Dieser Artikel gehört zu „Die Kirche“, einer Ausarbeitung von Cornelia Hayes für eine FOCS-Tagung.
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Wie wird getan, was getan werden soll?


Es sind diese Leitlinien, im Blick auf welche sich das Wort des Irenäus, über die Verläßlichkeit der Tradition zwar einerseits als hilfreich erweist…

… andererseits aber an Grenzen stößt, die weitere Orientierungshilfen erfordern.

Die Berufung zur Einheit verlangt von allen Gliedern der Kirche zunächst jene Friedlichkeit, die in III durch Eintracht oder Einigkeit beschrieben wurde

Oder grundsätzlicher: Diese Berufung verlangt eine der Christus-Liebe nachgeformte Nächstenliebe

Joh 13,34-35

Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet, auf daß, gleichwie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet.

Und dies gilt besonders für die Bischöfe:

Angesichts der Gott-Geschenktheit dieses Friedens in Eintracht und Wahrheit hat die frühe Kirche auch kein kanonisches Recht ausgearbeitet wie der Westen, sondern immer („hörend“) pragmatische Lösungen gefunden. Denn (Meyendorff BT), wie auch die späteren Kanoniker dort nie vergaßen:

Gal 2,21

Ich missachte die Gnade Gottes in keiner Weise; denn käme die Gerechtigkeit durch das Gesetz, so wäre Christus vergeblich gestorben.

Wenn Rechtfertigung via Gesetz zu haben wäre, wäre Christus umsonst gestorben.

Die allmählich trotzdem festgelegten, eher pragmatischen Regeln (MeyBT 80 ff) finden sich dem Kern nach im Nomocanon.

Dazu gehören die Apost Kanonen (85 Stück) (anders als die 50, die der Westen zugrundelegte), die Kanonen der öku Konzilien, von 10 lokalen Konzilien, Kanonen der Heiligen Väter (12 Stück). Von all diesen ist in Byzanz das Quinisexte (bei uns das 6.) Konzil von Trullo am wichtigsten gewesen.

Sie bilden (neben den biblischen Schriften, Vgl. Teil II) einen Teil der kirchlichen Tradition:

Diese Tradition wird überliefert in Wort und Brief.

Das wahre Wissen ist die Tradition. Zu ihr gehört die Lehre der Apostel, die alten Satzungen der Kirche, die Lehren der Bischöfe über die Harmonie der Schrift und all das in der Gabe der Liebe.
Diese Tradition umfaßt also auch die Gewohnheiten des kirchlichen Lebens. (Allerdings wird sich später zeigen, daß Raum für lokale liturgische Differenzen besteht.)

Man kann sie in manchen Hinsichten

(a) als Best practice Vorgehensweisen, in anderen
(b) als das Nebeneinander oikonomischer und akribischer Anwendung

betrachten.

a) Beispiele für kirchliches best practice Handeln

Die ersten zwei besonders einleuchtenden Beispiele zeigen, wie Friedlichkeit durch Aufsicht und Etikette gewahrt werden kann:

1) Die Ordnung der Gottesdienste

2) Liturgische Gastfreundschaft

3) Die Personalpolitik

Da in diesem Bereich häufig Streit entsteht, haben die Apostel auch hier best practice Beispiele gegeben:

Wahl des fehlenden 12. Apostels

Man einigt sich im Rat der Ältesten über die relevanten Kriterien, identifiziert zwei Kandidaten, die diese erfüllen, und läßt nach Gebet das Los entscheiden.

Wahl der ersten Diakone

Man läßt die ganze Versammlung, die um solche Diener des Tischs gebeten hatte, beten und dann Vorschläge machen. Alle Vorgeschlagenen werden geweiht.

Wahl der Bischöfe

Der Clemensbrief erkennt an, daß Bischofswahlen immer Streit entstehen lassen und es der besonderen Bemühungen der Kirche bedarf, hier Abhilfe zu schaffen:

Vgl. die genaueren Vorschriften in:

MeyBT 82 zitiert hierzu das später präzisierende Edikt 528 von Justinian: Die Leute die die Stadt eines verstorbenen Bischofs bewohnen sollen drei Kandidaten aussuchen, die alle Bedingungen erfüllen, und von denen wird dann einer ausgewählt. (unklar: wer wählt… glaube die Synode)
Nun setzt solche Beteiligung der Herde an der Wahl des Bischofs die Fähigkeit voraus, über die „Würdigkeit“ eines Priesters ein Urteil zu fällen.

In der Tat findet sich (worauf Afanasiew hinweist) solche Urteilskompetenz – wenn auch unter Bedingungen – bejaht.

Paulus selbst unterstellt sich solcher Beurteilung, …

…betont aber zugleich, daß die Führer und Verwalter Gottes von Ihm selbst gerichtet werden.

So empfehlen auch die Ap. Konst (in Übereinstimmung mit den Quellen, die den Gehorsam „wie gegenüber Christus“ betonen) Zurückhaltung bei der Beurteilung bischöflicher Verwaltungstätigkeit.

FAZIT

Es geht hier also – sowohl in moralischen als auch in dogmatischen Dingen um ein Spannungsverhältnis zwischen Unterordnung – als Bedingung des Friedens – und der größeren Pflicht zur Vermeidung eines Scheinfriedens, der nur Menschen verbindet, nicht mehr diese mit Christus in der Treue zu der von Ihm und dem Heiligen Geist geschenkten Tradition.

Genau das aber macht Probleme heute sowohl in USA als auch bei Steuerfreiheit in Europa und den Korruptionsfällen mancher Bischöfe bei uns.

Das “achte auf Dich“ kann da helfen.

4) Die monarchische Ordnung der Ökumene

Bischöfe sind zunächst an Ortsgemeinden gebunden, – später – an Diözesen. Jeder verwaltet sein Territorium „autonom“.


Unter dem Missionsbefehl Christi, der alle Menschen retten will, breitete sich die Kirche über die jüdische Diaspora aus.

Sie umfaßte die ganze damals bekannte Welt mit ihren vom Schöpfer räumlich und zeitlich angeordneten Nationen.

Dabei aber bleibt der Glaube überall derselbe

Hierbei gliederten sich die Gemeinden zu benachbarten Gemeinde-Gemeinschaften der römischen Provinzen. Dabei soll nun aber der Bischof der jeweiligen Hauptstadt als erster unter Gleichen gelten.

Das heißt: Mit der Ausbreitung des Christentums im ganzen römischen Reich und in Analogie zur gemeindlichen Monarchie werden auch die Diözesen monarchisch geordnet.

Andererseits sollen auch – und hier bricht die Analogie zur monarchischen Struktur der Gemeinde zusammen, die Metropoliten und Patriarchen in überregionalen Angelegenheiten nichts ohne das Gutachten ihrer Bischöfe unternehmen. Die Kirche ist auf dieser Ebene synodal.
Trotzdem: So wie die Bischöfe als Hirten ihre diözesanen Schafe weiden sollen, so sollen die ersten unter ihnen einen Vorrang unter den ihnen als Hirten – d.h. synodal – gleichgestellten Bischöfen wahrnehmen. Dieser Vorrang war zur Sicherstellung der Identität der Tradition in allen Regionen gedacht:
Den Vorrang vor all diesen Provinzial-Ersten beanspruchten zunächst die Bischöfe Roms als der Hauptstadt des heidnischen Reichs und zugleich im Blick auf die dortigen Apostelgräber.

Trotzdem: So wie die Bischöfe als Hirten ihre diözesanen Schafe weiden sollen, so sollen die ersten unter ihnen einen Vorrang unter den ihnen als Hirten – d.h. synodal – gleichgestellten Bischöfen wahrnehmen. Dieser Vorrang war zur Sicherstellung der Identität der Tradition in allen Regionen gedacht:

Den Vorrang vor all diesen Provinzial-Ersten beanspruchten zunächst die Bischöfe Roms als der Hauptstadt des heidnischen Reichs und zugleich im Blick auf die dortigen Apostelgräber.

Die Sache mit den Gräbern war wohl nicht so ganz entscheidend, denn sogar der Bischof von Jerusalem wurde (MeyCh 29f) dem Bischof der Provinzialhauptstadt Caesarea unterstellt, trotz Jerusalem’s Rang als Ort von Kreuzigung, Himmelfahrt und Pfingsten.

Es ist darum nicht überraschend, wenn im 4. Jh. Die Patriarchen von Konstantinopel, der Hauptstadt des christlichen Reichs, die zweite Rangstufe hinter Rom beanspruchten (MeyBT 86) und sich überdies (seit can. 28 im 4. Öku Konzil) „ökumenisch“ nannten.

Diese Rangfolgen hatten keine theologische Bedeutung (Meyendorff OCh) sondern waren Gegenstand politischer Verhandlungen.
Auch wurde dort eine Dauersynode zur Lösung aller Probleme institutiuonalisiert, und diese Lehrautorität galt dann auch für das Synodikon der Orthodoxie, seit 843 in allen Kirchen am ersten Fastensonntag gelesen.
Dies wurde zentral für das kirchliche Selbstverständnis der Orthodoxie: die kleinen Schismen der 9. Und 10. Jh sind sozusagen gar nicht vorgekommen, denn nur die richtigen Patriarchen werden genannt. Auch für die späteren Ergänzungen: Wer Einigung mit dem schismatischen Rom machte, wurde übergangen.

5) Territoriale Festlegung klerikaler Autorität

Jeder Bischof darf nur in seiner Diözese amtieren. Dabei ging es insbesondere um die Weihe von Priestern und Diakonen, aber zugleich auch um die Lehre.

Bischöfe dürfen ihre Gemeinde nicht verlassen, außer wenn das nötig ist, nach dem Urteil vieler Mitbischöfe (Ped: und auch dann nur für gewisse Zeit)

Kein Kleriker darf ohne Segen seines Bischofs wechseln, sonst muß man ihm den kirchlichen Dienst verbieten. Und ein Bischof, der so einen annimmt, wird exkommuniziert (Ped. erklärt hierzu, daß jeder Kleriker zu einer bestimmten Kirche geweiht wird)

Kein Bischof darf außerhalb seines Bezirks weihen, sonst wird er abgesetzt und die von ihm Geweihten.
Man wollte vermeiden, zwei Bischöfe zugleich am gleichen Ort zu haben, wenn die dann Verschiedenes wollen. Und dasselbe gilt auch für Metropoliten und Patriarchen.

Genau solches Nebeneinander prägt nun aber heute die westliche Welt. Allerdings „wollen“ im Westen die verschiedenen Bischöfe auf demselben Raum Sachen nur für ihre je ethnisch diversen und voneinander getrennten Herden. Diese Trennung behindert dann die Ökumene, wenn das Nebeneinander die Gemeinden in nationale Kulturklubs verwandelt. Aufgrund ihrer räumlichen Nähe könnten die ethnisch diversen Ortskirchen die Ökumene aber ebenso fördern. Gerade Konvertiten könnten als „Grenzgänger“ hierzu beitragen.

Ich sehe also diesen Mißstand vieler Bischöfe auf einem Territorium, das für alle neues Missionsgebiet sein sollte, nicht als unmittelbar Handlungs- bedürftig: Auch in den USA kann die OCA ihren ökumenischen Generalismus pflegen, indem sie unter ihrem Dach national geprägte Gemeinden ihre eigene Traditionen zu pflegen erlaubt.

Wie Meyendorff LT kritisiert, gibt es heute leider Titularbischöfe ohne ortsgebundene Verantwortung, bloß als Beamtenapparat.

Wieder eine andere Sache sind konkurrierende Katakombenkirchen dort, wo die etablierte Kirche das ihr gesetzte Ziel nicht verfolgt oder verfolgen kann, wie dies unter sowjetischer Herrschaft der Fall war, vielleicht (?) auch unter türkischer Herrschaft (zumindest im Griechenland der Befreiungskriege). Hier wurde durch solche Parallelstrukturen die wichtige Einheitsregel in dem Maße nur scheinbar verletzt, in dem die je „offizielle Kirche“ sich bereits selbst von der Tradition entfernt hatte.

Ein weiterer Bereich, in dem Friede und Eintracht gesichert werden müssen, betrifft die Lehre, die sich auf die Tradition der Kirche in ihrer Gesamtheit bezieht, also den Glauben ebenso betrifft wie die liturgischen Handlungen, die asketischen Regeln, die Diakonie und die Mission.

schreibt für Bischöfe zwei Synoden im Jahr vor, zur Klärung u.a. von Lehrfragen.

b) Beispiele für Optionen in der Anwendung von Regeln

Diese best practice Weisen des Vorgehens bieten ihrerseits die Option einer Anwendung im Sinne von Oikonomia oder Akribia (Meyendorff BT).

Ursprünglich bezeichnet Oikonomia den Heilsplan Gottes. Aber der wurde Menschen zur Mitarbeit anvertraut.
So nennt Paul die Prediger des Worts Diener oikonomoi der Mysterien Gottes

1 Kor 4,1

So soll man uns betrachten: als Diener Christi und als Verwalter von Geheimnissen Gottes.

und diese Rolle übernimmt dann auch der Bischof

Titus 1,7

Denn der Bischof muss unbescholten sein als Haushalter Gottes, nicht überheblich und jähzornig, kein Trinker, nicht gewalttätig, nicht habgierig,

1) Zur Beschneidung

Bei der Auseinandersetzung in Jerusalem war entschieden worden, daß die Beschneidung eine unnötige Bürde für die Heiden sein würde. Trotzdem beschneidet Paulus, der diesen Kampf ausgefochten hatte, Timotheus:

Ganz offenbar war Timotheus für die Verkündigung des Evangeliums nur dann in seiner Heimat brauchbar, wenn er nach den dortigen Kriterien „dazugehörte“. Er galt ja, da seine Mutter jüdisch war, in den Augen der Juden in Derbe und Lystra selbst als ein Jude…“

2) Von Häretikern Getaufte

Grundsätzlich (akribisch) gilt die Taufe nur, wenn sie in der Kirche vollzogen wurde:

Wenn ein Kleriker die Taufe der Ketzer (ihr Opfer) annimmt, wird er abgesetzt.

Von Häretikern „Getaufte“ müssen allererst getauft werden.

Demgegenüber nimmt der Heilige Basilius im Brief an Amphilochius, der zu den Byz. Kanones gehört, eine mildere (Oikonomia-geprägte) Position ein:

Die Taufe von Häretikern ist ungültig, aber wenn solche Strenge ein Hindernis für Gottes Heilsplan wird, sollte man den Gewohnheiten folgen und den Vätern. (Er spricht hier offensichtlich von lokalen Gewohnheiten und Vätern der von der Kirche getrennten Christen.)

Hier geht es nicht wie bei der westlichen dispensatio um ihrerseits regelhafte Ausnahmen vom Gesetz, sondern um Blick auf den individuellen Fall, dem man auf dem Weg zu Gott helfen muß . [Deshalb kann das Vorgehen nach Oikonomia auch mal strenger sein als die Akribia.]

3) Einhalten jüdischer Reinigungsgebote

Obwohl Paulus selbst diese Gebote als nicht mehr heilsnotwendig erkannt hatte, folgte er ihnen bei seiner Ankunft in Jerusalem auf Anraten der Ältesten: Nur so konnteseine Predigt des Evangeliums auf Gehör hoffen.

Natürlich wecken solche Zugeständnisse Erinnerungen an allerlei Duldungen örtlicher Mißstände, die in den Anfangsphasen der Mission unvermeidlich sein mögen. Und natürlich weckt die Erinnerung an solche Zugeständnisse heute ein ganzes Wespennest von Argumenten, man müsse dem Zeitgeist entgegenkommen und bestimmte traditionale Ideen (als nur Menschen-gemacht) ablegen (Unterordnung der Frau unter ihren Mann, Homophobie…)

FAZIT

Die Abgrenzung legitimer Oikonomia (der Abschwächung oder Verschärfung kanonischer Regeln) von Kompromissen und Verrat an der Integrität des Glaubens bedarf der Unterscheidung im Blick auf die jeweils gegebenen chancen für die Rettung eines Menschen. Gerade hier trennt die Orthodoxie einen Bereich der persönlichen Seelsorge vom Bereich des theologisch Verkündbaren. Die Verantwortung hier trägt der Seelsorger, und die Schafe sollten sich aus solchen Sachen heraushalten und nicht über gewährte geistliche Anleitung reden. Nicht alle Fälle, und das müssen wir Konvertiten lernen, haben eine eindeutige Lösung. Eindeutig genug bleibt immer die Forderung Christi nach einem reuigen und zerbrochenen Herzen.

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