Lindgren, Astrid – Erzählungen

(1990 | 270 S.)

Wie war es, als Lotta aus der Krachmacherstraße Fahrrad fahren lernen wollte? Was lassen die Kinder aus Bullerbü sich alles einfallen, um einen besonders lustigen Kindertag zu feiern? Und wie kommt es, dass der kleine Samuel August von allen nur Sammelaugust genannt wird? … Google Books

Meinung

Cornelia meint (KK = für kleinere Kinder, GK = größere Kinder):

Ich lese einen von Oetinger veröffentlichten Band und bin entsetzt. So viel Schwarzes, Böses! Vermutlich soll sowas das unglückliche oder unverstandene Kinder „abholen“ und zum „geteilten Leid-“ Halbieren einladen. Oder es soll den blöden Erwachsenen mal zeigen, was die alles falsch machen. Letzteres Projekt verfolgt George Eliot in der Mühle am Fluss ja auch. Aber dort bleibt der dummen Mutter und den doofen Tanten immer noch ein Eckchen, in dem sie sich als Menschen zeigen können, mit ihrem guten Willen, wie schwach auch immer. Hier aber sind die Bösen einfach nur böse. Hier werden Kinder durch Voll-Identifizierung mit den Opfern zum Selbstmitleid ermutigt. Wenn Klein Goldi den doofen Tanten und der miesen Base am Ende zuschreit: „Euch soll der Teufel holen,“ dann feiert Lindgren das offensichtlich als den großen Befreiungsschlag und wirbt um Verständnis für Kinder die ausrasten. Wie gesagt, für Eltern sicher pädagogisch hilfreich. Aber Kindern möchte ich das nicht geben.

Andererseits habe ich keinerlei Hemmungen, den Kindern die Grimmschen Märchen vorzulesen. Was ist da anders? Auch dort gibt es böse Menschen, besonders Stiefmütter. Naja, aber die sind der Erfahrungswelt der Kinder entzogen: heute hat man ja höchstens Patchworkmütter, die alle riesig nett sind. Und wenn sie schwierig werden, dann sind die Kinder über Grimm schon raus.

Natürlich, wenn man die Fälle von Kindesmisshandlung in Ferienheimen bis in die 90er liest, hat man Verständnis für Lindgrens Anliegen, die Kinder mehr von innen her zu verstehen, ihnen eine Stimme zu geben. Leider aber ist diese Stimme vollkommen a-moralisch, vermutlich, weil die Moral so oft zur Kinder-Unterdrückung eingesetzt wurde. Da bin ich auch nicht für. Aber es ist kurzschlüssig, deshalb alle Moralität schlechtzumachen und die kindliche a-Moralität zu feiern.

Aber ich muss fair sein, jetzt, wo ich durch bin: von den 19 Geschichten sind 9 schön. Immerhin. Sie kann so und sie kann anders. Man muss genau hingucken.

Wer springt am höchsten?

Die Mütter sind schuld. Die haben die Jungs auf Konkurrenz hin gepolt. Und dann die Anhänger, die diese Konkurrenz anheizen. Erst im Krankenhaus merken sie: sie könnten auch Freunde sein. Das ist mir nun wieder zu moralisch.

Pelle zieht aus

Er fühlt sich ungerecht behandelt (diesmal zu Recht) und zieht ins Gartenhaus. Will die Eltern durch Verlust des Kindes bestrafen. Die sollen nur weinen. Endlich schaffen es die Eltern, ihm zu versichern, dass sie sehr weinen werden. Pelle kriegt Mitleid mit Papa und Mama, verzeiht ihnen …

Da steckt mir zu viel Selbstmitleid-Identifikationspotential drin. Und ich kann Geschichten über Kinder, die davonlaufen, einfach nicht vertragen. Das ist wie Kinder-Selbstmorde. Sowas möchte ich nicht lustig vergeschichtet sehen. Weglaufen ist ein absoluter Bruch, und ein Kind sollte nicht ermutigt werden, sowas normal zu finden.

Sammelaugust

In Smaland im Winter. Armut, Brüder. Völlig unbeaufsichtigte Kindheit. Überall Gefahren, aber die Kinder sind kompetent. Einer wünscht sich  zwei Kaninchen, kann aber nicht bezahlen. Macht sich nützlich, kriegt Geld, kauft Kaninchen. Herrlich. Schöne Geschichte.

Bin ich selbst eine moralinsaure Großmutter? Ja, bestimmt. Das kindliche Chaos, die Willenserprobung, die Egozentrik – all das ist vorgegeben. Ich lerne, das behutsam gelten zu lassen. Aber dann muss da auch eine Alternative gezeigt werden, zum Reinwachsen.

KK

Kindertag in Bullerbü

Die größeren Kinder wollen für die kleine Kerstin ein Fest veranstalten. Und haben lauter große-Buben-Ideen darüber, was Kerstin herrlich finden müsste. Leider lauter lebensgefährliche Sachen. Endlich sind die Cousinen dran, und die wissen, wie man so einem Baby Freude macht. Lustig und lieb.

KK

Etwas Lebendiges für den Lahmen Peter

Die Schwestern kümmern sich lieb um den lahmen Nachbarn im Oberstock, ein Junge, der sonst immer allein da liegt. Sie schaffen es, ihm zu Weihnachten ein Kätzchen zu schenken. Soweit so gut. Aber dann erklärt die Mutter, dass die anderen Katzenkinder getötet werden müssen. Kreuze im Garten. Ne, das mute ich meinen Kleinen nicht zu“

Als Michel Linas Zahn ziehen wollte

Eine lustige Geschichte über Michels Versuche, der Magd mit Zahnweh zu helfen. Kinder werden vermutlich jubeln. Lustig.

KK

Goldi

Nein! Ultra böse Tanten, ultra fiese Cousine, am Ende platzt Goldi und sagt „hol euch der Teufel.“ Das ist nachvollziehbar, und man freut sich, dass sie eine Stimme findet. Aber der falsche Weg

Lotta zieht um.

Schlechte Laune – unzufrieden – herbeiphantasiertes Unrecht. Um alle zu bestrafen, zerstückelt sie den Pullover, den Oma gestrickt hat. Und zieht zur Nachbarin. Die Eltern besuchen sie, die Geschwister auch. Sehr einfühlsam respektiert man ihre Entscheidung, signalisiert auch, dass man sie vermissen wird. Wieder diese Macht des Bösen: die Familie soll bestraft werden. Und Lotta entschuldigt sich, nachdem Papa das weinende Kind nachts heimholte, erst dann für den Pullover, als die Mutter sich für irgendwelches Unrecht entschuldigt. Die Geschwister sind dann gleich eh wieder eklig. Ne.

Unterm Kirschbaum

Ann-Margretchen träumt und erzählt einer fremden Dame, die sich zu ihr setzt, solche Gruselgeschichten, dass die die heranziehenden  Zigeuner verjagt. Dann merkt diese Dame, dass sie belogen wird und entschwindet. Mama ruft zum Abendessen.

Ich kann nichts Gutes hieran finden. Dieses Kind ist völlig gefühllos der Fremden gegenüber, die ihr liebevoll entgegenkam. Seltsam!

Große Schwester, kleiner Bruder

Erstere will letzterem ein Märchen erzählen, scheitert aber an dessen cooler Rationalität. Alles geht schief. Nu schto!

Der Drache mit den roten Augen

Den gibt es auch als Bilderbuch. Er ist von der Sau geboren worden, gehört aber nicht in den Stall. Die Kinder füttern ihn und sorgen für ihn. Sie tolerieren sein merkwürdiges Verhalten. Am Ende zeigt der Drache seine Liebe, und dann fliegt er davon. Das hat viel Poesie.

KK

Joseph im Brunnen

Schwestern, die einander ärgern und Unrecht tun. Dann spielen sie Joseph wird verkauft. Madita als große Schwester spielt die Brüder, erinnert sich, während sie für Joseph-Lisbeth ein Butterbrot holt, daran, dass diese ihr einen Schoko-Jungen geklaut hat. Angesichts dieses Unrechts lässt Schwesterchen allein im Brunnen sitzen. Nix Butterbrot. Als sie später zurückkommt liegen da 5 Oere und ein Zettel: Sklaven gekauft, Geld bezahlt. Und kriegt fürchterlichen Schreck, versteckt sich bei der Nachbarin. Dort findet Lisbeth sie, die vom Nachbarjungen befreit worden war. Am Ende vertragen sie sich in Schwesterliebe.

Das ist sicher alles sehr realistisch. Aber mich stört, wie die gegenseitige Gemeinheit hier so selbstverständlich genommen wird. Ich wünsche mir nicht, Kindern sowas als Normalität zu zeigen. Fiesheiten bringen sie von selbst mit, das muss ein Kinderbuch nicht auch noch verstärken.

Ich will auch in die Schule gehen

5-jährige darf mal mit dem 7-jährigen Bruder in die Schule. Und wird dort richtig integriert. Lieb und schön.

KK

Märit

Neues Mädchen im Dorf erhält ein Geschenk von einem Jungen, den sie daraufhin vergöttert, was ihm lästig ist. Spott der anderen. Und dann gerät der Junge in Lebensgefahr, Märit wirft sich dazwischen und stirbt. Die Kinder singen beim Begräbnis, und vergessen sie dann schnell. Graus! Ein Tod der ganz tot ist. Brrr.

Ein Kalb fällt  vom Himmel

Die geliebte Kuh der Armen stirbt. Der Reiche, dessen Kühe Gott viel besser behütet, verliert, als er im Suff heimfährt, das neu gekaufte Kälbchen. Der Junge findet es, nimmt es heim. Vater und Sohn müssen nun Milch kaufen beim Reichen. Und der erfährt, wo sein Kalb geblieben ist. Und in einem Anflug von Großmut schenkt er es dem Jungen. Schön! Gott hat doch geholfen!

KK

Gute Nacht Herr Landstreicher

Eltern gehen aus, Kinder allein zu Haus, sollen unbedingt keinen Landstreicher hereinlassen. Und genau das passiert. Aber dieser ist lustig und kann allerhand Kunststücke. Und dann essen sie – und der Landstreicher vertilgt ungeheure Mengen. Und dann geht er hinaus in die dunkle Nacht. Und der Schnee, der fällt.

Ergreifend und unheimlich.

GK

Na klar, Lotta kann radfahren

Sie kriegt das erhoffte Fahrrad zum Geburtstag nicht und beschließt, eines zu klauen. Und zwar von Tante Berg, die ihr ein wunderschönes Armband schenkte. Dann schickt sie die Tante listig zum Mittagschlaf, und klaut das Fahrrad, fährt den Berg runter, landet in Tante Bergs Rosenstrauch. Brüllt. Die Tante versorgt die Wunden und blickt streng auf das Rad. Da kommt Vater mit kleinem Rad – und Lotta kann schon fahren.  Ich finde abscheulich die Gleichgültigkeit, mit der hier ein Kind, das seiner Wohltäterin das Rad klaut, dargestellt wird. Ich finde sowas de-moralisierend. Auch hier geht es wieder um empowerment des Kindes, aber auf Kosten der besten Erwachsenen. Das will ich nicht unterstützen.

Ein smaländischer Stierkämpfer

Stier ist wütend geworden. Bauern alle hilflos. Kühe muhen, wollen gemolken werden. Aber Stier tobt durch den Hof. Der kleine Junge aus Smaland redet in seiner Sprache, besänftigt den Stier und bringt ihn in seine Box. Wunderschön!

KK!

Polly hilft der Großmutter

Die nämlich fällt hin und aus für die Weihnachtsvorbereitungen. Und Polly ist patent und schafft alles. Das ist eine wunderschöne Geschichte, voller Liebe und Engel. Eine Weihnachtsgeschichte.

KK!

Info

Erscheinungsjahr20. Jh., 2. Hälfte
Seiten100-300
AutorLindgren, Astrid

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