Trotz der Berufung der Kirche zu Eintracht und Einheit, und damit zum Frieden, müssen – sagt Paulus – Konflikte und Drangsale sein, damit die Bewährten sichtbar werden:
1. Kor 11,18-19
18 Zunächst höre ich, dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt; zum Teil glaube ich das auch.
19 Denn es muss Parteiungen geben unter euch, damit die Bewährten unter euch offenkundig werden.
Solche Drangsale erinnern an den Gegensatz zwischen Christus als dem Haupt der Kirche und dem weiterhin mächtigen „Fürsten“ der gefallenen Welt.
Dieser Gegensatz, wie immer er die Berufung der Kirche zur wahrhaft Christus-gegründeten Einheit und Eintracht behindert, sichert dennoch genau jenen Freiraum, den die Entfaltung menschlicher Gegenliebe braucht. Weshalb ja auch schon im Paradies die Schlange frei rumlaufen durfte.
Diese Entfaltung geschieht durch Kämpfe, und zwar
(a) weil die der Kirche feindliche Weltverhaftetheit auch nach der Taufe weiterhin in unseren Gliedern wirkt
(b) weil jene feindliche Welt zugleich der Einladung in die Liebe Gottes zugänglich gemacht, und somit verkirchlicht werden soll
a) Die innere Welt-Verhaftetheit der Kirchen-Glieder
Die in den Gliedern der Kirche fortlebende Weltlichkeit ist die Ursache für Auseinandersetzungen, die den zur Vereinigung mit Christus berufenen Innenbereich der Kirche
1) mit (asketisch bemühtem) Leben erfüllen, = gut
2) (als un-bekämpfte) beschädigen, = schlecht
3) aber auch durch offenen Widerstand schützen. = gut
Überall also Kampf, Streit, Auseinandersetzung.
1) Der Kampf gegen die Sünde in jedem Glied der Kirche
Jedes ihrer Glieder verteidigt ja sein eigenes kirchliches Leben gegen den – je nach geistlichem Fortschritt – mehr oder weniger tiefgreifenden Widerstand in ihm selbst. Er gerät also in innere Konflikte, die seine mangelnde Verbindung zu Christus deutlich machen. Solche Konflikte können ihn auch aus der Eintracht mit seinen Brüdern (in Gemeinde und Familie) herauswerfen. Solch innere und äußere Zwietracht widerspricht der Berufung der Kirche zur Einheit nicht.
2) Die Herrschaft der Sünde in den Gliedern der Kirche
Beschädigt wird die Berufung der Kirche durch solche innere und äußere Zwietracht nur dann, wenn nicht dagegen angekämpft wird. Dann weichen die Glieder der Kirche vom Pfad der Liebe, des geduldigen Ertragens, und der Eintracht mit den Brüdern ab.
Jak 4,1 (vgl. 1 Kor 3,3)
Woher kommen Kriege und woher Streitigkeiten unter euch? Nicht daher, aus euren Lüsten, die in euren Gliedern streiten?
Auch die hochgeistigen Häretiker tragen ja in das „Paradies der Kirche“ nur eine Neuauflage der Ur-Versuchung im ersten Paradies, in stolzer Selbstermächtigung vom verbotenen Baum der Erkenntnis zu essen:
Irenäus Gegen die Häresien Buch V XX 2
Die sich also von der Lehre der Kirche abwenden, zeihen die heiligen Presbyter der Unwissenheit, indem sie nicht erwägen, wie viel mehr fromme Einfalt wert ist, denn gott- und schamlose Sophisterei. Das gilt aber allen Häretikern, die da glauben, daß sie etwas mehr als die Wahrheit gefunden haben, wenn sie den genannten Lehren folgen, und indem sie auf verschiedene, mannigfaltige und törichte Weise ihren Weg gehen und über dasselbe nicht immer dieselben Anschauungen haben, werden sie wie Blinde von Blinden geführt. So fallen sie gerechter Weise in die verborgene Grube der Unwissenheit, da sie „immer suchen und niemals die Wahrheit finden“ . Daher muß man vor ihren Lehren fliehen, und sorgfältigst müssen wir achtgeben, daß wir nicht irgendwo von ihnen Schaden nehmen; zu der Kirche aber muß man seine Zuflucht nehmen, in ihrem Schoß sich erziehen und von den Schriften des Herrn sich ernähren lassen. Ist doch die Kirche gepflanzt als das Paradies in dieser Welt. „Von jedem Baume des Paradieses darfst du Speise essen“, sagt der Geist Gottes , d. h. von jeglicher Schrift des Herrn — doch mit stolzem Sinne sollt ihr nicht essen, noch den gesamten häretischen Zwiespalt berühren. Rühmen sie sich doch selber, die Kenntnis des Guten und Bösen zu besitzen, und über Gott, ihren Schöpfer, erheben sie sich in ihren gottlosen Herzen. Über das Maß der Erkenntnis hinaus wollen sie erkennen. Deshalb mahnt auch der Apostel, „nicht höher zu sinnen, als man sinnen soll, sondern zu sinnen gemäß der Klugheit“ , damit wir nicht von ihrer Erkenntnis, die das gebührende Maß übersteigt, essen und aus dem Paradiese des Lebens verstoßen werden. Die aber seiner Weisung gehorchen, führt der Herr dort hinein, „indem er alles in sich zusammenfaßt, was im Himmel und was auf Erden ist“ . Das „im Himmel“ bedeutet das Geistige, das „auf Erden“ bedeutet die Heilsordnung in Betreff des Menschen. Dies also faßte er in sich zusammen, indem er den Menschen mit dem Geiste vereinte und den Geist in den Menschen einpflanzte, selbst das Haupt des Geistes wurde und den Geist das Haupt des Menschen sein ließ, denn durch ihn haben wir gesehen und gehört, und durch ihn sprechen wir.
3) Der Auftrag, die Kirche vor schlechter Entzweiung zu schützen
Jedes Glied der Kirche ist aufgerufen, auch bei den Brüdern Nachlässigkeit, Übertretung oder Verfälschungen der Wahrheit zu bekämpfen und hierfür die Last Glaubens-treuer Konfliktbereitschaft auf sich zu nehmen. Sie folgen dabei dem Vorbild der Apostel, die bei der Scheidung menschlicher (entbehrlicher oder schädlicher) von göttlichen Traditionen den klärenden Streit nicht scheuten.
Im Umgang mit Sündern heißt dies:
Gal 6,1f
Brüder! Wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringet ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geiste der Sanftmut, indem du auf dich selbst siehst, daß nicht auch du versucht werdest.
Einer trage des anderen Lasten, und also erfüllet das Gesetz des Christus.
(Und natürlich denken wir dabei an den Balken im eigenen Auge.)
Mt 18,15 (vgl. auch 1. Kor 5,9-13)
Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.
vgl.:
9 Ich habe euch in meinem Brief geschrieben, dass ihr nichts mit Unzüchtigen zu schaffen haben sollt.
10 Gemeint waren damit nicht alle Unzüchtigen dieser Welt oder alle Habgierigen und Räuber und Götzendiener; sonst müsstet ihr ja aus der Welt auswandern.
11 Nun aber habe ich euch geschrieben: Habt nichts zu schaffen mit einem, der sich Bruder nennt und dennoch Unzucht treibt, habgierig ist, Götzen verehrt, lästert, trinkt oder raubt; mit einem solchen Menschen sollt ihr auch keine Tischgemeinschaft haben.
12 Was geht es mich denn an, die Außenstehenden zu richten? Habt ihr nicht die zu richten, die zu euch gehören?
13 Die Außenstehenden wird Gott richten. Schafft den Übeltäter weg aus eurer Mitte!
Wenn einer sündigt gegen Dich, sag es ihm privat, wenn er nicht hört, nimm zwei andere mit, wenn er nicht hört, sag es der Kirche, wenn er dann nicht hört, meide ihn
Röm 16,17
Ich ermahne euch aber, Brüder und Schwestern, auf die Acht zu geben, die im Widerspruch zu der Lehre, die ihr gelernt habt, Spaltung und Verwirrung verursachen: Haltet euch von ihnen fern!
Meidet Häretiker!
Reuige Sünder muß ein Bischof annehmen, denn auch Gott ist barmherzig:
Ap.Konst. II-XIV
Daher mußt du den Büßer aufnehmen.
Aber die Gutmütigkeit hat Grenzen:
Ap.Konst. II-XLIII
Den Verläumder sollst du aus der Kirche ausschließen wie einen Brudermörder. Dann nach Umfluß einer Zeit, wenn er Buße zu thun verspricht, leg‘ ihm Fasten auf und darnach nimm ihn unter Handauflegung wieder auf, gib ihm aber mit belehrenden Worten den strengsten Auftrag, daß er Niemanden mehr beunruhige. Wenn er aber nach seiner Wiederaufnahme gleichfalls aufwiegelt und nicht nachläßt, Verwirrung anzustiften und den Bruder zu schelten, und aus Streitsucht Anderen Fehler andichtet, so stoß‘ ihn aus als einen Verderblichen, damit er die Kirche Gottes nicht schädige.
b) Die Außen-Welt als Missions-Aufgabe
Die Feindschaft der Welt gegen die Kirche kennt viele Motive.
Zentraler Stein des Anstoßes ist die kirchliche Berufung zur Vereinigung aller Menschen mit Gott.
Die Kirche darf sich nicht mit den Freiräumen begnügen, die Staat und Gesellschaft ihr als Nischen zugestehen. Sie darf sich nicht bloß mit religiöser und kultureller Andersheit begnügen,
die z.B. den Juden im alten Rom eingeräumt wurde. Ihnen wurde die Pflicht zum Caesarenopfer erspart, weil sie sich als ethnische Sonderreligion verstanden, die für den universalen Herrschaftsanspruch der Kaiser keine Konkurrenz bedeutete.
Selbst tolerante und liberale Mitmenschen – auch unter den „aufgeklärten“ Christendes Westens – sind der Kirche feindlich gesinnt, weil sie für ihre Verkündigung
1) unbedingte, universale Wahrheit beansprucht
2) ausschließlich gültige Wahrheit beansprucht
3) und den Zugang zur Fülle dieser Wahrheit an Bedingungen knüpft.
1) Unbedingte, universale Wahrheit
Anders als die im Westen anerkannten universalen Menschenrechtserklärungen oder Vorstellungen über ein Welt-Ethos ist die Wahrheit der Kirche konkret und partikular. In ihrem universellen Heilsversprechen:
Joh 14,6
Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.
… steckt als „Genom“ die Besonderheit göttlicher Auserwählung eines ganz bestimmten Volks und ganz bestimmter historischer Bedingungen für die Menschwerdung Gottes und die Gestalt Seiner Kirche. Damit läßt sich diese Wahrheit nicht als allgemein Konsens-fähig behaupten wie jene abstrakt formulierten moralischen Normen, die jeder anders verstehen kann. Damit kratzt die Kirche am Götzenbild einer für Gläubige wie Ungläubige gleich verpflichtend gesetzten moralischen Vernünftigkeit.
2) Ausschließlich gültige Wahrheit
Der Anspruch auf ausschließliche Gültigkeit der kirchlich verkündeten Wahrheit verletzt, was vom weltlichen Standpunkt als „Friede“ durch gegenseitiges Geltenlassen gilt.
Irenäus Gegen die Häresien Buch III-IV 1
Sie [die Kirche] ist der Eingang zum Leben; alle übrigen sind „Räuber und Diebe“ .
Wer die Kirche nicht zur Mutter hat, kann Gott nicht als Vater haben:
Cyprian Über die Einheit der katholischen Kirche VI
VI … wer die Kirche Christi verläßt, wird nicht zu den Belohnungen Christi gelangen. Er ist ein Fremder, er ist ein Unheilige, er ist ein Feind. Gott kann der nicht mehr zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat. Wenn irgendeiner zu entrinnen vermochte, der außerhalb der Arche Noes war, nur dann mag auch einer entkommen, der draußen, außerhalb der Kirche steht . Der Herr mahnt und sagt: „Wer nicht mit mir ist, ist wider nicht, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“ . Wer den Frieden und die Eintracht Christi bricht, der handelt wider Christus; wer anderwärts, außerhalb der Kirche sammelt, der zerstreut die Kirche Christi.
3) Zugangsbedingungen zur Wahrheit
Ihre strengen Aufnahme- und Teilnahmebedingungen verstoßen zudem gegen das säkulare Ethos unbegrenzter Anerkennung und Inklusion, das zur Erhaltung dieses menschlichen Friedens als unverzichtbar gilt. (Sie ist nicht „offen“ für Häretiker).
Hermas I-III-VI 2ff
. 2. … andere in großer Zahl…, die nicht in den Bau kamen;… sind die mit Flecken Behafteten; sie haben die Wahrheit zwar erkannt, aber sie blieben nicht bei ihr und schlossen sich den Heiligen nicht an; deshalb sind sie unbrauchbar.“
3. „… die mit den Rissen… bedeuten Leute, die im Herzen etwas gegeneinander haben und miteinander nicht im Frieden leben, vielmehr sich den Anschein des Friedens geben; sobald sie aber auseinander gegangen sind, leben ihre Sünden fort in ihren Herzen; das sind die Risse, welche die Steine haben.
4. Die Verstümmelten sodann sind diejenigen, welche zwar gläubig sind und der Hauptsache nach in Gerechtigkeit leben, aber doch einigen Anteil an der Sünde haben; deshalb sind sie verstümmelt und nicht ganz.“
5. … mit den weißen, rundlichen Steinen, die nicht in das Bauwerk passen, … sind solche, die zwar den Glauben haben, zugleich aber auch den Reichtum dieser Welt; wenn die Trübsal kommt, dann verleugnen sie ihren Herrn wegen ihres Reichtums und wegen ihrer Geschäfte.“
6….„Sie werden dann brauchbar sein für Gott, wenn ihnen der Reichtum, der ihre Seele beherrscht, vermindert worden ist. Wie nämlich der rundliche Stein nur dadurch viereckig wird, daß man ihn behaut und einiges von ihm wegnimmt, so können auch die Reichen in dieser Welt nur dadurch für den Herrn brauchbar werden, daß ihnen der Reichtum beschnitten wird.
Darum gelten auch die Versprechen Christi…
Mt. 18:19-20
19 Weiter sage ich euch: Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten.
20 Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
… nur für jene, deren Einstimmung miteinander in Seinem Namen sich an der Zugehörigkeit zu Seinem Leib bewährt.
Cyprian von Karthago Über die Einheit der katholischen Kirche XII
Wie aber kann der mit irgendeinem übereinstimmen, der mit dem Leib der Kirche selbst und mit der gesamten Brüdergemeinde keine Übereinstimmung zeigt? Wie können sich zwei oder drei in Christi Namen versammeln, von denen feststeht, daß sie von Christus und seinem Evangelium geschieden sind? Denn nicht wir sind von ihnen, sondern sie sind von uns weggegangen, und da Irrlehren und Spaltungen erst später entstanden sind, haben sie die Quelle und den Ursprung der Wahrheit verlassen, indem sie für sich gesonderte Vereinigungen gründeten. Der Herr aber spricht nur von seiner Kirche, und er redet nur zu denen, die in der Kirche stehen;
So wird die Kirche, wie Christus selbst voraussagte, zum Risiko jenes Menschen-gemachten Friedens.
Mt 10,17
Nehmt euch aber vor den Menschen in Acht! Denn sie werden euch an die Gerichte ausliefern und in ihren Synagogen auspeitschen..
Vgl. auch das Schwert in
Mt 10,34
Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
und das Ausgeliefertwerden:
Joh. 15,18
Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. 19 Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt.
Für die Berufung der Kirche bedeutet dies, daß Einigkeit oder Eintracht innerhalb der Gemeinden und, mehr noch, zwischen ihnen und ihrer Umwelt, nicht an sich gefordert sind. Sie sind gefordert nur soweit sie auf Einheit mit dem Willen Christi beruhen.
Die Kirche in unserer Welt, und wir selbst in ihr, stehen noch im Kampf, sind ecclesia militans, nicht triumphans. Die Kirche dient hier noch als Armee. Bemerkenswert für eine Armee ist nicht das Vorkommen von Angriffen und Versuchungen. Erhoffbar ist für sie nicht die äußere Ruhe.
Der Frieden, den Christus aber trotz allem versprach…
Joh 14,27
Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.
… ist nun allerdings nicht immer leicht zu unterscheiden vom Scheinfrieden unter bekennenden Gottlosen. Nette Leute, die gar nichts glauben oder an alles nur ein bißchen, können ihren Neigungen leben und das Neigungsleben anderer (und sogar ihrer Kinder!) urteilslos anerkennen.
Sie können sich in der irdischen Welt so geschickt einrichten haben, daß sie einander nicht in die Quere kommen. (Immerhin! Besser als der Krieg aller gegen alle bei Hobbes!)
FAZIT
Die Heiligkeit der Kirche liegt nicht im Fehlen von Kämpfen, sondern in der Art ihrer Kriegführung. Entscheidend ist ihr Umgang mit solchen Prüfungen. Dieser Umgang soll nun im Rahmen des kirchlichen Handelns in der gefallenen Welt betrachtet werden.