Ebner-Eschenbach, Marie von – Krambambuli und andere Erzählungen

(1883 | 30 S. u. a.)

Nein, solch sentimentales Zeug muss man den Kindern nicht geben. Da hilft die schönste literarische Qualität nix.

Meinung

Cornelia meint:

Krambambuli

Wunderbar. Das beste, was ich von ihr gelesen habe. So zupackend, genau, fesselnd – und auch so schön. Halt sehr traurig, wie der Hund zwischen zwei Treue-Verhältnissen kaputt geht.

Man kann das den größeren Kindern geben. Soll man ihnen diesen Schmerz bereiten?

Der Jäger hätte dem Lumpen den Hund nicht abnehmen dürfen. Dem Hund ist es egal, ob sein Herr ein Lump ist. Allerdings hat er es beim Jäger besser gehabt, denn der hat ihn geliebt. Der Lump hatte sicher nur Fußtritte für ihn. Und doch liebte ihn der Hund als seinen Herrn. Unbegreiflich ist mir, warum der Jäger sich nicht des Hundes erbarmt, dessen Liebkosung den Lumpen am Totschießen hinderte. Der Jäger war selbst wie ein Kind, beleidigt, daß sein Hund dem alten Herrn treu blieb. Sowas ist ärgerlich.

Nein, solche sentimentales Zeug muß man den Kindern nicht geben. Da hilft die schönste literarische Qualität nix.

Der Musterschüler

Ich versuche, diese Erzählung wertzuschätzen als one of the first of its kind. Aber schwer fällt es mir, weil so viele Nachfolger dasselbe als Kitsch produzierten. So ist mein Urteil schwankend. Die Figuren sind total schematisch: aufopferungsvoll eingeschüchterte Sohn-liebende Mutter, Mutter-liebender Sohn, beide in Front gegen den Vater, der sich hochgearbeitet hat und alles opfert, damit der Sohn es nach oben schafft, dabei denselben aber durch irrsinnige Strenge so zerstört, dass der in die Donau geht. Brr. Auch die Nebenfiguren: lieber Juden-Junge, der wirklich begabt ist und nicht lernen darf, der Fabrikantensohnoberprotz, die Nachbarin – allerdings Papa Oberprotz ist subtiler gezeichnet.

Aber eigentlich ist mein ästhetisches Urteil egal. Sowas ist nichts für junge Leute. Es führt in Versuchung zur Identifizierung und zum Selbstmitleid, vom Selbstmord abgesehen, der als Opfertod konstruiert wird (oh, wie furchtbar bekannt ist mir dieser Geist!). Vielleicht bietet dieses Buch Anschauungsmaterial für den pädagogischen mainstream und seine Kritik an der Verdinglichung der Kinder für die Interessen der Älteren. Das war früher ein Problem, heute ist es ein Mittel, um jede Disziplin schlechtzureden.

Päd

Maslevs Frau

Auch dies eine Tortur. Es beginnt mit den verschiedenen Perspektiven des alles verstehenden Arztes, und des neuen Kanonikus, der sturmreife Seelen retten will und erst langsam die verfahrene Situation des Ehepaares begreift. Maslev hat seine Frau so lange betrogen, bis sie ihn aussperrt aus ihrem Hof. Das Dorf hört hämisch zu (kein Friedensstifter, nur Anstifter, da hätte der Kanonikus mal was bereinigen können!), wie die beiden einander durch Schwüre die ewige Trennung ins Gesicht schreien. Jetzt ist der Müller am Sterben und der Priester will die Frau zur Fürsorge hinbringen. Aber sie geht nicht, bevor er sie ruft, weil sie das geschworen hat, und weil Gott das auch gehört hat, das hat sie ganz genau gespürt. Der Mann ist schon halb hinüber und weigert sich, sie zu rufen, weil er seinerseits geschworen hat, das nie zu tun. Beide lieben einander immer noch und sehnen sich. Am Ende wird der Sarg ihr ins Haus getragen, sie weint, und ist dann ganz sicher, dass sie ihn im Paradies wiedersehen wird.

Wiebitte? Wird da tatsächlich das liebe Ich an die Stelle des Richters gesetzt? Scheint so. Graus.

Uneröffnet zu verbrennen

Kaltschneuziger Ehemann erträgt das lange Leiden seiner lieben und guten Frau, bis sie stirbt. Nagut. Ihren Brief „uneröffnet verbrennen…“ belächelt er als kleine Geheimnisse einer Kindchenfrau und verbrennt ihn ungelesen. Dann aber fällt ihm der große Schmerz seines besten Freundes auf. Beider gemeinsamer Jagdaufenthalt steigert sich in wachsendes Mißtrauen und Eifersucht auf der einen Seite, Integrität und Mitleid auf der anderen. Es kommt zum Konflikt, Duell, Tod des Freundes. Aber dann kommt die Zwillingsschwester der Frau angereist und möchte ihren Umschlag „uneröffnet…“ wiederhaben, den sie in einer Notlage bei der Schwester deponierte. Da bricht der Mann zusammen und versteht, dass ein großer Mann (jener Freund) umsonst gestorben ist.

Das Elend der Eifersucht auch bei einem lieblosen Egoisten. Die Frau als Besitz, so dass Ansprüche anderer einen Angriff auf das kostbare Selbst darstellen. So weit, so begreiflich. Unbegreiflich ist das Nebeneinander einer Männerfreundschaft, die offenbar durch die Schäbigkeit des bewunderten Älteren seiner Frau gegenüber beim Jüngeren nicht beeinträchtigt wird. Natürlich liebt und betreut der Jüngere die Kranke, leistet ihr Gesellschaft, liest ihr vor – und alles in allen Ehren. Aber warum berührt die Schäbigkeit des Freundes nicht die jenem entgegengebrachte Hochachtung? Es ist, als lebten diese Männer in zwei Welten: einer Männerwelt, und dann einer Beziehungswelt, die entweder eklig oder edel ist. Und nur manchmal bricht das eine zum andern hin durch.

Relevant höchstens historisch, vom feministischen Standpunkt aus. Also nicht für mich.

In letzter Stunde

Professor in den 50ern heiratet – trotz Warnungen des Freundes – sein schönes, liebes, edles Mündel. Und das geht auch gut, obwohl sich der Lieblingsschüler dazufindet, der immer dabei ist, weil auch er den Meister liebt. Dann stirbt die Frau, und der alte Ehemann kriegt die Liebe mit, die die beiden insgeheim füreinander gehegt hatten (wenn auch super-edel kontrolliert). Der Junge sieht sich entdeckt, bittet auf Knien um Verzeihung, und der Alte verzeiht: der Junge konnte aufgrund seines Glaubens der Gläubigen das Sterben erleichtern – und er selbst nicht.

Und die Moral von der Geschicht: Vergiß die Rolle des Alters nicht. Brrr.

Ein Original

Ein offenbar autistischer Mann wird nach dem Tod von Mama von einer klugen Witwe geheiratet und weise regiert. Alles Paletti – obwohl er nie seine Gleichgültigkeit gegen alles – außer Maschinen – ablegt. Dann gibt es eine Tochter, die seine Seele weckt. Plötzlich liebt er – und sie ist ein Ingenieur-Genie. Und sie kommt durch eine elektrische Leitung um, wodurch Papa wieder in seinen Autismus kippt.

Pu

Die Visite

Besuch einer berühmten Autorin bei einer anderen, wechselseitiges Süßholzgeraspel, bis sie einander gestehen, dass keine der beiden die Bücher der je anderen je gelesen hat. Das Thema ist einfach durch – es geht um Blaustrumpferei und die Probleme, die Frauen haben, sich als Schriftstellerinnen durchzusetzen.

Humorvoll genug, um es einer alternden Feministen mit Covid via Telefon vorzulesen.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 2. Hälfte
Seiten< 100
AutorEbner-Eschenbach, Marie von

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