alles noch garniert mit zahllosen Geschichten und Theaterstückchen und Balladen und lyrischen Gedichten. Die Charaktere anfangs einfache Pappfiguren – zwei verschiedene Gräfinnen, eine brav und fromm, die andere ein egoistischer Liederlump, und der Graf heiratet natürlich die letztere, und kann dann sehen wo er mit seiner Liebe für Landwirtschaft, Kunst und Politik noch bleiben kann. In seiner Seele läuft das Drama der Liebe zu einer der Liebe nicht werten Person ab, und mit geradezu fürchterlicher Langsamkeit wächst die Entfremdung. Zur Verführung jener Dolores wird ein veritabler Teufel aufgefahren, der die fromme Klelia geheiratet hat, die so gut ist, daß sie selbst ihn noch für gut hält. Derselbe richtet dann als Herzog bzw. Marchese allerlei Schrecken an, und um Dolores zu verführen, muß er äußerste Raffinesse nebst magnetisch aufgeladener Blumensträuße einsetzen., – ich meine, das hätte er wohlfeiler haben können. 

Nachher ist er aber plötzlich gestorben, wie praktisch, denn man braucht ihn nicht mehr.  Ein Fürstenpaar, das früh abgegangen war, spielt am Ende noch eine Hauptrolle, indem die Fürstin auf ihre alten Tage die Leidenschaft für den Grafen entdeckt. Der hatte inzwischen Dolores Fehltritt erkannt und sich samt ihr durch deren nun langsam sich vertiefende Reue durchgearbeitet, nicht ohne zwischendurch einen Selbstmord per Gewehr ihr als Mord  in die Schuhe schieben zu wollen. Da hat er, wie das schiefgeht, doch auch was zu bereuen, wozu die beiden sich im Kloster wiederfinden. Abfahrt nach Sizilien zur frommen Klelia, wo sich zur Erleichterung aller zeigt, daß das Baby eindeutig doch vom Grafen ist. Trotzdem wird es anders behandelt als die restlichen elf (11!) und geht darum zur Befreiung von seiner dadurch geweckten Selbst-Entfremdung  ins Kloster. Am Ende also bringt die Fürstin, die auch nach Sizilien gekommen ist, Dolores mit dem Vorschlag zum Sterben am gebrochenen Herzen, daß sie für ihre Untreue nur büßen könne, wenn sie ihrem inzwischen sehr geliebten Mann entsagt. Dann aber entdeckt die Fürstin, daß sie am Ätna nicht mit jenem von ihr geliebten Grafen im Bett gelegen hat, sondern mit dem kleinen Primaner, der die Zimmer verwechselt hatte. Woraufhin Fürstin sich und Primaner vergiftet, was aber niemanden recht mitkriegt, weil zugleich die Gräfin allgemein beweint  dahinscheidet.

Uff. Und das habe ich fast 500 Seiten lang mitgemacht? Ja. Einfach deswegen, weil Arnim, der das alles so erzählt, als habe es in seiner eigenen Seele stattgefunden, ein so gewinnender, zutiefst anständiger, naiver, gutmütiger, großzügiger, zärtlicher, klarsichtiger, begabter Kerl ist. Man ist einfach gern mit ihm zusammen. Man folgt ihm sogar durch all den lyrischen Irrsinn, weil immer mal wieder eine Einsicht aufblitzt, eine kolossal eigentümliche „Traditions-affine“ Welt-Wahrnehmung, weil man sich fühlt wie in seinem, Studierzimmer beim Rotwein, wo man nicht aufhören mag, zuzuhören. Man bleibt also dran aus Sympathie.  Denn sowieso bin ich gut auf ihn zu sprechen, weil er selbst die Landwirtschaft so geliebt hat, daß seine Bettine sich in Berlin allein durchhelfen mußte.

Nitschke interpretiert diesen Roman als Reaktion auf Goethes Wahlverwandtschaften und sieht in beiden Romanen die Dissonanz zwischen physischer und seelischer Liebe (zu Dolores und Klelia) und zwischen Liebe und Freundschaft (Dolores und Fürstin) behandelt, bei Arnim aber deutlich moralischer bewertet. Verstimmend für mich aber diese schiefe Christlichkeit, die eine Buße letztlich nur als „Auge um Auge“ zuläßt: Unter einem tragischen Tod ist für Dolores trotz jahrelanger Reue  keine Erlösung zu haben. Nietsche hat recht: hier herrscht die Nemesis.

Empfehlen? Kann man sowas niemandem, der nicht in Corona-Rekonvaleszenz zu sonst nichts zu gebrauchen ist.

Info

Erscheinungsjahr1810
Seiten500
AutorArnim, Achim von

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Kommentar zu: Arnim, Achim von – Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810).

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