Goethe, Johann Wolfgang von – Die Wahlverwandtschaften

(1809 | 300 S.)

Die Wahlverwandtschaften ist ein Roman von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1809. Er beschreibt die Geschichte des in abgeschiedener Zweisamkeit lebenden Paares Charlotte und Eduard, deren Ehe durch das Hinzukommen zweier weiterer Figuren auseinanderbricht. Wikipedia

Meinung

Cornelia meint:

Auf die ich aus moralischen Gründen eigentlich keine große Lust habe. Dann aber mit großer Begeisterung als große Literatur wertschätzen muss. Das Werk zerfällt in drei Teile. Im ersten sieht man, wie Charlotte und Eduard ihr spätes Zweier-Eheglück gestalten. Alles paletti. Aber dann tut Eduard ein arbeitsloser Jugendfreund leid, den er einladen will. Charlotte schwant nichts Gutes – muss aber endlich ihr Binnen-Glück auch zu teilen bereit sein. Und da nun Charlotte sich außen vor fühlt, soll sie Pflegetochter Ottilie aus dem Pensionat befreien. Teil zwei passieren die Katastrophen, die zuvor im Bild chemischer Reaktionen vorausgesagt wurden: Die Menschen sind hier reine Triebtäter und Naturgewächse: Eduard und Ottilie verlieben sich, ebenso Charlotte und der Hauptmann. Die ersteren allerdings ungeschützt ihren Leidenschaften ausgeliefert (obzwar sittlich gebremst in der Ausführung), die zweiteren mit größerer und tiefer verankerter Selbstbeherrschung. Außenstehende mischen sich wohlmeinend ein und machen Charlotte klar, dass Mann und Tochter auf eine Katastrophe zusteuern und Ottilie weg muss. Charlotte nimmt Stier bei Hörnern und drückt Eduard, der aus angemessenem Mitgefühl Ottilie die feindliche Welt ersparen möchte, das Versprechen ab, zu verschwinden und keinen Kontakt zu suchen. Dafür darf sie bleiben. Dem Kind sagt man nichts, es merkt, der Geliebte ist weg, und Charlotte lenkt sie sanft ab, auf Heilung hoffend. Eduard zergrübelt sich im Liebeskummer in einem entfernten Gütchen. Dann merkt Charlotte: sie ist schwanger von einer Nacht, die Eduard ihr aus Frust über die Unerreichbarkeit des Mädchens aufzwang, und in der jeder der beiden nicht „bei der Sache“ waren sondern den geliebten Anderen im Kopf haben. Und damit ist auch der – inzwischen – Major außen vor, dessen geplante reiche Heirat auch nix wurde.

Eduard muss nun alle Hoffnung aufgeben, zieht in den Krieg, stirbt dort aber doch nicht, sondern kommt reich dekoriert nach Hause. Nun aber entschlossen, das Versprechen zu brechen und Ottilie zu besuchen. Er hat sich dem Tod ausgesetzt –daraus wurde nichts, jetzt will er das Recht seiner Liebe sichern. Damit beginnt der dritte Teil, die Katastrophe mit drei Leichen. Eduard überrascht Ottilie am See, die beiden verspäten sich (diskret, wie Goethe nunmal ist, muss man sich das Treffen hinterm Busch einigermaßen invasiv vorstellen), Eduard ab ins Dorf, und Ottilie in ihrer Verzweiflung über die baldige Rückkunft der verreisten Charlotte, will im Kahn übersetzen. Mit Buch, Baby und Ruder kommt sie nicht zurecht, Baby ertrinkt. Was eine gute Idee ist, denn rätselhafterweise hat es ganz das Aussehen vom Major und die Augen von Ottilie gehabt, ein Zeugnis des geistigen Ehebruchs, das besser im Grab aufgehoben ist. Inzwischen soll Ottilie in die Pension geschickt werden, wo der Lehrer sie heiraten will, denn Charlottes Angebot, nun doch in die Scheidung zu willigen und Ottilie den Weg für Eduard freizuräumen, kann das edelmütige Kind nicht annehmen. Eduard erwischt sie auf der Reise, nützt die über sie gewonnene Macht aus, um sie umzustimmen. Alle finden sich im Schloss wieder zusammen. Ottilie ist verstummt und isst allein. Dabei schafft sie es, ihr eigenes Verhungern durchzusetzen: Da sie sich geschworen hatte, Charlotte, die das Leben des Waisenkindes rettete, immer treu zu sein, hält sie ihren Konflikt und ihre Schuld nicht aus. Und dann kriegt Eduard den passenden Herzinfarkt. Ende gut, drei von fünf tot, für die restlichen beiden kann man hoffen.

Einiges ist seltsam schräg. Wie alt ist Ottilie? 16? 17? Wie konnte sie in diese Liebe reinrutschen, ohne zu zögern? Eduard hatte ihr vorgemacht, dass Charlotte eh den Hauptmann heiraten wird. Ah, na dann. Aber er hatte nicht mit der hohen Sittlichkeit seiner Frau gerechnet, die nicht einfach, wie andere Schloss-Besucher, auf gute Gelegenheiten zur Verwirklichung Ehe-auflösender Wünsche wartete. Am Ende sieht Charlotte ein, dass, nach beiderseitiger Verwitwung der Plan, die Jugendliebe im Mittelalter aufzuwärmen, wohl keine gute Idee war.

Für mich ist der dritte Teil enttäuschend gewesen. Eine wunderbare Darstellung der Konflikte und ihrer Unausweichlichkeit hätte ein stilles Versiegen verdient, – nicht diesen Theaterdonner. Und natürlich ist auch im zweiten Teil die Treue zur Ehe allein der persönlichen Integritäts-Versicherung und der sozialen Unverzichtbarkeit stabiler Verhältnisse geschuldet. Das ist letztlich zu wenig. Ohne das Kreuz Christi kommt man aus den chemischen Prozessen im eigenen Leib nicht raus. Goethe weiß das nicht, und so bleibt ihm nur das tragische Auftrumpfen.

Trotzdem ist das Buch lohnend, auch für Jugendliche, weil die Ehe wirklich ernst genommen wird.

Info

Erscheinungsjahr19. Jh., 1. Hälfte
Seiten100-300
AutorGoethe, Johann Wolfgang von

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