Am Anfang war das Fremdwort – Gedanken zur
„deutschsprachigen“ orthodoxen Mission

(von Hans-Peter Arnold)

Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich geworden, als wäre ich ohne Gesetz, damit ich die gewinne, die ohne Gesetz sind.
Paulus (1 Kor 9, 20)

29.08.2023      Das Thema mag gering erscheinen im Angesicht der großen Probleme dieser Zeit – aber am Herzen liegt es mir doch.

Wissen Sie, was ein Sprengstütz ist? Das können Sie auch nicht – es sei denn, Sie kommen aus einem ganz bestimmten Teil des Vogtlands, einer netten klitzekleinen Gegend in Südsachsen. Dort würden Sie unzweifelhaft als Fremdling erkannt, wenn Sie stattdessen nach einer Gießkanne verlangen.

Jugendliche entwickeln eine solche Sprache, zur pubertären Abgrenzung. Wer etwa ernsthaft, wie kürzlich geschehen, im Jahr 2023 yolo als potenzielles Jugendwort des Jahres auf eine Auswahlliste setzt, outet sich genauso unzweifelhaft als oldschool.

Gemeinsame Sprache erzeugt wohliges Gemeinschaftsgefühl. Die Abgrenzung schafft Stabilität und Halt – ein Bedürfnis gerade unter Diasporabedingungen. Mach das Maul auf, und ich sage dir, ob du einer von uns bist.

Auch wir bei DOM bemühen uns eifrig um Wahrheit durch Klarheit, und wir haben uns dazu schon ein beachtliches Arsenal an Signalworten zugelegt. Aber dient das auch unserem Missionsziel?

Selbstverständlich müssen wir nach innen ein gemeinsames Verständnis schaffen, vielleicht ist das im Augenblick sogar vorrangig gegenüber der Mission. Wer orthodox sein will, muss Priester sagen statt Pfarrer, Mysterium statt Sakrament, vielleicht auch Reue statt Buße, und gewiss Prokimen(on?) statt Psalmvers. Das weiß er doch, dass Prokimenon ein Psalmvers ist. Oder?

Aber: Wenn ein Vogtländer im Rheinland gärtnert, wird er im Baumarkt nicht nach einem Sprengstütz fragen. Man würde ihn ja doch nicht verstehen. Wenn ich zu meinem Sohn sagen würde: yolo!, dann könnte es leicht sein, dass er sich vor Lachen auf dem Boden kugelt (rofl).

Nur: Wir bei DOM schaffen es, missionarische Texte zu drucken, die nur so strotzen von S’chiarchimandriten, Tropar(i)en, Prosphoren, Philokalien, Skiten und noetischer Praxis.

Ein wenig Exotik mag ja stilistisch gerechtfertigt sein, Mysterium könnte verlockender klingen als Sakrament. In der Summe aber plädiere ich dafür, Menschen dort abzuholen, wo sie gerade sind. Wir glauben ja vielleicht nur, dass die uns verstehen. Ich behaupte: Ein S’chimönch in einer Skite ist für den Heterodoxen „irgendwas mit Wintersport und Alpen“.

Anderes Beispiel: „Daher ist die christologische Anthropologie teleologisch.“

Verstehen das unsere Adressaten wirklich? Der Satz steht in dem am häufigsten von der DOM-Website überhaupt aufgerufenen Text (über den Sex in der Orthodoxie, ja ja).

Luther hat dem Volk aufs Maul geschaut und allein im Jahr 1520 eine halbe Million Drucksachen auf den Markt geworfen – bei damals höchstens 1,3 Mio Lesekundigen in Deutschland. Da war er ab seiner eigenen „Erleuchtung“ ungefähr so lange aktiv, wie DOM es in diesem Jahr sein wird.

Ich weiß, wie verlockend das Wohlgefühl der eigenen Blase ist. Wie unangenehm einem Konvertierten die überwunden geglaubte Lexik sein kann, vermag ich zu vermuten. Und dennoch sage ich mit Paulus:

„Obwohl ich frei bin von allen, habe ich mich doch allen zum Knecht gemacht, um desto mehr Menschen zu gewinnen. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne; denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich geworden, als wäre ich unter dem Gesetz, damit ich die unter dem Gesetz gewinne; … den Schwachen bin ich wie ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne; ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette. Dies aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben“.

Wir haben einen inneren Missionsauftrag und auch einen äußeren. Und bei jedem Wortpfeil, den ich verschieße, muss ich das Ziel im Auge haben: Gottesgebärerin oder -­mutter, Prokimenon oder Psalmvers, Sprengstütz oder Gießkanne. Will ich orthodox sein oder etliche retten?


Außerhalb des Lagers (Hebr. 13,13)

Antwort auf Hans-Peters „Fremdwörter“

(Cornelia Hayes)

09.09.2023 Lieber Hans Peter, Du erinnerst an die Vielfalt von Sonder-Vokabularen: regional, beruflich, kulturell, die Außenseiter nicht verstehen und dadurch fernhalten. Und dass die Verwendung solcher Dialekte das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe stärkt. Stimmt.

„Auch wir bei DOM,“ fährst Du fort, „bemühen uns eifrig um Wahrheit durch Klarheit.“ Du beschreibst dann kritisch unsere Gruppen-internen Signalwörter und fragst, ob diese unserem Missionsziel entgegenkommen. Nun, wenn Deine Prämisse stimmt, dann leuchtet die Folgerung ein und ein für Außenstehende unverständliches Vokabular ist kontraproduktiv: Wie sollen wir wirksam einladen, wenn wir zugleich Barrieren errichten?

Doch stimmt die Prämisse? Als Orthodoxe wissen wir: Wahrheit ist kein Sachverhalt, über den es Klarheit zu gewinnen gälte, sondern die Person Christi, Der zugleich Weg und Leben ist. Diese Rede ist für Außenstehende nicht nur unklar, sondern sogar un-grammatisch. Was für uns Sinn hat, bleibt für den Außenstehenden Unsinn. Darum reden wir auch über „Klarheit“ nicht als etwas selbst Herausanalysiertes, sondern als das Geschenk göttlicher Erleuchtung, – zu dessen Erlangung natürlich unser mit-Tun erforderlich ist. Und das auch noch „kirchlich.“

Nichts davon ist unserer Christus-fernen Umwelt „vermittelbar.“ Sollen wir sie darum „abholen dort, wo sie (sprachlich) stehen,“ wie Du vorschlägst?

Ich habe 50 Jahre meines Lebens in einer Christengemeinschaft verbracht, die dieses Abholen praktizierte. Wir haben im Kindergottesdienst beim kindlichen Bedürfnis nach Spaß, Bewegung, Selbstausdruck angesetzt und in der Erwachsenenarbeit die gesellschaftlich drängenden Anliegen von „Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung“ behandelt. Hat’s was gebracht? Leere Tempel. Wer versucht, andere „dort abzuholen, wo sie stehen,“ muss sich zu ihnen hinein-bewegen, in ihr „Lager.“ Und läuft Gefahr, weder sie zum „Rauskommen“ bewegen zu können noch selbst den Rückweg zu finden. Denn wenn man erstmal „drin“ ist im Lager derer, die dort gut behütet festsitzen, verändert sich auch die Perspektive.

Nein, unser „missionarisches Bemühen“ kann sich nur auf jene richten, die selbst schon aufgestanden sind, weil sie die Enge dieser Gott-vergessenen Lagerwelt nicht mehr aushalten, die selbst schon den Ruf Gottes in ihren Herzen haben hören wollen, oder die durch Gottes Fürsorge für Seine taub-blinden Kinder sich herausgeworfen finden aus der unbefragten Zugehörigkeit zum Gewohnten. Denen gegenüber müssen wir Profil zeigen. Sie müssen sehen, dass das Andere, was sie halb-bewusst gesucht haben, wirklich ein Anderes ist, und nicht nur dieselbe Soße mit etwas mehr Mayonnaise.

Und selbst, wenn wir jene anrufen, die zufrieden drin sitzen, hilft uns jene Schocktherapie, die Brecht als Verfremdungseffekt in seinen Theaterstücken verwendet hat: Erwartungen werden enttäuscht, kleine sprachliche Hürden errichtet, die den Adressaten aus seinen eingefahrenen Denk- und Fühlmustern aufwecken und neugierig machen sollen. Genau das kann auch unser komisches Ortho-Sprech.

Luther, der dem Volk aufs Maul schaute, war in einer anderen Situation: Das Latein der Kirche hatte das Volk in geistlicher Unmündigkeit gehalten. Da war es richtig, dem Volk die Sprache des Evangeliums zu schenken – und die hat Luther in Vielem ganz neu geschaffen. Wir hingegen finden uns mit einem „Lager“ konfrontiert, indem man glaubt, mit Christus längst fertig zu sein, alles durchdiskutiert und -analysiert zu haben. Hier ist ein Weckruf nötig, der in die Knochen geht.

Du sorgst Dich, wir könnten uns über die Verständlichkeit unserer Texte für Außenstehende täuschen. Ich gestehe: in diese Versuchung bin ich nie gefallen. „Verstehen“ im Blick auf die Orthodoxie ist sowieso problematisch. Der Glaube ist ja kein Kopf-Ding, er ist ein Lebens-Ding, und das muss ein Leben lang eingeübt werden. Das nicht-Verstehen fängt nicht erst bei Skifahrenden Mönchen an, sondern schon bei der dauernden Rede von „Sünde.“ Wer von denen im Lager der säkularisierten Selbst-Affirmation kann denn mit solch vielbeschworener Sündigkeit IRGENDWAS anfangen? (Und wer von uns Orthodoxen kann mit seiner viel-bekannten Sündigkeit WIRKLICH ehrlich und reuevoll was anfangen?). Das braucht alles harte Arbeit. Eine sprachliche Barriere dient wie ein Warnzeichen: Leute, die Orthodoxie ist der Himmel auf Erden. Aber es bedeutet auch Kampf, jede Minute, um dem Geist der Weltlichkeit, der unser Herz in seine Strömung zieht, immer neu zu widerstehen.

Sicherlich hat sich Paulus (1 Kor 9, 20) „allen zum Knecht“ gemacht und wurde „den Juden ein Jude“ etc. Soll Paulus also als Vorbild einer sprachlichen „Normalisierung“ dienen? Der Heilige Johannes Chrysostomos sieht im „sich zum Knecht Machen“ keine Anpassung an die Ungläubigen, sondern einen Verzicht auf sein Recht auf den Lohn des Lehrers, ein über das Geforderte hinaus Leisten, aus Liebe zu Christus. Das „den Juden wie ein Jude Werden“ ist ihm kein rituelles Entgegenkommen, sondern eine „Herablassung.“ Was sagst du? Der Weltapostel, der bis an die Himmel ragt, und in dem eine solche Gnade strahlt, lässt sich auf einmal so tief herab! Freilich! Denn das heißt man: sich erheben. Denn du darfst nicht bloß darauf sehen, dass er sich herabließ, sondern auch wie er die Niedrigen aufrichtet und zu sich emporhebt.

Also, Hans Peter, sobald Du als Heiliger bis an den Himmel ragst, werde ich still dasitzen und ehren, was Du ablehnst und empfiehlst. Allerdings sehe ich die ganz großen Himmels-Rager eher neue Worte prägen oder umrüsten (Palamas: Energie, Justin von Celje: Theanthropos), mithin das orthodoxe Sprachspiel verstärken. Da können wir doch unserem (mindestens) Zimmerdecken-Rager Vater Justin auch seine „Umgeistereien“ fröhlich durchgehen lassen

Du endest mit der Alternative orthodox-Sein (=die Sprache der Orthodoxie Sprechen) oder etliche-Retten (=die Sprache der Heterodoxie Sprechen). Auch hier kann ich nicht mit: Orthodox Sein heißt – nicht nur, aber auch sprachlich – sich immer neu gegen den Druck des breiten und leichten Weges zum schmalen Bergpfad der leib-seelischen Askese entscheiden. Es heißt – nicht nur, aber auch durch unsere Wortwahl – auf unsere Heimat außerhalb des Lagers verweisen. Nur solche Entschiedenheit kann uns selbst und (hoffentlich auch) andere retten.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • meine Frage zu deinem Kommentar war,meinst du das die die christliche Anthropologie positiv oder negativ ist ?
    Ähnliche Wortstämme:
    das Wort :Anthropozentrisch, Anthropologismus bedeutet, dass der Mensch sich selbst als den Mittelpunkt der weltlichen Realität versteht …,
    ein orthodoxer Christ versteht sich – nicht- als den Mittelpunkt der Welt.

    dann gibt es da noch ein ähnliches Wort und doch ein ganz grosser Unterschied: Theanthropos,

    1. Liebe Eva-Maria,
      in meinem Text nehme ich Bezug auf den Artikel https://dom-hl-michael.de/sexualitaet-orthodoxe-grundsaetze/ , wo dieser Satz drinsteht, ungefähr in der Mitte, und wo ich mir ein verständlicheres Deutsch gewünscht hätte. Wer nicht studiert hat, muss erst einmal googeln. 😉
      Dort erschließt sich aus dem Textzusammenhang aber, dass der Mensch, der Anthropos, ein atemberaubendes positives Ziel hat („teleologisch ist“): Gott aus Gnade zu werden. Der hl. Ignatij Brjantschaninow definiert den Zweck des Menschen darin, „Gefäß des heiligen Geistes“ zu werden, d. h. Gott aufzunehmen – etwas, das der Alte Adam nicht kann, nur der Neue. Insofern kann der Mensch sein höchstes Ziel niemals in sich selbst realisieren, sondern muss aus seiner Ich-Bezogenheit heraustreten, ohne sich dabei in einem Nirwana aufzulösen oder seine erneuerte MEnschlichkeit bzw. Persönlichkeit abzulegen. Der Gottmensch Jesus Christus hat uns diese Perspektive eröffnet und gezeigt, dass Göttliches und Menschliches in einer Person zusammengehen können. Ich glaube, viel positiver geht es gar nicht 🙂

  • Anderes Beispiel: „Daher ist die christologische Anthropologie teleologisch.“- zielgerichtet
    ist die christl. Anthropologie positiv oder negativ

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