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Cornelia Hayes
Auszug:
Beim ersten Lesen weckt das Buch zunächst Begeisterung. Drehers Diagnose der Krankheit unserer Zeit und seine Beschreibung der erforderlichen Therapie leuchten ein. Ja, unsere westliche Kultur ist weitgehend ent-christlicht, und die verbleibenden Restebestände haben sich auf die Schrumpfstufe einer Wohlfühl-Religion herunter-säkularisiert. Und ja, hilfreich wäre sicherlich eine Belebung klösterlicher oder gemeindlicher Lebenswelten, die ihren Gottesdienst mit weitestgehender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Selbstversorgung verknüpfen, also durch die „Benedikt-Option.“ Ganz besonders wertvoll an diesem Buch ist die Radikalität seiner Forderung: In einer Welt des Wohlstands und der mehr oder minder vollständigen Absicherung gegen existentielle Risiken kann nur die entschiedene Umkehr, ein grundlegendes „Umgeisten,“ wie Vater Justin sagen würde, den drohenden Verlust christlicher Kultur im Westen verhindern. Bewundernswert ist auch die pastorale Energie, mit der Dreher seinen Weckruf an Illusions-verhaftete, der Bequemlichkeit anheimgefallene, unachtsame und sich selbst betrügende Gläubige richtet. So weit, so eindrucksvoll…
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Cornelias Text komplett
Beim ersten Lesen weckt das Buch zunächst Begeisterung. Drehers Diagnose der Krankheit unserer Zeit und seine Beschreibung der erforderlichen Therapie leuchten ein. Ja, unsere westliche Kultur ist weitgehend ent-christlicht, und die verbleibenden Restebestände haben sich auf die Schrumpfstufe einer Wohlfühl-Religion herunter-säkularisiert. Und ja, hilfreich wäre sicherlich eine Belebung klösterlicher oder gemeindlicher Lebenswelten, die ihren Gottesdienst mit weitestgehender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Selbstversorgung verknüpfen, also durch die „Benedikt-Option.“ Ganz besonders wertvoll an diesem Buch ist die Radikalität seiner Forderung: In einer Welt des Wohlstands und der mehr oder minder vollständigen Absicherung gegen existentielle Risiken kann nur die entschiedene Umkehr, ein grundlegendes „Umgeisten,“ wie Vater Justin sagen würde, den drohenden Verlust christlicher Kultur im Westen verhindern. Bewundernswert ist auch die pastorale Energie, mit der Dreher seinen Weckruf an Illusions-verhaftete, der Bequemlichkeit anheimgefallene, unachtsame und sich selbst betrügende Gläubige richtet.
So weit, so eindrucksvoll. Nun bekennt sich Dreher an einigen (wenigen) Stellen als Mitglied der Orthodoxen Kirche. Ein orthodoxer Leser wird daher gewisse römisch-katholische Einflüsse, die sich seiner geistlichen Herkunft verdanken, mit Bedauern zur Kenntnis nehmen. Hierbei geht es (in Anlehnung an MacIntyre (18/51) um eine Betonung der Rolle der menschlichen Vernunft als Basis der Unterscheidung (118/203 [1]), die sich mit der orthodoxen Betonung noetischen Wissens nicht gut verträgt, um den theologischen Rückgriff auf eine metaphysisch verfaßte Philosophie (146/246), die eher an Thomas von Aquin als an Johannes von Damaskus erinnert, und an kleine Schnitzer wie die Vorstellung einer „Teilhabe am Sein Gottes,“ (108/188 [2]) die mit der palamitischen Ausrichtung orthodoxer Spiritualität nicht recht zusammenstimmt. Glücklich jene Konvertiten aus anderen Christentümern, deren geistliche Väter ihnen einige Jahre lang Stillschweigen verordnen, und die solchen Ratschlägen Folge leisten (wozu auch die Autorin dieser Zeilen nicht sogleich bereit war, sehr zu ihrem heutigen Bedauern!).
Störend ist allerdings ein pelagianischer Grundton: Unsere orthodoxen Heiligen – und dies wird besonders deutlich bei Seraphim von Sarow – legen ihr Haupt-Augenmerk auf die persönliche Hinwendung zu Gott. Eine gesellschaftliche Breitenwirkung solcher Hinwendung wagen sie allerhöchstens, und mit deutlich reumütiger Zurückhaltung, vom Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlichem Mühen, um ihre zunächst und zuvörderst eigene Umkehr zu erhoffen. Bei Dreher wird zwar solcher Gnade durchaus gedacht, wenn er gegenüber einer bloßen Wohlfühlreligion (9ff/39ff) die Bedeutung von Reue, selbstloser Liebe, Reinheit des Herzens, und der Bereitschaft hervorhebt, das Kreuz des Leidens anzunehmen. Dennoch bleibt die menschliche Angewiesenheit auf das Handeln Gottes auf weite Strecken im Hintergrund.
So spricht er in der Einleitung von der Unfähigkeit der Kirchen, die Mächte des kulturellen Niedergangs zu bekämpfen (1/27f) und davon, daß das Überleben der Kirche im Westen „von uns“ abhänge (5/33). Es sind „wir“, die eine christliche Lebensform als Insel der Heiligkeit aufbauen wollen (54/116). Auch die Zusammenfassung seiner Überlegungen (S. 245, die, als ‚study guide‘ für sein amerikanisches Publikum gedacht war und in der deutschen Übersetzung fehlt) bestätigt diesen Ansatz: „Wenn die Kirche im nach-christlichen Westen überleben und wachsen soll, dann müssen örtliche Gruppen Glaubender sich die Benedikt-Option eigenständig erarbeiten („work out for themselves“), indem sie sich eng an gegebene Grundsätze halten, aber ihre Strategien an die örtlichen Bedingungen und ihre jeweils besonderen theologischen Traditionen anpassen.“ (Übers. CH). Zwar betont auch Dreher die Zentralität der Anbetung und des gottesdienstlichen Lebens (101/176), betont das kirchliche Dasein als allumfassend (3/31) und Gemeinschafts-bezogen (68, 70f/127ff). Am Ende identifiziert er gar seine „Benedikt-Option“ mit „Kirche“ (88/157, 142/241). Aber diese Kirche und die ihr entsprechende Lebensweise wird nirgends als zentral, nirgends als wesentlich eucharistisch verstanden.
Erklärlich wird diese Zurückhaltung an einer – im Blick auf sein orthodoxes Bekenntnis – überraschend ökumenistischen Ausrichtung des Buchs. (18/52, 136f/231f, auf 162/271 gibt es sogar einen „gesunden“ Ökumenismus). Zwar fordert Dreher eine Rückbesinnung auf die geistlichen Schätze der allen Christen gemeinsamen Tradition (im Vorwort des Verfassers XVII, das in der deutschen Ausgabe fehlt, siehe auch 103f/179f, 108/187f). Dennoch wird diese Tradition, ebenso wie der Begriff der „Kirche,“ zugleich in einer Weise plural verwendet (102ff/177f, 108/187f, 112/194, 121/208f), die der orthodoxen Tradition nicht entspricht. Eine Erklärung für diese Inkongruenz mag darin liegen, daß der Autor, hier noch ganz verhaftet in seinen westlichen Wurzeln, seine geistliche Zielsetzung mit einer politischen verknüpft (84ff/149ff, 94/167): Er möchte – mit MacIntyre – den Kulturwandel. Er greift dazu auf einen Begriff „kreativer Minderheiten“ zurück, den der damalige Kardinal Josef Ratzinger von John Toynbee übernommen hatte.[3] Solche Minderheiten sollen über religiöse und Lebens-stil-bedingte Grenzen hinweg strategische „Allianzen“ zur Sicherung der Religionsfreiheit bilden, wobei auch bekennende Homosexuelle willkommen sind (87/156), die auch für die Redefreiheit (der ihre Handlungen verurteilenden) Gläubigen kämpfen. Andererseits liegt Dreher aber auch – gegen alle Kompromisse (88/157) – die Integrität des moralischen Zeugnisses seiner kreativen Minderheiten am Herzen, die eine auch nur strategische Zusammenarbeit mit letzteren Milieus eigentlich ausschließen sollte.
Nun ist unzweifelhaft, daß orthodoxen Christen die Bewahrung (bzw. wieder-Erlangung) einer christlichen Kultur ein wichtiges Anliegen ist. Und natürlich dürfen orthodoxe Christen von ihren seit Jahrhunderten getrennten Brüdern in Christo überall dort lernen und (1. Thess. 5:21) das bei jenen als „gut“ Überprüfte „behalten,“ wo eigene Sündhaftigkeit, Gleichgültigkeit und Vergesslichkeit die Bewahrung ihrer Tradition gefährdet oder gar kompromittiert hat. So ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn Dreher die Glaubenstreue von Mormonen (135/229f) und orthodoxen Juden seinen christlichen Brüdern als Vorbild nahelegt. Dennoch bleibt für orthodoxe Christen das Interesse an christlicher Kultur stets sekundär gegenüber ihrer Zugehörigkeit zur Kirche, die sie als die eine heilige katholische und apostolische bekennen. Orthodoxe Christen denken, fühlen und handeln stets primär kirchlich. Von den Anfängen christlicher Lebensweisen an haben sich die Apostel und ihre Nachfolger nicht mit einer nur irgendwie Christus-bezogenen, im Sinne von nicht-heidnischen, Identität zufriedengegeben. Sie haben über Jahrhunderte hinweg die jeweils vorherrschenden arianischen oder ikonoklastischen Strömungen in ihrer christlichen Kultur bekämpft, und diesen Kampf mit der Bereitschaft zum Martyrium bezeugt. Sie haben stets die Umkehr der Verirrten und ihre Rückkehr zur ungeteilten Kirche gefordert.
Obwohl Dreher ständig den Begriff „Kirche“ verwendet und zuweilen auch die Bedeutung der Liturgie und des Gebets (57ff/112 ff) betont, gebraucht er „Kirche“ hauptsächlich für die Gemeinschaft der durch ein asketisches und nächstenliebendes Leben verbundenen Gläubigen. Obwohl das Anliegen der Mission gegenüber den Nicht-Christen bejaht wird (164/274), fehlt jener missionarische Geist, dem die Einheit der Eucharistie all derer, die sich auf Christus berufen, ein zentrales Anliegen wäre. Obwohl er die Notwendigkeit sowohl einer geistlichen als auch einer moralischen Disziplin betont (116/200), scheint ihm „allgemeine Christlichkeit“ wichtiger zu sein als deren Orthodoxie, als Einbettung in die rechte Verherrlichung Gottes. Es ist schwer, bei ihm über die benediktinischen Grund-Prinzipien (des Gebets, der Arbeit, der örtlichen Stabilität, der Nächstenliebe) Anzeichen für ein Interesse an solch rechter Verherrlichung in Anbetung, theologischer Lehre und Lebenspraxis zu entdecken. Man hat den Eindruck, daß er, ganz im Geist gegenwärtiger ökumenistischer Dialoge, die Frage nach „dogmatischen und liturgischen Problemen“ zwischen den „Konfessionen“ in den Hintergrund drängt. Die „Kommunion mit Gott“, die er einen seiner Benediktinermönche als oberstes Ziel beschreiben läßt (237/386), bleibt darum unbestimmt. Über eine Betonung von Sakramentalität (24/60f, wenn auch nur für „viele“ Christen, d.h. nicht für alle, 238/388), Autorität des Bindens und Lösens (31f/71f, 44/92f) und die Favorisierung hochkirchlicher Ritenpflege (112/194) gehen seine Ausführungen hier nicht hinaus. All dies ist angesichts eines primär gesellschaftlichen und politischen Krisenbewußtseins durchaus verständlich. Nur ist ein solcher Primat nicht orthodox.
Könnte man nun aber sein Argument für eine stärker an den Anfängen der Kirche (als Arche, als gegründet im Heiligen Geist, 238/387f) orientierte Christlichkeit als eine Einladung an die nicht-orthodoxen Christen verstehen, durch solche Rückkehr sich den Weg zur Orthodoxie zu erschließen? Eine solche Absicht ist schwer vereinbar mit dem Schlüsselzitat auf S. 239/388f, wo eine römisch-katholische Lebensgemeinschaft als Modell seiner Benedikt-Option vorgestellt wird, deren Nachahmung er allen Konfessionen zutraut und empfiehlt (245, im study guide, der in der deutschen Übersetzung fehlt: „Meine Hoffnung ist, ob du nun ein Kleinstadt-Südstaaten Baptist bist, ein städtischer Katholik oder irgendjemand dazwischen, daß due Benedikt-Option Lesegruppen ins Leben rufst, die entschlossene Diskussionen über konkrete ortsgebundene Aktionen ermöglichen.“ – Übers. CH).
Es erscheint darum sinnvoll, nach den Quellen der Benedikt-Option Drehers zu suchen. Seine Einleitung verweist auf jene kleinen Gruppen entschiedener Gläubiger, die der spätere Papist Benedikt XVI als Kardinal bereits in den Blick nahm. Dies geschah in einem Austausch mit Marcello Pera, dem Präsidenten des italienischen Senats (Siehe oben, Anmerkung 3). Pera hatte angesichts der Unfähigkeit der Mitglieder der Europäischen Union, sich auf eine Präambel zur Verfassung Europas zu einigen, die Notwendigkeit einer Besinnung auf Europas christliche Traditionen und auf eine für Christen wie Atheisten (wie ihn selbst) akzeptable (allerdings dabei notwendigerweise Konfessions-übergreifende) Zivilreligion gefordert. Der damalige Kardinal Ratzinger hatte im Rahmen einer historischen Unterscheidung der Wege Nordamerikas und Europas auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, eine solche Zivilreligion nicht im Sinne eines – unvermeidbar immer inhaltsleerer werdenden – moralischen Konsenses der Bevölkerungsmehrheit zu verstehen. Vielmehr sollten sowohl inhaltlicher Reichtum als auch begeisternde Attraktivität einer solchen Zivilreligion durch das ansteckende Zeugnis schöpferischer christlicher Minderheiten-Milieus gesichert werden. Peras Forderung nach Supra-Konfessionalität unterstützte Papst Benedikt, nahm sie aber zum Teil wieder dadurch zurück, daß er das christliche Leben jener Minderheiten an deren Beziehung zur Kirche, und das heißt für ihn, der römisch-katholischen Kirche, bindet (Without Roots, S. 120 ff/129ff). Aber auch diese Rücknahme wird dadurch relativiert, daß diese Kirche in eine ‚sichtbare ‘ und eine erweiterte unsichtbare unterteilt wird, wobei letztere auch die als ‚Suchende‘ anerkannten nicht-Gläubigen (die „anonymen Christen“) umfaßt.
Indem Dreher ein römisch-katholisches Modell für jene Gemeinschaften bejaht, von denen er sich eine Wiederbelebung der christlichen Kultur des Westens erhofft, macht er es dem Leser schwer, jenen Unterschied zu erkennen, den sein Übertritt zur Orthodoxie für sein Bekenntnis bedeutet haben könnte. Vielmehr scheint sich sein Verständnis der Orthodoxie an dem zu orientieren, was von römisch-katholischer Seite unter dem Begriff der „Schwesterkirchen“ oder „Lungenflügelzweiheit“ seit einiger Zeit mit Hoffnungen auf eine auch eucharistische Vereinigung vertreten wird.
Orthodoxe Christen, die sich ihrer Tradition bewußt sind, wissen, daß das Schicksal der Kirche im Westen (wie auf der ganzen Welt) von einer göttlichen Gnade abhängt, die für die hierbei vorgesehene menschliche Mitarbeit den Weg eines spezifisch, d.h. dogmatisch, liturgisch, diakonisch und asketisch umschriebenen kirchlichen Lebens weist. Orthodoxe Christen würden es nicht wagen, im Bemühen, einer solchen Gnade teilhaftig zu werden, die ihnen geschenkte Tradition dadurch zu relativieren, daß sie deren bindende Geltung relativieren. Für orthodoxe Christen ist der Weg der Rettung der Welt nicht ein „allgemein christlich kultischer.“ Dieser Weg ist vielmehr eucharistisch im Sinne von „an die eine heilige katholische und apostolische Kirche“ unseres Bekenntnisses gebunden. Orthodoxe Christen müssen darum ein Buch wie Drehers Benedikt Option trotz seiner guten Absichten als zutiefst irreführend erkennen.
[1] Ich notiere immer zuerst die Seiten der englischen, dann die der deutschen Ausgabe.
[2] Die deutsche Übersetzung verwendet statt des problematischen „being“ das harmlosere „Realität.“
[3] Zu dieser Übernahme bekennt sich der damalige Kardinal im Original seiner Rede, die er in Subiaco wenige Tage vor seiner Wahl zum Papst gehalten hatte, und die unter dem Titel ‚The Spiritual Roots of Europe‘ zwei Jahre später auf Englisch erschien (J. Ratzinger, now Pope Benedict XVI & M.Pera, 2006. Without Roots, New York: Basic Books). Dem deutschen Übersetzer dieses Austauschs mit Marcello Pera (2005. Ohne Wurzeln, Augsburg, ST. Ulrich Verlag) wurde stattdessen vom Autor ein stark verändertes deutsches Manuskript unter dem Titel ‚Europa in der Krise der Kulturen‘ zur Verfügung gestellt, in dem die Bezugnahme auf Toynbee fehlt, obwohl Pera in seiner Antwort eine solche voraussetzt.
Eine Diskussion
Ein Einwand
Hans-Peter Arnold
Liebe Cornelia, ich habe dieses Buch auf Empfehlung von Vr. Alexej Veselov letztes Jahr gelesen. Im Prinzip, wenn man das ganze amerikanische Drumherum weglässt, geht es ihm ja um die Frage, wie sich Christen künftig gesellschaftlich organisieren sollen.
Dass er als Amerikaner die Hoffnung dabei nicht auf die Menschenfürsten setzt, halte ich für einen klaren Schritt in die richtige Richtung. Da haben die traditionell orthodoxen Kulturen wohl noch zu viele Illusionen. Das Dreher‘sche Gegenkonzept – die Glaubensgemeinde, die alles gemeinsam – naja, nicht hat, aber – macht, in einer Art Öko-Sekte, ist zwar nicht originär orthodox, aber es ist wenigstens ein Konzept. Es setzt zumindest am richtigen Ende an, was Deine Rezension nicht tut.
Du schreibst: Dennoch bleibt für orthodoxe Christen das Interesse an christlicher Kultur stets sekundär gegenüber dem Interesse an ihrer Kirche, die sie als die eine heilige katholische und apostolische bekennen.
Damit hast du den klassischen Grund für den Niedergang unseres Christentums diagnostiziert. Noch ein, zwei Generationen hin, und es ist keinerlei christliche Kultur mehr übrig, die sich irgendwie von der heiligen, apostolischen usf. Kirche befruchten ließe. Welche Traditionen? Was ist denn noch übrig von den tief im Alltag verwurzelten religiösen Bindungen, wie sie z.B. Iwan Schmeljow in „Wanja im heiligen Moskau“ (russ.: „Leto Gospodne“) beschreibt? Seit hundert Jahren ignoriert unsere Kirche standhaft das Wegbrechen ihrer irdischen Grundlage – der Alltag kommt zunehmend ohne Kultbezug aus. Ohne ihre kulturelle Basis ist die Orthodoxie schon lange keine Volksreligion mehr. Soll unsere Religion nur noch für ein paar Berufene gut sein? Aus deren Sicht ist deine Rezension 100% ok. Damit holst du aber keinen amerikanischen Jugendlichen mehr hinter dem Smartphone hervor, und ich meinen Sohn auch nicht.
Die Idee, dass man eine Graswurzelkultur schaffen kann (muss!), auf deren Acker sich irgendwann wieder das Säen lohnt, scheint es mir persönlich wert, nicht ob ihres zweifelsfrei vorhandenen differentialtheologischen Geschmäckles direkt in Grund und Boden zerrissen zu werden. Das Gefühl, dass in einer mitteleuropäischen Stadt Orthodoxie nicht „gelebt“ werden kann, habe ich doch nicht alleine, oder? In einem freiheitlich-demokratischen Klein-Kibbuz könnten zarte Pflänzlein einer erdverbundenen orthodoxen Lebenskultur dagegen evtl. wachsen.
Der Embryo einer Katze und der eines Kindes unterscheiden sich in einem gewissen Entwicklungsstadium fast nicht voneinander. Wenn die Entwicklung voranschreitet, tritt der Unterschied deutlich hervor. Genauso können auch ein katholischer und ein orthodoxer Bauer fast ohne Unterschied sein, weil sie ja nur Embryonen eines echten, entwickelten Orthodoxen beziehungsweise Katholiken sind. An diesen höheren Punkten der Entwicklung oder zumindest bei hinreichender Höhe des Aufstiegs werden die tiefen Unterschiede der Seelenstruktur der einen und anderen Weise geistlichen Lebens deutlich hervortreten.
Dieser letzte Absatz ist nicht von mir, sondern von P. Florenskij (Filosofija kul’ta, Moskau 2004, S. 318). Was wir brauchen, sind viele Embryonen. Sonst werden irgendwann auch die Mönche alle. Die werden aber gebraucht, um die embryonalen Ökochristen auf ihren Inseln des Glücks vor der Esoterisierung zu retten.
Eine Erwiderung
Cornelia Hayes
Lieber Hans-Peter! Hab Dank für Deine wichtigen Einwände! Aber ich „wende“ mich mit Vergnügen dagegen.
Ich halte die Frage, wie sich Christen künftig gesellschaftlich organisieren sollen, nicht für eine primär christliche Frage. Die entscheidenden Wendungen in der gesellschaftlichen Organisiertheit der Christen geschahen nicht aufgrund eigener Organisations-Entscheidungen. Dass Konstantin plötzlich ein Zeichen am Himmel sah und das römische Imperium verchristlichte lag sicherlich auch an den Konversionsbemühungen seiner christlichen Umgebung. Aber dass aus deren arianischer Begleitung des Kaisers am Ende ein orthodoxes Reich wurde, kann ich nur als Wunder ansehen. Dass der Kirche eine unehrliche Vereinigung mit einem nicht mehr orthodoxen Rom erspart blieb, die allergrößte Konsequenzen für die gesellschaftliche Organisation der Christen gehabt hätte, lag wesentlich am entschlossenen Nein eines einzigen Heiligen, nämlich Marks von Ephesus. Dass die Kirche unter türkische bzw. kommunistische Herrschaft geriet war ein Graus, der sehr viel mit mangelnder Glaubenstreue der damaligen Christen zu tun hatte und damit, dass es Gott gefiel, Seine Kirche durch das Blut ihrer Martyrer zu retten. Dass diese Verfolgungs-Strukturen ihrerseits zusammenbrachen hat sicher auch weniger mit organisatorischen Überlegungen als mit jener göttlichen Gnade zu tun, die wir hinter den „Zeitumständen“ zu erkennen glauben.
Natürlich müssen wir jetzt zusehen, wie wir mit Demokratie, Liberalismus und Entchristlichung zurechtkommen. Hier stimme ich in großen Zügen Wolfgangs Darstellung zu. Aber ich meine, dass alle Überlegungen hierzu auf der Grundlage der Integrität unseres kirchlichen Lebens angestellt werden sollten. Wir müssen mit Gott als dem Haupt-Akteur der Geschichte rechnen und uns an die von Ihm gewiesenen Wege einer Vor-Abbildung des Königreichs Gottes auf Erden halten.
Tatsächlich ist die Zeit orthodoxer Volks- oder Nationalreligionen zumindest im Westen vorbei. Du fragst: Soll unsere Religion nur noch für Berufene gut sein?
Ich finde den Begriff der Religion problematisch, aber da sind wir uns sicher einig. Allerdings glaube ich mit dem Heiligen Theophan dem Klausner, dass jeder Christ, egal wie kulturell eingebettet er aufgewachsen ist, an einem bestimmten Moment seines Lebens sich vom Angebot des Heiligen Geistes ergreifen lassen und Ihm in persönlicher Hinwendung zustimmen muss. Und ich glaube, dass Gott selbst Seine Menschen zur Mitarbeit einlädt und aus unseren schwachen Versuchen Großes machen kann.
Ich kann Deine Sorge über das eigene Kind am Smartphone sehr gut nachvollziehen. Wir Eltern und Großeltern sorgen uns um die Kinder. Ich persönlich reiße mich aber in Momenten des „klar bei Hirn“ diesbezüglich am Riemen: Meine erste Sorge sollte meiner eigenen geistlichen Orientierung gelten, der Qualität meines Gebets- und Gottesdienst-Lebens. Wir können, außer bei den ganz kleinen Kindern, deren Gewohnheiten wir prägen, wenig nach außen hin bewirken. Wir können aber mit der Hilfe Gottes und unterstützt durch unsere Väter (und besonders durch unsere klösterlichen Väter) an uns selbst arbeiten.
Natürlich leidet auch mein eigenes Glaubensleben darunter, dass ich nicht viel intensiver in meiner Gemeinde mit-leben kann. Es gibt äußere Bedingungen, die uns begrenzen. Darum versuche ich, zumindest in übergemeindlichen Netzwerken an der Herausbildung (wie immer fragiler) orthodoxer Gemeinschaften mitzuwirken. Aber auch hierbei würde ich nicht wagen, über das hinauszugehen, was meine Kirche lebt und lehrt.
Du zitierst Florenskij mit:
Der Embryo einer Katze und der eines Kindes unterscheiden sich in einem gewissen Entwicklungsstadium fast nicht voneinander.
Mir ist trotz des von Dir beigefügten Kontexts dieser Vergleich zweier Embryonen unbehaglich. Als Bioethiker habe ich zu viel mit solchen Argumenten in anderen, sehr unguten Zusammenhängen zu tun. Darum bleibt mir immer gegenwärtig, dass schon im Moment der Befruchtung ein menschlicher Embryo bereits ein zur Vergöttlichung berufener Himmelsbürger ist. Auch das kirchliche Leben der Schwangeren, wie wiederum der heilige Theophan betont, übt eine große Wirkung auf das wachsende Kindchen aus. Es ist gerade nicht gleichgültig, ob und wie dieses Leben von Anfang an kirchlich gestaltet wird.
Vielleicht können wir uns so einigen: Dein Blick ruht mehr auf dem Wegbrechen aller Christlichkeit in unserer Kultur, und mein Blick ruht mehr auf der Entleerung dessen, was hier im Westen an christlicher Kultur überlebt hat. Es ist die Sorge über diese Entleerung, die mich so pingelig im Blick auf den rechten Glauben, die Eucharistie der einen wahren Kirche, und die Treue gegenüber diesem uns von Christus geschenkten Heilsweg macht.
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